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15.11.19 / Wachsende Kritik am Drehtür-Effekt / Sigmar Gabriel hat noch einmal zurückgeschreckt, aber viele Politiker wechseln nahtlos in die Wirtschaft

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 46-19 vom 15. November 2019

Wachsende Kritik am Drehtür-Effekt
Sigmar Gabriel hat noch einmal zurückgeschreckt, aber viele Politiker wechseln nahtlos in die Wirtschaft
Peter Entinger

Es ist ein häufig auftretendes und typisches Phänomen in der Welt des Lobbyismus und nicht ohne Geschmäckle, dass Politiker oder hochrangige Mitarbeiter von Ministerien aus ihrem Amt oder Mandat direkt und ohne Schamfrist zu Unternehmen oder Interessenverbänden wechseln, um dort lukrative Lobbytätigkeiten auszuüben.

Die Diskussion um diesen sogenannten Drehtür-Effekt kochte in den vergangenen Wochen erneut hoch, als Gerüchte laut wurden, der frühere Vizekanzler, Bundesaußenminister, Ministerpräsident Niedersachsens und Vorsitzende der SPD, Sigmar Gabriel, könne an die Spitze des Verbandes der Automobilindustrie (VDA) wechseln. Der Niedersachse sprach zwar von einer reizvollen Option, doch wolle er das Amt trotzdem nicht übernehmen. „Ohne Zweifel ist es eine spannende und herausfordernde Aufgabe, die Automobilwirtschaft gerade in einer Zeit großer Umbrüche zu begleiten. Trotzdem kann ich nach reiflicher Überlegung und aufgrund anderer Aufgaben für dieses Amt nicht zur Verfügung stehen“, sagte er dem Berliner „Tagesspiegel“.

Immer wieder wechseln Spitzenpolitiker und Regierungsbeamte auf Positionen in der Autolobby. Der prominenteste Fall ist Matthias Wissmann. Der langjährige VDA-Präsident war unter Bundeskanzler Helmut Kohl fünf Jahre lang Bundesverkehrsminister gewesen. 

Gute Beziehungen zu den Mächtigen hatte auch Eckart von Klaeden. Der CDU-Politiker war von 2009 bis 2013 Staatsminister im Kanzleramt, bevor er noch im Jahr seines Ausscheidens Cheflobbyist beim Daimler-Konzern wurde. Die Staatsanwaltschaft Berlin ermittelte daraufhin zeitweilig wegen des Verdachts der Vorteilsnahme gegen von Klaeden, stellte das Verfahren aber ein.

Wechsel von Politikern in die Wirtschaft sind fast immer umstritten. Der ehemalige SPD-Chef Kurt Beck und langjährige Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz erklärte, er habe „ein Recht auf Arbeit“. Der 70-Jährige berät bereits seit Juni 2013 den Pharmakonzern Boehringer Ingelheim an dessen Stammsitz in Rheinland-Pfalz. 

Nach der schmerzhaften Schlappe für die hessischen Sozialdemokraten bei der Landtagswahl 2018 stieg Hessens SPD-Chef Thorsten Schäfer-Gümbel aus der Politik aus. Der Politiker wechselte zur Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) einer Organisation der Entwick-lungszusammenarbeit, die im Auftrag verschiedener Bundesministerien international tätig ist und ist dort Arbeitsdirektor im Vorstand. Das Vorschlagsrecht für den Posten lag nach einer Vereinbarung mit der Union im Zuge der Koalitionsverhandlungen bei den Sozialdemokraten. Finanziell lohnte sich der Wechsel. Der Posten ist mit rund 200000 Euro jährlich dotiert. 

Die Organisation Lobbycontrol kritisiert diesen Drehtür-Effekt seit Langem. „Mit kürzlich ausgeschiedenen politischen Entscheidungsträgern sichern sich Interessengruppen nicht nur deren Insider-Wissen, sondern auch ihre noch frischen Kontakte in Ministerien und Parlament. Auf diese Weise erhalten sie einen privilegierten Zugang zur Politik und können Entscheidungen leichter zu ihren Gunsten beeinflussen“, teilt sie mit. Dies komme vor allem finanzkräftigen Akteuren zugute, die ehemaligen Spitzenpolitikern attraktive Jobs anbieten könnten. In der Regel handele es sich dabei um große Unternehmen oder Wirtschaftsverbände. „Die bestehenden Machtstrukturen werden so nicht nur gefestigt, sondern oftmals weiter ausgebaut“, sagt Lobbycontrol. 

Eine Frage, die in den vergangenen Wochen besonders die Gemüter erhitzte, war, ob der Ex-Chef der Kohlekommission neuer Aufsichtsratsvorsitzender eines Braunkohlekonzerns werden darf. Ende September gab die Mitteldeutsche Braunkohlengesellschaft (MIBRAG) bekannt, dass Sachsens Ex-Ministerpräsident Stanislaw Tillich ihr neuer Aufsichtsratschef ist. Kritiker werfen Tillich vor, er habe als Chef der Kohlekommission alles getan, um den Kohleausstieg zu verhindern. „Durch den Wechsel entsteht der Eindruck, hier ließe sich jemand seine ohnehin kohlefreundliche Haltung als Minister und Ministerpräsident nach dem Amt versilbern“, kritisiert Lobbycontrol-Vorstand Timo Lange. So etwas schade dem Ansehen der Politik, meint Lange. Dass mit Tillich nun auch noch einer der Vorsitzenden der sogenannten Kohlekommission Aufsichtsratschef bei einem Kohlekonzern wird, gefährde zudem die Akzeptanz des Kohlekompromisses.

Beispiele mit Geschmäckle gibt es weitere. Der frühere NRW-Wirtschaftsminister Garrelt Duin (SPD) trat Anfang 2018 bei Thyssenkrupp Industrial Solutions einen Job an. Nach nur rund einem Jahr wechselte er an die Spitze der Handwerkskammer Köln. 

„Wir fordern eine dreijährige Karenzzeit – eine Abkühlphase – für die Kanzlerin, die Minister, Staatsminister, parlamentarische und beamtete Staatssekretäre sowie Abteilungsleiter. Innerhalb dieser Zeit muss ein Wechsel in Lobbytätigkeiten gesetzlich verboten sein. Die 2015 eingeführte gesetzliche Karenzzeit von zwölf bis 18 Monaten ist ein Fortschritt, fällt jedoch zu kurz aus. Wir sorgen dafür, dass die Öffentlichkeit und die Medien ein kritisches Auge auf die Drehtür haben“, sagt Lobbycontrol. 

Ministerpräsidenten und Landesminister fallen übrigens nicht unter diese Karenzzeit. Daniel Bahr hat sich an die Karenzzeit gehalten. Er wurde 2011 auf dem FDP-Ticket Gesundheitsminister, ein Jahr nach dem Ausscheiden aus dem Kabinett wurde er Vorstand beim Krankenversicherer Allianz. Er warnt vor Populismus. „Ich bin mit 38 Jahren aus der Politik ausgeschieden. Soll ich kein Recht darauf haben, in der freien Wirtschaft zu arbeiten?“, fragt er.