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15.11.19 / Idealisten auf der Suche nach der Herkunft / Vor 175 Jahren wurde die Altertumsgesellschaft Prussia in Königsberg gegründet

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 46-19 vom 15. November 2019

Idealisten auf der Suche nach der Herkunft
Vor 175 Jahren wurde die Altertumsgesellschaft Prussia in Königsberg gegründet
Wulf D. Wagner

Am 19. November 1844 trafen sich in Königsberg im Café National der Professor für Kunstgeschichte August Hagen und seine Freunde, um die Altertumsgesellschaft Prussia zu gründen. 

Der Wunsch, die Geschichte Ostpreußens zu erforschen, die oft noch verborgenen oder unbeachteten Zeugnisse der Vergangenheit zu bewahren und zu verstehen, war groß, aber das Wissen um dieselben war noch verhältnismäßig gering. Sicher, es hatte seit der Zeit des Deutschen Ordens im Mittelalter Geschichtsschreiber gegeben, erste Gelehrte hatten seit der Renaissance vorgeschichtliche Funde zu kleinen privaten Sammlungen zusammengetragen, ja selbst Ausgrabungen von Hügelgräbern hatten schon unter den Augen staunender Bauern und Bürger stattgefunden, und nicht zuletzt hatte sich Johann Michael Giese in den 1820er Jahren an die zeichnerische Inventarisierung prußischer und ordenszeitlicher Burganlagen begeben, aber all das war nur Stück­werk, nicht einmal prußische von germanischen Funden konnte man unterscheiden, geschweige denn jene der verschiedenen prußischen Stämme. Auch fanden die Grabungen noch in der Form von Grabräuberei auf der Suche nach schönen Fundstücken statt, die irdenen Urnen zerfielen, die Fundstätten wurden nicht dokumentiert. Schließlich war an eine zeitliche Einordnung all der ungeordneten, aus der Erde geborgenen Gegenstände noch nicht zu denken, hatte doch erst wenige Jahre zuvor der dänische Prähistoriker Christian Jürgensen Thomsen das Dreiperiodensystem aus Stein-, Bronze- und Eisenzeit entwickelt. 

So waren die Aufgaben, die sich die Prussia stellte, groß, zumal sie sich nicht nur diesen vorgeschichtlichen Fragen zuwenden, sondern für alle Epochen und Themenfelder das Erbe retten wollte, prußische Urnen und gotische Fibeln ebenso sammelte wie mittelalterliche Rüstungen, barocke Kirchenausstattungen, Möbel, die einst Königin Luise und ihre Kinder benutzt hatten, Gemälde, Schriftstücke, Karten, ja selbst Spolien aus abgerissenen Häusern Königsbergs.

All dies wurde bereits in der ersten Versammlung vor genau 175 Jahren angestoßen. Es wurden Fundstücke und Ideen zur Diskussion gestellt. Vorträge und Sagen unterhielten seither die Sitzungen des Vereins. Erste Publikationen wurden geplant, bestehende Zeitschriften, wie die „Preußischen Provinzial-Blätter“ alsbald übernommen, und die Zusammenarbeit mit mancher bereits existierenden Vereinigung, wie der wissenschaftlichen Physikalisch-Ökonomischen Gesellschaft oder der literarischen Königlichen Deutschen Gesellschaft in Königsberg, eingeleitet. 

Innerhalb kürzester Zeit entstand durch Kauf, Geschenk und kleine eigene Grabungen eine Sammlung. Ein erster Raum wurde im Schloss bereitgestellt. Die Sammlung wuchs und wuchs, weitere Räume kamen hinzu, schon bald wieder völlig überfüllt. Umzüge innerhalb der Stadt wurden notwendig, stets auf der Suche nach geeignetem Museumsraum, bis in den 1920er Jahren der weitaus größte Teil der vier Schlossflügel zu einem Landesmuseum ausgebaut wurde, in dem neben der Prussia- auch andere Kunstsammlungen der Stadt Platz fanden.

Die Geschichte der Altertumsgesellschaft Prussia ist eine Geschichte von zahlreichen Idealisten, von Professoren und Laien, die sich in ihrer freien Zeit aufs Land begaben, um Hügelgräber und Gräberfelder auszugraben, die in den Abendstunden Zeitschriften und Bücher schrieben, die sich bemühten, wenigstens einige Gelder von Stadt und Staat zur Einrichtung ihres Museums und zur Herausgabe ihrer Forschungen zu erhalten. 

Es ist eine Geschichte von Idealisten, die sich immer weiter selbst ausbildeten, die sich auf die Suche nach der Herkunft begaben. Denn was brachte die Bewahrung all der vielen Urnen, Fibeln, Schmuck­stücke, Pferdegeschirre aus Reitergräbern, welche die ostpreußische Erde in so großer Fülle barg, wenn man sie nicht in ein zeitliches System einordnete, sie nicht jenen in antiken Schriften genannten Völkern zuordnen konnte?

In den 100 Jahren ihres Bestehens ist es der Prussia gelungen, viele der gestellten Fragen zu lösen, einen neuen Wissenschaftszweig, den der Vorgeschichtsforschung, mit aufzubauen und die Methoden der Archäologie zu verfeinern. Und weil kein Wissenschaftler nur für sich alleine seine Forschungen voranbringen kann, suchte man von Anfang an die Verbindung über die Grenzen der Provinz hinaus. Die Prussia stand in regem Austausch nicht nur mit den Wissenschaftlern anderer preußischer Provinzen, sondern ebenso mit Forschern und wissenschaftlichen Einrichtungen anderer europäischer Länder; ja in einer Ethnographischen Sammlung wandte man sich sogar Völkern und Kulturen außerhalb Europas zu. Das Prussia-Museum wurde schließlich nicht nur eines der bedeutendsten und größten zur Vorgeschichte Europas, sondern sein internationaler Rang zeigte sich vor allem durch die engen Verbindungen zum skandinavischen Raum, nach Finnland und ins Baltikum. Die Weite internationaler Zusammenarbeit wäre eigene Forschungen wert, hier seien nur die herausragenden Verdienste des Prussia-Vorsitzenden Adalbert Bezzenberger um die Erforschung und Bewahrung der litauischen Kultur erwähnt.

Neben der Vorgeschichte begab sich die Prussia mit ihrer wachsenden Mitgliederzahl stets an neue Aufgaben. Noch vor dem Ersten Weltkrieg begann man mit dem Aufbau des Freilichtmuseums im Königsberger Zoo. Die verschiedensten Formen alter Bauernhäuser, die auf dem Land mehr und mehr verschwanden, ja sogar eine Holzkirche, wurden errichtet, und überall in der Provinz wurde nach alten Bauernmöbeln, Trachten und damit verbunden auch Volkskundlichem gesucht. So entwickelte sich die Denkmalpflege zu einem wichtigen Thema des Vereins, wenn es auch oft nicht gelang, alte Bauten – wie das Wohnhaus Immanuel Kants – vor dem Abriss zu schützen. 

In wenigen Jahrzehnten gelang es der Altertumsgesellschaft, innerhalb der Provinz die Bevölkerung für die Vorgeschichte zu sensibilisieren und zu begeistern. Je mehr Menschen auf die Bedeutung selbst der kleinsten Feuer­steinkeilchen aufmerksam wurden, umso mehr dehnte sich die Erforschung bis in den letzten Winkel Ostpreußens aus. Überall gruben Lehrer und andere Laien in der Erde – alles ehrenamtlich –, und nach und nach entstanden neue Vereine, die sich einzelner Landschaften, wie dem Ermland oder Masuren, genauer annahmen. Das Wissen wurde in die Schulen getragen, um auch die Kinder für die eigene Geschichte und Kultur zu begeistern. 

Nach dem Ersten Weltkrieg wurden in den einzelnen Kreisen sogenannte Kreispfleger berufen, an die sich die Bevölkerung wenden konnte. Die Kreispfleger bildeten sich selbst zu Fachleuten ihres Kreises aus, und schließlich entstanden – in gewisser Konkurrenz zum Prussia-Museum – in den Städtchen auf dem Land Heimatmuseen, die vor allem in den 1930er Jahren unter modernen Gesichtspunkten ausgestattet wurden und denen nicht zuletzt Siegfried Lenz in seinem Roman „Heimatmuseum“ ein Denkmal gesetzt hat.

Mehr und mehr war die Prussia gegen Ende ihrer 100-jährigen Geschichte den großen und vielfältigen Aufgaben kaum noch gewachsen. Die Not der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg sorgte unumgänglich dafür, dass der private Verein seine Sammlungen an die Stadt abtreten musste, und in der Folge gingen ihm Stück für Stück auch seine anderen Aufgaben verloren. Hatte der Prussia-Vorsitzende Wilhelm Gaerte 1929 die erste, reich bebilderte „Urgeschichte Ostpreußens“ herausgegeben, so übernahmen jüngere Prähistoriker mehr und mehr die Führung. Zur wissenschaftlichen Erforschung der Vorzeit erhielt die Königsberger Universität 1933 einen ordentlichen Lehrstuhl für Vorgeschichte, und außerdem wurde 1938 das Landesamt für Vorgeschichte in Königsberg eingerichtet, und in Konkurrenz zu den Veröffentlichungen des Vereins entstand zum Beispiel die modern gestaltete Zeitschrift „Altpreußen“, wie all die alten Zeitschriften bis heute eine unerschöpfliche Fundgrube zur Landesgeschichte.

Im Zweiten Weltkrieg kam die Vereinsarbeit zum Erliegen, der Museumsbetrieb im Schloss wurde eingeschränkt, erste Auslagerungen aufs Land wurden noch vor dem großen Bombenangriff auf Königsberg im August 1944 vorgenommen. Während die bedeutendsten Ausstellungsstücke des Prussia-Museums, wie der Goldfund von Hammersdorf, bei Kriegsende in Königsberg blieben und seither als verschollen gelten, gelang die weitere Verlagerungen des wohl größten Teils des riesigen Fundarchives nach Vorpommern. Doch die Monate nach Kriegsende 1945 ließen die Sammlung in einem vorpommerschen Gutshaus unbeaufsichtigt, sodass sie durch Zerstörungswut erhebliche Verluste erlitt. 

Wieder waren es Idealisten, die die Reste bargen. Erst nach der friedlichen Revolution wurden sie im Berliner Museum für Vor- und Frühgeschichte mit unglaublichen Mühen und größter Sorgfalt restauriert und geordnet, darunter zahlreiche Grabungsberichte und auch die detailreichen, noch viel zu wenig beachteten Zeichnungen Gieses zu Burgen, Städten und Kirchen. Heute bietet die wieder von zahlreichen Wissenschaftlern vor allem auch aus Osteuropa benutzte Sammlung erneut ein unerschöpfliches Material weit über die ostpreußische Orts- und Landesgeschichte hinaus. 

Die Geschichte der Altertumsgesellschaft Prussia bleibt aktuell, sie bleibt ein Vorbild für die Wissenschaft, sie zeigt, was wir auch heute brauchen, um unsere Geschichte und Kultur zu bewahren: Idealisten und freie Vereine.

All dem Auf und Ab der spannenden Geschichte der Altertumsgesellschaft Prussia, ihren Mühen und Erfolgen, den vielen Menschen, die sich in ihr zusammenfanden, der Entwicklung der Archäologie, des Museumswesens und der Vorgeschichtsforschung in Ostpreußen widmet sich das gerade erschienene, reich bebilderte Werk des Verfassers dieses Jubiläumsartikels „Die Altertumsgesellschaft Prussia. Einblicke in ein Jahrhundert Geschichtsverein, Archäologie und Museumswesen in Ostpreußen (1844–1945)“ anhand umfassender Archivrecherchen. Das Werk 29 der Schriftenreihe der 1972 neu gegründeten PRUSSIA-Gesellschaft e.V. ist im Husum Verlag erschienen und trägt die ISBN 978-3-89876-985-3.