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15.11.19 / Weißmacher in der Kritik / Böser Verdacht: Kann der Lebensmittelzusatz Titandioxid Krebs auslösen?

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 46-19 vom 15. November 2019

Weißmacher in der Kritik
Böser Verdacht: Kann der Lebensmittelzusatz Titandioxid Krebs auslösen?
Dagmar Jestrzemski

In strahlend weiß und bunt glasierten Schokolinsen, in Kaugummi, Backzutaten und Mozzarella ist oft das Weißpigment Titandioxid enthalten. Auch im glänzenden Überzug von Tabletten und Nahrungsergänzungsmitteln steckt der ungiftige, aber wegen seiner Pulverkonsistenz umstrittene Zusatzstoff. Titandioxid besteht immer auch zu einem Anteil aus Partikeln in Nanogröße, also von weniger als 100 Nanometer (Millionstel Millimeter) Größe. 

Nachdem die Substanz in Tierversuchen zu Entzündungen geführt hatte und Forscher krebserregende Eigenschaften vermuten, hat die französische Lebensmittelaufsicht Titandioxid als wahrscheinlich krebserregend eingestuft. Ab 2020 ist der Weißmacher in Frankreich in Lebensmitteln vorerst für ein Jahr verboten.

Bei dem Einsatz in Lebensmitteln hat Titandioxid keinen anderen Zweck, als Kaubonbons oder Backpulver weißer und heller aussehen zu lassen oder die Konsistenz zu verbessern. Weltweit wird der Stoff darüber hinaus in vielen anderen handelsüblichen Produkten eingesetzt, so in Sonnencremes, Zahnpasta, Farben und Lacken, Tuschfarben, Putz und Mörtel, Papier, Druckertinte und Kunststoffen. 

Keine Branche ist jedoch so abhängig davon wie die Farben- und Lackhersteller sowie die Kunststoff- und Papierindustrie. Dennoch ist der Inhaltsstoff Titandioxid nur wenigen Verbrauchern ein Begriff. Auf den Verpackungen von Lebensmitteln firmiert er häufig als E 171, während er sich bei der Verwendung in Kosmetika und Farben hinter der Bezeichnung CI 77891 verbirgt. 

Im Gegensatz zur Bewertung der französischen Lebensmittelaufsicht waren sich die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) und das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) darin einig, dass von Titanoxid nach Abwägung sämtlicher Erkenntnisse keine Gefahr ausgehe. Obwohl keine gesetzlichen Höchstgrenzen vorgegeben sind, sei die Verwendung in Lebensmitteln unproblematisch. 

Dabei geht es nicht um Gefahren durch Einatmen wie bei versprühten Farben oder Sonnenschutzmitteln, sondern um die Aufnahme von Nanopartikeln im Darm. Mehrere Studien erbrachten das Ergebnis, dass Titandioxid die Darmbarriere durchbrechen kann. Bei einer gestörten Darmbarriere gelangt der Zusatzstoff in Form von Nanopartikeln ins Blut und wird in der Milz abgelagert. Gastroenterologen raten Patienten mit chronischen Darmerkrankungen wie Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa, Nahrungsmittel mit  E 171 zu meiden. Unklar ist, ob Titandioxid auch die Blut-Hirn-Schranke überwinden kann.

Bereits 2017 warnte die europäische Chemikalienbehörde davor, dass Titandioxid Krebs auslösen könne, wenn der Weißmacher über die Atemluft in den menschlichen Körper gelangt. Nach der EU-Wahl musste die EU-Kommission eine Entscheidung hinsichtlich der Unbedenklichkeit im Nicht-Lebensmittelbereich treffen. Nach Gesprächen mit Vertretern der Interessenverbände und den EU-Staaten wurde im Oktober die Festlegung getroffen, dass ein Warnhinweis auf das Krebsrisiko aufmerksam machen soll. 

Deutschland hatte demgegenüber vorgeschlagen, Titandioxid über den allgemeinen Staubgrenzwert im Rahmen des Arbeitsschutzes zu behandeln. Mit der Bewertung als möglicherweise krebsfördernd wird damit erstmals eine Substanz aufgrund von stoffunspezifischen Partikeleffekten eingestuft. 

Die Organisation und der Verband der Chemischen Industrie und der Kunststoffindustrie hingegen bezweifelten umgehend die wissenschaftliche Grundlage und kritisierten die Pläne als überzogen. Unterdessen wird der Ruf nach einer umfassenden Folgenabschätzung immer lauter.