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15.11.19 / Reisen für die Völkerverständigung / Seit 30 Jahren führt Louis Ferdinand Schwarz aus Dissen Reisen durch das nördliche Ostpreußen durch

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 46-19 vom 15. November 2019

Reisen für die Völkerverständigung
Seit 30 Jahren führt Louis Ferdinand Schwarz aus Dissen Reisen durch das nördliche Ostpreußen durch
Rolf Westheider

Ist es ein gutes oder schlechtes Zeichen, wenn ein Reiseziel von Individualtouristen kaum angesteuert wird? Geheimtipp oder „No-go-area?“ Im Fall des nördlichen Ostpreußens, seit 1945 eine russische Exklave namens „Oblast Kaliningrad“ fällt die Antwort differenziert aus. Auch Gruppenreisen nach dorthin tauchen in Reisekatalogen kaum auf. Umso erstaunlicher ist es, dass seit nunmehr 30 Jahren ein gebürtiger Ostpreuße aus Dissen im südlichen Landkreis Osnabrück kontinuierlich Fahrten in diesen unbekannten Teil Europas an der Ostsee anbietet, die bundesweit nachgefragt werden. Sein Name ist Louis Ferdinand Schwarz.

Schwarz, dem mit seinem Vornamen in Anlehnung an preußische Prinzen und Thronprätendenten bereits eine besondere Verbindung zur preußischen Geschichte in die Wiege gelegt worden war, hat diese Reisetätigkeit zu seiner Mission gemacht, seitdem überhaupt die Möglichkeit dazu besteht. Solange die Sowjetunion existierte, war der ganze Landstrich zwischen der Memel und der wie mit dem Lineal gezogenen Grenze zum polnischen Teil Ostpreußens Ausländern komplett verschlossen. Glasnost und Perestroika hatten dann 1990 die Öffnung zur Folge, aber auch den völligen wirtschaftlichen Zusammenbruch der ganzen Region, die von der kollabierten Zentralregierung in Moskau im Stich gelassen wurde. Da man zunächst nicht sicher sein konnte, ob diese Reisefreiheit Bestand haben würde, nutzte Schwarz die Gunst der Stunde und reiste am 19. Dezember 1990 mit einer kleinen Delegation und 21 Tonnen Hilfsgütern an Bord eines Schiffes von Travemünde nach Königsberg, der humanitären Aktion „Helft Russland“ folgend. Zahlreiche weitere Hilfslieferungen folgten.

Ab Februar 1991 reisten dann zahlreiche Gruppen von gebürtigen Ostpreußen an, um ihre alte Heimat wiederzusehen. Was die später als „Heimwehtouristen“ bezeichneten Besucher vorfanden, war deprimierend: eine komplett verwilderte Kulturlandschaft, nur noch Reste von mehr als 2500 deutschen Siedlungen, die zumeist erst in den 1960er Jahren aus ideologischen Gründen systematisch zerstört worden waren, keinerlei touristische Infrastruktur. Dem bis 1990 hermetisch abgeriegelten militärischen Sperrbezirk hatte der sozialistische Staat in den Zeiten des Kalten Krieges keinerlei zivile Entwicklung zugebilligt.

Auch am 11. August 2019 ist Louis Ferdinand Schwarz wie in allen Jahren davor wieder mit einer Reisegruppe unterwegs in seine alte Heimat. Der erste Eindruck nach dreistündiger Grenzabfertigung: Das ist hier tatsächlich eine andere Welt. Alles ist überwuchert von einem Unkraut, das die Landschaft gelb einfärbt, soweit das Auge reicht. Nach einer Stunde ändert sich das Bild von Grund auf: eine schier endlos scheinende Autoschlage quält sich von der Ostseeküste zurück Richtung Königsberg, offensichtlich alles Tagesausflügler, die den Sonntag am Strand verbrachten. Der Weg zum Ziel Svetlogorsk, dem früheren Ostseebad Rauschen, führt über eine neue Autobahn, die gesäumt wird von moderner Urbanität mit riesigen Wohnkomplexen, Gewerbebetrieben und Einkaufszentren. Die erste Einkehr beim Bier findet statt in Nesselbeck, einer auf deutsche Ritterromantik getrimmten Gastronomie im Disneyland-Stil. Die deutsche Geschichte – im Sozialismus ausgelöscht, jetzt wird sie romantisch verklärt. Willkommen in einem Land der Gegensätze und Widersprüche!

Louis Ferdinand Schwarz war von 1979 bis 1991 Bürgermeister von Dissen. Seit 1990 pflegt er als Vorsitzender der Kreisgemeinschaft Fischhausen, dessen Ehrenvorsitzender er seit 2006 ist, intensive persönliche Kontakte zu der heutigen russischen Bevölkerung im Samland. Für seine alte Heimat organisierte er neben den humanitären Hilfstransporten Heimat- und Kulturwochen, historisch-kulturelle Seminare und eben immer wieder Kulturreisen. Allesamt dienen die Begegnungen der Verständigung und Aussöhnung zwischen den früheren deutschen Bewohnern und der jetzigen, überwiegend russischen Bevölkerung. Ein solches Engagement ist alles andere als selbstverständlich, denn der Verlust der Heimat durch Flucht und Vertreibung hatte doch bei den Vertriebenenverbänden eher zu Revisionismus und Revanchismus geführt. Nicht so bei Schwarz: „Wir reichen ihnen, den Menschen, die nun hier leben, zum Zeichen der endgültigen Aussöhnung die Hände der Freundschaft“, das ist seine Botschaft, die im modernen Nord-Ostpreußen auf lebhaften Widerhall stieß. Auf diese Weise ist schließlich seit den 1950er Jahren das vereinte Europa entstanden, durch Städtepartnerschaften, angeregt von Menschen, die unter Krieg und Gewaltherrschaft am meisten zu leiden hatten und sich gerade deswegen die Hand zur Versöhnung und zum Frieden gereicht haben.

Damit das funktioniert, müssen die Partner auf der anderen Seite dieses Verständnis teilen. Organisation und Programmgestaltung liegen seit ebenfalls 30 Jahren in den bewährten Händen von Ljuba Mostakowa in Svetlogorsk. Begleitet wurden die Gäste auch in diesem Jahr wieder von Ewgeni Snegowski, der nicht nur das Land wie seine Westentasche kennt, sondern es so vermittelt, als sei er selber ein halber Ostpreuße, obwohl er aus Moskau stammt. Man fährt dorthin, wo man sich kennt, denn die jahrelangen Kontakte haben zu persönlichen Freundschaften geführt. Da wäre zu nennen Frau Glafira Grigorenko, die ehemalige Bürgermeisterin von Primorsk (Fischhausen), die in Baltijsk (Pillau) von Schwarz mit einer Urkunde geehrt wurde. Oder der Philosophie-Professor Wladimir Gilmanow, der vor dem Immanuel-Kant-Denkmal an der Albertina-Universität in Königsberg die schon fast obligatorische Kurzvorlesung über den berühmten Sohn der Stadt hält. Für erstmalige Reiseteilnehmer sind es stets überraschende Begegnungen: Mit russlanddeutscher Folklore in Trakehnen, dem Probst der Auferstehungskirche in Königsberg, der für einige sehr kleine evangelische Gemeinden zuständig ist oder einem Ornithologen der Vogelwarte in Rositten auf der Kurischen Nehring. Zum Sozial-Tourismus im besten Sinne wird die Fahrt beim Besuch des Diakoniezentrums an der Salzburger Kirche in Gumbinnen oder dem Salem-Kinderdorf „Raduga“ (Regenbogen) auf dem Land des früheren Gutshofs der Familie Schwarz. – Keine Frage, Louis Ferdinand Schwarz führt die Menschen zusammen abseits touristischer Pfade, die in Nord-Ostpreußen jedoch überhaupt noch nicht ausgetreten sind.

Der heutige Bezirk Kaliningrad mit knapp einer Million Bewohnern hat sich dank der Sonderwirtschaftszone „Jantar“ (Bernstein) wirtschaftlich relativ gut entwickelt. Apropos Bernstein: bei den Chinesen ist er derzeit sehr in Mode, daher wird in Palmnicken im Tagebau eifrig danach gebuddelt, wovon sich die Reisenden ein eindrucksvolles Bild machen konnten. Auch die Automobilproduktion floriert: Im Werk „Avtotor“ lässt beispielsweise BMW neuerdings sein SUV-Luxus-Flaggschiff X 7 fertigen – Russen lieben große Autos! Dennoch ist die isolierte Lage zwischen den EU-Ländern Polen und Litauen nicht nur der Wirtschaft, sondern auch dem Tourismus hinderlich. Zwar gibt es seit Mitte des Jahres die Möglichkeit der Online-Beantragung eines einwöchigen Einreisevisums, die Wartezeiten an den Grenzen sind dennoch unzumutbar lang und zeugen vom schlechten Verhältnis zwischen Russland und der EU. Da lernt man die Reisefreiheit im Schengen-Raum wieder zu schätzen! Wladimir Bondarenko, Verwaltungschef in Svetlogorsk, wünscht sich mehr Touristen für sein „Sotschi des Nordens“, wie das Ostseebad auch genannt wird. Aus Dissen und Umgebung sollten sie kommen, dies gab er Louis Ferdinand Schwarz mit auf den Weg.

Im August nächsten Jahres fährt der Reisepionier Schwarz wieder an die Bernsteinküste. Solange sie noch ein Geheim-Tipp ist, sollte man diese Gelegenheit nutzen.


Die nächste Ostpreußenreise ist geplant vom 8. bis 17. August 2020. Anmeldungen und Rückfragen bis spätestens 15. Januar 2020 an: Louis-Ferdinand Schwarz, Südstraße 6a, 49201 Dissen, Telefon (05421) 1325.