2003 kam das Aus für die traditionsreiche Jugendbuchreihe „Das Neue Universum“. Das renommierte Magazin erschien seit 1880 nahezu ununterbrochen jährlich. Dennoch wurde die Buchreihe des Münchner Südwest-Verlags mit dem 119. Band aus, wie es hieß, verlagsinternen Gründen eingestellt. Nun wagt der Carl-Hanser-Verlag einen Neuanfang.
Der Untertitel „Wissen. Zukunft. Abenteuer“ des für 2020 angekündigten 120. Bandes verspricht eine programmatische Anlehnung an die altbewährte inhaltliche Ausrichtung der legendären Buchreihe.
In der Vorankündigung wird betont, dass ein Buchformat wie „Das Neue Universum“ als einzigartiges Produkt von hoch geschätzter Qualität gerade heutzutage fehle. Man habe ein zeitgemäßes Konzept mit spannenden Reportagen, Neuigkeiten aus der Wissenschaft und Zukunftsforschung sowie digitalen Zusatzangeboten entwickelt. Damit ist klargestellt, dass der Buchverlag bei dem Projekt die neuen Medien nicht ignorieren wird.
Jugendzeitschriften waren Ende des 19. Jahrhunderts ein wichtiges Medium zur Vermittlung von technischen Zusammenhängen auch außerhalb von Schulen. Die Welt erlebte damals den Übergang in ein neues Zeitalter. Erfindungen wie Eisenbahn, Telegraf, Generator, Kühlmaschine und Unterseeboot wurden gemacht. Es öffneten sich neue globale Märkte und die Menschen beseelte ein Glaube an schier unerschöpfliche Möglichkeiten durch technischen Fortschritt.
So entsprach denn auch die programmatische Ausrichtung von „Das Neue Universum“ ganz dem Zeitgeist. Geboten wurden auf hohem Niveau populärwissenschaftlich aufbereitete Themen der Rubriken „Experimentieren und basteln“, „Industrie“ und „Technik“. Hinzu kam Science-Fiction-Literatur. Die Beiträge waren mit aufwendigen Illustrationen ausgestattet, seit den 1920er Jahren auch mit Farbtafeln.
Ausgerichtet waren sie auf eine zwölf- bis 17-jährige Leserschaft. Den – vorwiegend männlichen – Jugendlichen dienten sie als solide Informationsquelle und boten Unterhaltungsliteratur, welche ebenfalls an die aktuellen technischen Neuerungen anknüpfte. Jüngere Kinder erhielten altersgerechte Anregungen.
„Die interessantesten Erfindungen und Entdeckungen auf allen Gebieten, sowie Reiseschilderungen, Erzählungen, Jagden und Abenteuer. Ein Jahrbuch für Haus und Familie besonders für die reifere Jugend. Mit einem Anhang zur Selbstbeschäftigung ,Häusliche Werkstatt‘“, lautete die Vorrede zu Band 31 von 1910. Vorbild des Periodikums war ursprünglich das 1866 gegründete Magazin d’Education et Recréation des Pariser Verlegers Pierre-Jules Hetzel, in dem die meisten Texte von Jules Vernes abgedruckt wurden. Bekannte Unterhaltungsliteraten wie Friedrich Meister, Friedrich Wilhelm Mader, Isaak Asimov, Colin Ross und immer wieder der Vielschreiber Hans Dominik gehörten zu den Verfassern.
Der Untertitel der seit 1948 wieder fortgesetzten Buchreihe „Das Neue Universum“ lautete zunächst „Ein Jahrbuch des Wissens und Fortschritts“, dann ab 1970 „Forschung, Wissen, Unterhaltung. Ein Jahrbuch“ und ab 1985 „Ein Jahrbuch für Forschung, Wissen, Unterhaltung“.
Die Bände eins bis elf erschienen im W. Spemann Verlag Stuttgart, die Bände 12 bis 90 im Union Verlag Deutsche Verlagsgesellschaft, Stuttgart-Berlin-Leipzig. Der Münchner Südwest-Verlag verlegte die Bände 91 bis 119. In der DDR erschien seit 1958 ein Pendant mit dem Titel „Urania Universum“. Der Name bezog sich auf den Urania Verlag Jena, später Leipzig, bei dem die Buchreihe erschien. Einige der jährlichen Ausgaben wurden mit Preisen der UNESCO ausgezeichnet.
Anlässlich des 1953 erschienenen 70. Bandes widmete ein Autor der „Zeit“ dem Phänomen der Jugendbuchreihen Aufmerksamkeit und speziell dem „Neuen Universum“, das den stattlichen Umfang von 500 Seiten aufwies. Er monierte, dass die Themenauswahl des Periodikums nicht den Ansprüchen gerecht werde, die man an ein „modernes Jahrbuch für Jungens“ stellen müsse. Ihm fehlten geisteswissenschaftliche Themen. Jungen würden damit zu einem einseitigen Weltbild verführt. Ihm missfiel auch der Untertitel „Jahrbuch des Wissens und des Fortschritts“. Er fragte sich, ob in diesem Buch immer noch der Pseudogeist eines vermeintlichen „Fortschritts“ lebe, von dem man längst wisse, dass er eine überholte Kategorie des 19. Jahrhunderts sei.
Dabei hätte dem Kritiker des Magazins auffallen müssen, dass in den Nachkriegsausgaben von „Das Neue Universum“ immerhin keine Spur mehr von jener chauvinistischen Gesinnung zu finden war, die als zeitgeistiges Element von Beginn an viele Beiträge dieser Jugendbuchreihe kennzeichnete. Wissenschaft wurde im Deutschen Reich (und den anderen Industriestaaten) utilitaristisch bewertet: Weiße als Herrenrasse, und allen voran die Deutschen, hätten Anspruch auf die Ausbeutung von Rohstoffen in fernen Gegenden und Kontinenten.
Diese Haltung ging mit dem Fortschrittsglauben des 19. und frühen 20. Jahrhunderts einher. Sie prägte die Gesellschaften auch über das Medium Jugendbuch. Und wie stellt sich die Jagd nach Rohstoffen heute dar? Vielleicht wird man in einem der neuen Jahrbücher lesen können, dass sich bis heute im Endeffekt wenig geändert hat. Nur sind es heute andere, aus den reicheren Ländern stammende Akteure, die sich weltweit Zugriff auf die Rohstoffvorkommen in den ärmeren Ländern verschaffen und neue Absatzmärkte erobern. Ihre Ideologie oder besser: ihr Credo ist offiziell fern von chauvinistischem Gedankengut. Es heißt schlicht „Wachstum“. Obwohl inzwischen verpönt, wird den Menschen dieses Credo der Wirtschaftskreise und der Politiker nach wie vor als „alternativlos“ verkauft. Man darf gespannt sein, wie die Autoren von „Das Neue Universum“ demnächst die damit verbundenen Hintergründe bewerten und den Jugendlichen erklären.