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15.11.19 / Todenhöfers schonungslose Abrechnung mit der »Heuchelei des Westens«

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 46-19 vom 15. November 2019

Todenhöfers schonungslose Abrechnung mit der »Heuchelei des Westens«
Dirk Klose

Wer die politische Karriere des einstigen CDU-Bundestagsabgeordneten Jürgen Todenhöfer über die Jahre verfolgt hat, kann über dessen Wandlung vom betont konservativen Politiker zum moralisierenden Kritiker und Radikalpazifisten nur staunen. Inzwischen tritt sein Bild als Bonner Abgeordneter immer stärker hinter einem rigorosen Ankläger zurück, der den Westen und seine Politik cum grano salis für nahezu alle Übel in der internationalen Politik verantwortlich macht. Diese These lag mehreren seiner Bücher zugrunde, die alle-samt sehr erfolgreich waren. 

Sein neues Buch setzt diese radikale Kritik bruchlos fort. Es ist eine schonungslose Abrechnung mit der, wie der Buchtitel sagt, „großen Heuchelei“ des Westens, ergänzt um mehrere, ungemein spannend und anschaulich geschriebene Reportagen aus den Krisengebieten im Nahen Osten und Südasien. 

Es sei, so schreibt Todenhöfer, pure Heuchelei, wenn der Westen von Werten rede: Die Menschenrechtspolitik des Westens gegenüber dem Rest der Welt sei eine Mogelpakkung, „eine raffinierte Verhüllung kalter, oft brutaler Interessenpolitik“. Und andernorts: „Wir kämen der Wahrheit amerikanischer und westlicher Außenpolitik ganz nahe, wenn wir das Wort ,Werte‘ einfach durch das Wort ,Interessen‘ ersetzen würden.“

Durch die Jahrhunderte habe der Westen, erst die Europäer, dann mehr und mehr die USA, in der Geschichte eine einzige „Blutspur“ hinterlassen, angetrieben von einem Dünkel der Überheblichkeit gegenüber anderen Kulturen und von nackter Profitgier. Um nicht allzu einseitig zu erscheinen, kritisiert der Autor in einem besonderen Kapitel den „verbrecherischen Größenwahn“ des Islamischen Staates (IS), den er einen „barbarischen Terrorstaat“ nennt und dem er völlige Verblendung realer Gegebenheiten attestiert. 

Was Todenhöfer immer wieder auszeichnete, ist sein mitunter fast selbstmörderischer Mut, sich an den Brandherden der Welt selbst ein Bild zu machen. Das Buch enthält drei extrem gefährliche Unternehmen: im Jemen in das von den Huthi-Rebellen gehaltene Sanaa, eine Inspektion im Gazastreifen trotz israelischem Beschuss und eine erneute Reise in eine vom IS beherrschte Region in Syrien. 

Ein Buch wie dieses scheidet die Geister. Die einen werden Todenhöfer vehement zustimmen und in der Tat in der westlichen Politik die Ursache allen Übels sehen, andere werden sich an der penetranten Verteufelung des Westens stören. So war es bei früheren Büchern Todenhöfers, und so wird es auch jetzt wieder sein. Eine etwas differenziertere Betrachtung würde dem Autor sicher größeren Respekt einbringen. Dass Außenpolitik natürlich auch Interessenpolitik ist, hat schon Metternich erkannt, später Bismarck und nach ihm auch Adenauer. 

Zwei Ziele scheint der Autor im Auge zu haben: Zum einen eine Welt ohne Krieg: „Mit Krieg und Terror lässt sich die Welt nicht verbessern. Mit gewaltfreiem Widerstand im Stile Gandhis sehr wohl.“ Und dann: „Der Untergang einer Zivilisation beginnt mit dem Verlust ihrer Glaubwürdigkeit. Wenn der Westen seine Werte weiter so schamlos verrät, wird er untergehen.“ Man muss diese Mahnung ungeachtet vieler  Einwände gegen Argumentation und Stil des Autors wirklich ernst nehmen.

Jürgen Todenhöfer: „Die große Heuchelei. Wie Politik und Medien unsere Werte verraten“, Propyläen Verlag, Berlin 2019, gebunden, 330 Seiten, 19,99 Euro