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15.11.19 / Der satirische Wochenrückblick mit Hans Heckel / Jetzt sind »wir« dran / Wofür das Justizministerium wirbt, wie die DDR-Bewohner gekidnappt werden, und wie man die Demokratie wieder loswird

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 46-19 vom 15. November 2019

Der satirische Wochenrückblick mit Hans Heckel
Jetzt sind »wir« dran / Wofür das Justizministerium wirbt, wie die DDR-Bewohner gekidnappt werden, und wie man die Demokratie wieder loswird

Werbung ist dazu da, uns zum Kauf von Produkten oder Dienstleistungen zu verführen, zur Wahl einer Partei oder zum Besuch von irgendetwas. In jedem Falle sollen wir, so das Kalkül der Werber, zu etwas bewogen werden, das wir ohne die Werbung vermutlich nicht getan hätten. Sonst wäre die Werbung ja rausgeschmissenes Geld.

Das Bundesjustizministerium wirbt neuerdings mit der Parole „Wir sind Rechtsstaat“ für ... ja, wofür eigentlich? Fürs Gesetze einhalten? Meinen die, dass sie uns das extra sagen müssen? Das kann es nicht sein, wäre ja auch ziemlich dreist.

Regierungspropaganda erfüllt für gewöhnlich den Zweck, den Untertanen einzureden, dass alles in bester Ordnung sei, gerade weil es das nicht ist und die Bürger das merken. Überlastete Gerichte, ungesicherte Grenzen, ein Asylrecht, das einem Herrn Miri so allerhand erlaubt, überarbeitete Polizisten, die immer brutaler von politischen Kreisen attackiert werden, zu denen sich sogar unser Bun­despräsident hingezogen fühlt. Wir erinnern uns: Im Spätsommer 2018 hat Frank-Walter Steinmeier für ein linkes Konzert geworben, in dem die Gruppe „Feine Sahne Fischfilet“ auftrat. In deren Lied „Staatsgewalt“ funkelt die Zeile: „Die Bullenhelme, die sollen fliegen, eure Knüppel kriegt ihr in die Fresse rein.“

Recht interessant, was da über die Vorlieben unseres Staatsoberhauptes an die Oberfläche blubberte. Aber vielleicht ist ja genau das der Schlüssel zum Verständnis der Kampagne „Wir sind Rechtsstaat“. Sollen „wir“ nun richten, was die eigentlich Berufenen aus dem Staatsapparat nicht mehr hinkriegen, entweder weil sie nicht mehr können oder weil sie, siehe Steinmeier, andere „Prioritäten“ gefunden haben?

Ach nein, das hieße ja, das Bundesjustizministerium mache Werbung für Selbstjustiz. Ausgeschlossen. 

Die Wahrheit dürfte viel durchtriebener sein: Wenn nämlich „wir“ der Rechtsstaat sind, dann tragen „wir“ auch die Verantwortung für alles, was in Sachen gelebter Rechtsordnung zunehmend schiefläuft. Das folgt einem bekannten Muster: Wenn sich ein Politiker bei einer Sache selbstverschuldet festgewühlt hat, erklärt er das Problem kurzerhand zur „gesamtgesellschaftlichen Aufgabe“, zur „Herausforderung, die sich an uns alle richtet“, wie etwa das Stemmen der Grenzöffnungsfolgen seit 2015: Oben wird etwas verbockt, und bei uns hier lädt man die Verantwortung für die Resultate ab.

Was mit dem „Wir“ bezweckt wird, wäre also geklärt. Was aber bedeutet eigentlich „Rechtsstaat“? Und was wäre dann sein Gegenteil, der „Unrechtsstaat“? Darüber ist man sich zunehmend uneinig. Der Justizminister von Brandenburg, Stefan Ludwig (Linkspartei), hat gegen eine gemeinsame Erklärung seiner Ressortkollegen aus den anderen Bundesländern gestimmt, welche die DDR als Unrechtsstaat bezeichnet. Seine rot-grünen Kollegen aus den drei Stadtstaaten haben sich immerhin enthalten. Auch die Ministerpräsidenten von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig (SPD), und Thüringen, Bodo Ramelow (Linkspartei), sehen es ähnlich wie Ludwig.

Ludwigs Begründung: Die DDR könne gar kein Unrechtsstaat gewesen sein, weil dort „keine systematische Vernichtung von Andersdenkenden“ stattgefunden habe. Haben sich die Mauertoten beim Fluchtversuch bloß das Knie aufgeschlagen und sind dann an Blutvergiftung gestorben? Was ist mit Bautzen, Torgau, Zwangs­adoptionen von Kindern „Andersdenkender“ und so weiter?

Schwesig und Ramelow bringen vor, dass die Bezeichnung „Unrechtsstaat“ von vielen Menschen, die in der DDR gelebt hätten, als „herabsetzend“ empfunden werde. Das ist wirklich schlau. Man nennt sowas wohl am treffendsten „historisches Kidnapping“. Die Menschen, die unter dem SED-Regime leiden mussten, werden wie menschliche Schutzschilde vor eben dieses Regime geschnallt, um den Honeckerstaat vor Kritik zu schützen. Das ist dermaßen frech, dass wohl selbst denjenigen vor Überraschung der Atem stockt, die hier missbraucht werden sollen. Nämlich genau jene Menschen, die in der DDR gelebt haben und sich trotzdem nicht politisch haben korrumpieren lassen, die den Drohungen des Regimes widerstanden und die trotz eines kranken Wirtschaftssystems hart gearbeitet und (unter diesen Bedingungen) Beachtliches geleistet haben. Und die die rote Bande schließlich mutig zum Teufel jagten, obwohl sie im Fernsehen die Szenen von Peking gesehen hatten und wuss­ten, was ihnen blühen konnte.

Auch die SED-Verklärer haben es eben drauf mit dem „Wir“ – „wir“ waren SED-Staat, wir alle, die wir in der DDR gelebt haben. Ohne Ausnahme.

Ein anderer wirksamer Trick lautet: Wer die DDR als Unrechtsstaat bezeichne, verharmlose den Unrechtsstaat der Nationalsozialisten. Das sitzt natürlich, denn die Verharmlosung von NS-Verbrechen steht bekanntlich unter Strafe. So sagt Bodo Ramelow: „Der Begriff ,Unrechtsstaat‘ ist für mich persönlich unmittelbar und ausschließlich mit der Zeit der Nazi-Herrschaft verbunden.“ Wenn man das zu Ende denkt, darf keine einzige Tyrannei der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft mehr als „Unrechtsstaat“ bezeichnet werden – mit einer einzigen Ausnahme, dem Hitlerstaat nämlich.

Alles andere verschwindet unter dem Radar der Wahrnehmung. Die Feinde des Rechtsstaats lassen sich diese Chance nicht entgehen und legen los, weil niemand sie als Gefahr für Recht und Freiheit erkennt. Ist ja nicht „Nazi“. Als Erstes nehmen sie die Demokratie ins Visier. Wenn sie die nämlich gekippt haben, hat der Rechtsstaat seinen Schutz verloren. 

Für die Klimarettung, so hören wir in immer kürzeren Abständen aus zahllosen Kehlen, seien die demokratischen Prozesse zu langsam und zu halbherzig. Der Gründer und Guru von „Extinction Rebellion“, Roger Hallam, hat im „Spiegel“ vergangenen September dekretiert, das Klima-Thema sei „größer als die Demokratie“. Mit Blick auf unsere klimatische Sündhaftigkeit haut er auf den Tisch: „Wenn eine Gesellschaft so unmoralisch handelt, wird Demokratie irrelevant.“ Also weg damit. Stattdessen predigt er „direkte Aktionen“. 

Das Volk ist also nicht bloß zu dumm, es ist auch sittlich zu verdorben, um noch als Souverän infrage zu kommen. Was herauskommt, wenn Leute wie Hallam die Macht ergreifen, kennen wir aus der Geschichte. Nur dass wir das eben nicht mehr als „Unrechtsstaat“ bezeichnen sollen. Allerdings müssen wir das auch gar nicht. Es gibt einen anderen, ebenso passenden Begriff für das, was Hallam und Co. anstreben. Er lautet Faschismus.

Hallam hat alles, was man für dessen Errichtung benötigt: Die Überzeugung, dass der Pöbel eine strenge Hand benötigt, und das Schreckgemälde einer unmittelbaren tödlichen Bedrohung, mit der er jede erdenkliche Willkürmaßnahme rechtfertigen wird. 

Der Brite ist weder allein noch der erste demokratiefeindliche Klimaretter: „Wir benötigen eine autoritäre Regierungsform, um den Konsens der Wissenschaft zu Treibhausgasemissionen durchzusetzen“, forderten die Australier David Shearman und Joseph Wayne Smith in ihrem Buch „Der Klimawandel und das Scheitern der Demokratie“ schon vor mehr als zehn Jahren.

Aber vielleicht hat so eine Diktatur ja tatsächlich was Gutes. War der SED-Staat womöglich doch ein Paradies? Kanzlerin Merkel sagte zum 30. Jahrestag des Mauerfalls: „Keine Mauer, die Menschen ausgrenzt und Freiheiten begrenzt, ist so hoch oder so breit, dass sie nicht doch durchbrochen werden kann.“ Das ist doch interessant. Laut Merkel hat die Mauer also nicht eingesperrt, sondern Leute, die reinwollten (in die DDR), „ausgegrenzt“. Das ist original SED-Lesart: Der „Schutzwall“ diene lediglich dem Schutz gegen Eindringlinge von draußen. Aus welchem ideologischen Teich fischt Frau Merkel eigentlich ihre Erkenntnisse?