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22.11.19 / »Berührungslose Folter« / Vor dem Westminster Magistrates’ Court erschien ein von der Haft schwer gezeichneter Julian Assange

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 47-19 vom 22. November 2019

»Berührungslose Folter«
Vor dem Westminster Magistrates’ Court erschien ein von der Haft schwer gezeichneter Julian Assange
Florian Stumfall

Vor dem Westminster Magistrates’ Court in London fand Ende vergangenen Monats eine Anhörung des Beschuldigten Julian Assange statt, bei der es um dessen Auslieferung in die USA ging. Bei dieser Gelegenheit war der Mann, der die Enthüllungsplattform Wikileaks weltweit bekannt gemacht hat, seit längerer Zeit erstmals in der Öffentlichkeit zu sehen. Sein Auftreten weckte böse Ahnungen bezüglich des Strafvollzugs in Großbritannien.

Craig Murray, ein enger Freund des Beschuldigten und einst als Botschafter in den Diensten des Vereinigten Königreiches, war erschüttert vom Zustand Assanges, und zwar mehr noch als von seiner körperlichen von dessen geistiger Verfassung: „Doch seine physische Erscheinung war nicht so schockierend wie der Abbau seiner mentalen Fähigkeiten. Als er aufgefordert wurde, seinen Namen und sein Geburtsdatum zu nennen, hatte er mehrere Sekunden deutlich damit zu kämpfen, sich an beides zu erinnern.“

Murray fühlt sich durch den Anblick seines Freundes an Folteropfer erinnert, denen er in eher exotischen Ländern begegnet ist. Er stimmt darin mit dem seit 2016 amtierenden UN-Sonderberichterstatter über Folter (UN Special Rapporteur on Torture and Other Cruel, Inhuman or Degrading Treatment or Punishment), dem Schweizer Rechtswissenschaftler und Diplomaten Nils Melzer, überein. Dieser hat festgestellt, Assange weise alle Symptome jahrelanger psychischer Folter auf. nämlich „extremen Stress, chronische Angst und ein schweres seelisches Trauma“. Murrays Eindruck: „Jeder Anwesende sah gestern in diesem Gerichtssaal, dass einer der größten Journalisten und wichtigsten Dissidenten unserer Zeit vor unseren Augen durch den Staat zu Tode gefoltert wird. Es war unerträglich, meinen Freund, den sprachgewandten Mann, den schnellsten Denker, den ich je kannte, zu einem taumelnden, brüchigen Wrack erniedrigt zu sehen.“

Der frühere Botschafter berichtete zudem von einer verstörenden Beobachtung. Während die Argumente der Verteidigung für einen Aufschub des Ge­richtstermins für die Hauptverhandlung von der Richterin unbeachtet blieben, folgte sie willig der Staatsanwaltschaft, die sich während der Verhandlung im regen Austausch mit fünf Vertretern der US-Regierung befand, die im Gericht zugegen waren. Murray dazu: „Die US-Regierung diktierte“ dem Staatsanwalt „Lewis ihre Instruktionen, dieser gab sie an“ die Richterin „Baraitser weiter, und sie machte diese zu ihrer rechtskräftigen Entscheidung.“

Dieselbe Richterin Baraitser, die den Anwälten von Assange im Sinne einer gründlichen Vorbereitung eine Verlängerung der Frist bis zur Hauptverhandlung Ende Februar verweigerte, wird – ganz entgegen aller prozessualen Üblichkeit, die bei verschiedenen Instanzen auch verschiedene Richter vorsieht – auch die Hauptverhandlung leiten. Als sie Assange fragte, ob er alles verstanden habe, gab dieser zur Antwort: „Ich kann nicht richtig denken.“ Dass sie dem Antrag der USA auf Auslieferung des Beklagten stattgeben wird, ist kaum zu bezweifeln. Danach soll Assange nach dem Spionagegesetz der USA angeklagt werden. Ihm drohen 175 Jahre Haft, gegebenenfalls auch die Todesstrafe.

Assange lebt im Gefängnis von Belmarsh täglich 23 Stunden in vollständiger Isolation. Er wird lediglich eine Dreiviertelstunde lang zu sportlicher Betätigung in den Hof gelassen. Eine derart konsequente Abschottung gilt nach internationalen Maßstäben als Folter. Melzer bestätigt mit seiner Darstellung die Aussage von Assanges Vater, John Shipton, sein Sohn sei „berührungsloser Folter“ ausgesetzt und „verrotte“ im Gefängnis. Es sei offensichtlich, „dass die Gesundheit von Herrn Assange ernsthaft durch das extrem feindselige und willkürliche Umfeld der vergangenen Jahre beeinträchtigt wurde“. Anfang Mai hatte Melzer zusammen mit einer Gruppe von Ärzten Assange im Gefängnis in London besucht und daraufhin Ende Juni den Bericht „Demasking the Torture of Julian Assange“ ( Entlarvung der Folter Julian Assanges) verfasst. 

Bemerkenswert ist, dass Melzer eingestand, er selbst habe, als er sich des Falles Assange annahm, zunächst Vorbehalte gegen den Beklagten gehabt. Er sei „von der gleichen fehlgeleiteten Hetzkampagne wie alle anderen beeinflusst“ gewesen. In diesem Zusammenhang fällte der UN-Beauftragte ein vernichtendes Urteil über die Jahre andauernde Hetzjagd von Großbritannien, Schweden und Ecuador auf Assange. Was Ecuador angeht, so waren im Hintergrund auch die USA daran beteiligt. Denn diese machten einen Milliardenkredit für Ecuador davon abhängig, dass Assange aus seinem Asyl in der ecuadorianischen Botschaft in London ausgewiesen wurde.

Melzer machte sich bald von seinen Vorurteilen gegen Assange frei. Nach monatelangen Untersuchungen gab Melzer eine Erklärung ab. Dabei prangerte er die Vorwürfe gegen den Wikileaks-Frontmann als „Lügen und Verleumdungen“ an. Seit 2010, so Melzer, habe es eine „unaufhörliche und unerbittliche Kampagne des öffentlichen Mobbing, der Einschüchterung und Verleumdung gegen Mr. Assange gegeben“. Der UN-Beauftragte fährt fort: „In 20 Jahren Arbeit mit Opfern von Krieg, Gewalt und politischer Verfolgung habe ich noch nie erlebt, dass sich eine Gruppe demokratischer Staaten zusammengeschlossen hat, um einen einzelnen Menschen für so lange Zeit und unter so wenig Berücksichtigung der Menschenwürde und der Rechtsstaatlichkeit bewusst zu isolieren, zu verteufeln und zu misshandeln.“

Dazu kommt, dass auch Amnesty International mit der causa Assange nur sehr verhalten umgeht. Ansonsten für jede Schlagzeile dankbar, schweigt man in diesem Falle lieber. Das alles wirft die Frage danach auf, was eigentlich Assange verbrochen hat. Ganz genau genommen hat er nichts anderes getan, als das, was die Pflicht des Journalismus ist: zu informieren, Fakten aufzudecken und die Politik zu kontrollieren. Dass er bei diesem Bemühen so einsam dasteht, wirft ein eigenartiges Licht auf große Teile der internationalen Medienwelt.