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22.11.19 / Linkspartei ohne Wagenknecht / Warum Nachfolgerin Amira Mohamed Ali die Gräben zwischen den Parteiflügeln überbrücken könnte

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 47-19 vom 22. November 2019

Linkspartei ohne Wagenknecht
Warum Nachfolgerin Amira Mohamed Ali die Gräben zwischen den Parteiflügeln überbrücken könnte
Peter Entinger

Für die Linkspartei endete eine Ära. Mit dem Rückzug von Sahra Wagenknecht aus der Fraktionsspitze verliert sie ihr prominentestes Gesicht. Als Hinterbänklerin könnte sie dennoch für Unruhe sorgen.

Wagenknechts Nachfolgerin, Amira Mohamed Ali, tritt ein schweres Erbe an. Nicht nur, weil es für sie mühsam sein dürfte, aus dem Schatten Wagenknechts herauszutreten, sondern weil deren Zerwürfnis mit Parteichefin Katja Kipping nachwirkt. Die 39-Jährige, die dem Wagenknecht-Flügel zugerechnet wird, muss der Partei klarmachen, dass sie neue Wege gehen will. Dass der Reformer Dietmar Bartsch, der als äußerst kompromissbereit gilt, wiedergewählt wurde, galt als sicher. Dass sich Mohamed Ali gegen die von Kipping präferierte Caren Lay durchsetzte, zeigt vor allem, wie tief die Gräben zwischen Fraktion und Parteispitze mittlerweile sind. Gegenüber dem „Tagesspiegel“ hatte sich auch Co-Parteichef Bernd Riexinger für Lay ausgesprochen

Mohamed Ali ist zwar in Hamburg geboren, aber vertritt den niedersächsischen Wahlkreis Oldenburg-Ammerland im Parlament. Ihre Kandidatur für den Fraktionsvorsitz begründete sie damit, dass es ihr in „diesen Zeiten des unsäglichen Rechtsrucks, des wachsenden Antisemitismus und Rassismus … sehr wichtig“ sei, deutlich zu machen, auf welcher Seite die Partei stehe. Die 39-Jährige ist Tochter eines Ägypters und einer Deutschen und bezeichnete sich selbst als „eine Betroffene des Rassismus“. 

In diesen Aussagen liegt möglicherweise ein Ansatz zur Versöhnung der Parteiflügel. Zwar gilt Mohamed Ali als Anhängerin Wagenknechts, doch in Sachen Einwanderung vertritt sie andere Positionen, steht Kipping näher. 

Die Zeit mit Wagenknecht an der Fraktionsspitze war geprägt von ständigen Meinungsverschiedenheiten zwischen ihr und der Parteispitze um Katja Kipping und Riexinger. Wagenknecht sieht eine Politik der offenen Grenzen für alle kritisch und ist der Ansicht, ihre Partei habe sich nicht zuletzt mit ihrer Einwanderungspolitik von ihrer eigentlichen Klientel entfernt. Die Auseinandersetzungen und ein Burnout hatten Wagenknecht nach eigenen Angaben schließlich zum Rückzug von der Fraktionsspitze bewogen. Viele Linke hatten Wagenknecht vorgeworfen, der verlängerte Arm ihres im Unfrieden aus der Parteispitze ausgeschiedenen Ehemannes Oskar Lafontaine zu sein. 

Die 50-Jährige, die nach eigener Aussage mittlerweile „wieder gut erholt“ ist, plant keinen vollständigen Ausstieg aus der Politik. Ihr Bundestagsmandat will sie behalten, und auch eine erneute Kandidatur für den Bundestag bei der nächsten Wahl kann sie sich nach eigenen Angaben zum aktuellen Zeitpunkt gut vorstellen. Viele Partei- und Fraktionsmitglieder hätten sie außerdem ausdrücklich gebeten, weiter öffentlich aufzutreten und ein Gesicht der Linken zu bleiben, sagte Wagenknecht der Deutschen Presse-Agentur. 

Laut dem Politikwissenschaftler Thomas Oppelland von der Universität Jena hat Wagenknecht viel Charisma ausgestrahlt und besonders im Osten der Republik Wähler von der AfD ablenken können. Ihre Standpunkte zur Immigration hätten jedoch in ihrer Partei Widerstand hervorgerufen. Die Partei sei gespalten – denn die meisten Mitglieder gäbe es im Westen Deutschlands, die meisten Wähler aber in den neuen Bun­desländern. „Ihre Lücke wird so schnell niemand füllen können“, prophezeite Oppelland gegen­über dem Deutschlandfunk.

In der Tat steht die Linkspartei vor einem Dilemma. Im Westen konkurriert ihre multikulturell und ökologisch ausgerichtete Funktionärselite vor allem in den Großstädten mit den Grünen. In Mitteldeutschland lief ihr bei den vergangenen Landtagswahlen die AfD den Rang ab. Eine Ausnahme bildet zwar Thüringen, doch der dort regierende Pragmatiker Bodo Ramelow ist den Theoretikern in der Parteispitze ein Dorn im Auge. Wagenknecht versteht sich gut mit Ramelow. 

Die in Jena geborene Tochter eines Iraners und einer Deutschen hat eine beachtliche Wandlung vollzogen. Mitte der Neunziger gab sie den kommunistischen Bürgerschreck. Sie marschierte durch die Parteiinstanzen und wurde am Ende zur Wortführerin eines Flügels, den interne Kritiker als „linksnational“ bezeichnen. Heftige Kritik erntete Wagenknecht 2016 für ein gemeinsames Interview mit der damaligen AfD-Vorsitzenden Frauke Petry in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“. Sie zeige zu viel Gemeinsamkeiten mit der AfD, warfen ihr ihre Gegner vor.

Zeitweise war sie mehr mit dem Kampf gegen die eigene Partei beschäftigt als mit der Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner. Sie tingelte von Diskussionssendung zu Diskussionssendung und gründete die Bewegung „Aufstehen“, die als Vorläufer einer neuen Partei gesehen wurde. Doch die Resonanz blieb gering, außer einem Datenbestand von rund 100000 E-Mails blieb nichts übrig. Heute gibt sie den innerparteilichen Querelen die Schuld an ihren gesundheitlichen Problemen: „Ich war irgendwann aufgerieben von den ständigen internen Angriffen«, sagte sie gegen­über „Spiegel Online“. 

Als Hinterbänklerin ohne Verantwortung wird sie dennoch eine gefragte Ansprechpartnerin für die Medien sein. „Ich möchte weiter politisch etwas bewegen, und deswegen werde ich natürlich auch nach wie vor meine Positionen öffentlich vertreten und dafür werben“, sagte sie. Für die Parteiführung mag sich das wie eine Drohung anhören. Noch gibt sich die Politikerin, Volkswirtin und Publizistin versöhnlich. „Ich wünsche meiner Nachfolgerin und der gesamten neuen Fraktionsspitze, dass sie jetzt eine gute Chance bekommt“, schrieb sie, nachdem ihre Nachfolgerin gewählt worden war.