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22.11.19 / Venedigs »bester Maler« / Große Tiepolo-Ausstellung in Stuttgart – Der Barockmaler hinterließ seine Spuren auch in Deutschland

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 47-19 vom 22. November 2019

Venedigs »bester Maler«
Große Tiepolo-Ausstellung in Stuttgart – Der Barockmaler hinterließ seine Spuren auch in Deutschland
Veit-Mario Thiede

Es gibt kaum eine Kirche in Venedig, in der nicht ein Werk von Tiepolo zu sehen ist. Der Maler gilt als einer der bedeutendsten Künstler der Stadt. Dort bereitet man sich schon auf den im nächsten Jahr anstehenden 250. Todestag vor. Stuttgart präsentiert schon jetzt große Tiepolo-Gemälde.

Der in Venedig geborene Giovanni Battista Tiepolo (1696–1770) hinterließ uns im Treppenhaus der Würzburger Residenz das größte einteilige Deckengemälde der Welt. Das 1753 vollendete Fresko „Apoll und die vier Erdteile“ nimmt 608 Quadratmeter ein. 

In deutschen Museen aber gibt es nur wenige Werke von ihm. Mit einer Ausnahme: Die Staatsgalerie Stuttgart besitzt mehrere Gemälde sowie eine größere Zahl von Zeichnungen und Radierungen des Künstlers. Zusammen mit internationalen Leihgaben bieten sie erstmals in Deutschland einen Gesamtüberblick über sein Werk. Der mit König Friedrich II. von Preußen befreundete Schriftsteller und Kunstkritiker Francesco Algarotti lobte Tiepolo als den „besten Maler Venedigs“.

Sein Frühwerk zeichnet eine in der Malerei seltene Eigenschaft aus: Humor. So verwandelt das Gemälde „Apelles malt das Bild der Campaspe“ (um 1725/30) ei­ne vom antiken Gelehrten Plinius dem Älteren feierlich ge­schilderte Begebenheit in eine komische Szene. Alexander der Große und seine Mätresse Campaspe sitzen auf einem Podest. Entgeistert starren sie auf das Bildnis, an dem der berühmte Maler arbeitet. Weil Apelles mit dem Rücken zu ihnen vor seiner Staffelei sitzt, muss er sich den Kopf verrenken, um Campaspe zu studieren. Der in sein Modell verliebte Maler blickt ziemlich dümmlich drein – das auf die Leinwand gesetzte Porträt ähnelt mehr ihm selbst als seiner Angebeteten.

Obendrein hatte Tiepolo eine Vorliebe für verblüffende Bildlösungen. Zum Beispiel wird der „Raub der Europa“ üblicherweise höchst dramatisch geschildert. Auf Tiepolos um 1720/22 ge­schaffenem Gemälde hingegen bereitet sich Europa in aller Ruhe auf ihre Entführung vor. Eine Dienerin steckt ihr Blumen ins Haar, eine andere pflegt Europas Füße. Sie sitzt bereits auf ihrem geduldig abwartenden Entführer. Der ist kein geringerer als Göttervater Jupiter. Er hat es sich in Gestalt eines Stieres auf dem Erdboden gemütlich gemacht.

Unheimlich sind hingegen Tiepolos Radierungen der Serien „Vari Capricci“ und „Scherzi di Fantasia“. Zwischen Ruinen und Grabmälern widmen sich Gestalten rätselhaften Aktivitäten. Ausstellungskuratorin Annette Hojer urteilt: „Das Studium der Mysterienkulte, die mit Babylon und dem Alten Ägypten in Verbindung gebracht wurden, war im 

18. Jahrhundert in Venedig in Mode. Sicherlich spielen Tiepolos pittoreske Motive auf diese Welt der Exotik, Magie und auch Philosophie an.“ Die Nichtverstehbarkeit der „Capricci“ und „Scherzi“ sei vom Künstler beabsichtigt.

Neben Motiven aus der antiken Mythologie wie etwa „Apoll und Daphne“ (um 1743/45) und der zum Beispiel mit dem Gemälde „Mucius Scaevola vor Porsenna“ (1751/53) vertretenen Historie des alten Roms stehen christliche Stoffe im Blickpunkt. Zwar machen letztere ein Drittel seines Schaffens aus, aber erhalten erst allmählich die ihnen gebührende Wertschätzung. 

Gern nutzt Tiepolo in seinen religiösen Bildern die Nahsicht zur so packenden wie gefühlsbetonten Ansprache der Betrachter. Diesbezüglich ist das Gemälde „Hagar und Ismael“ (um 1732) eine Glanzleistung. Erzvater Ab­raham hat seine Zweitfrau Hagar und den gemeinsamen Sohn Ismael verstoßen. In der Wüste ist ihnen das Wasser ausgegangen. 

Direkt vor uns liegt am unteren Bildrand der dem Verdursten nahe Junge und schaut uns aus fast geschlossenen Augen apathisch an. Seine Mutter aber 

blickt zu dem in Erscheinung ge­tretenen Engel auf, der Ismael vor dem sicheren Tod bewahren wird.

Zuweilen sind die Gemälde irritierend mehrdeutig. Was hat der von Tiepolo gemalte „Heilige Jakobus der Ältere“ (1749/50) vor? Der spanische Nationalheilige erschien der Überlieferung zu­folge in der Schlacht von Clavijo, um den Christen zum Sieg über die Sarazenen zu verhelfen. 

Jakobus sitzt in der Kleidung eines Komturs des Santiago-Ritterordens auf einem Schimmel, neben dem gesenkten Hauptes der feindliche Heerführer kniet. Der Heilige aber hat den Kopf erhoben und richtet die Augen zum Himmel auf. Offenbar lauscht er einer göttlichen Eingebung. Sein Schwert ruht im Nacken des Sarazenen. Will ihm Jakobus den Kopf abschlagen 

– oder soll das ein Ritterschlag zum Zeichen der Bekehrung des Ungläubigen werden?

Zu den groß- oder mittelformatigen Gemälden treten kleine Ölstudien, die der Vorbereitung  von Altarbildern und Deckengemälden dienten. Sie werden be­reits seit dem 18. Jahrhundert we­gen ihrer meisterhaften Ausführung als eigenständige Kunstwerke geschätzt. Die Ölskizze „Apoll führt dem Genius Imperii die kaiserliche Braut zu“ schuf der 1751 mit seinen Werkstattgehilfen nach Würzburg gereiste Tiepolo zur Vorbereitung seines Deckengemäldes im Kaisersaal der fürstbischöflichen Residenz. 

Dem Ruf an den spanischen Königshof wollte Tiepolo eigentlich nicht folgen. Aber die Regierung der Republik Venedig hielt ihn dazu an. Mit einem seiner in Madrid entstandenen Deckengemälde macht uns die Ölskizze „Apotheose der spanischen Mo­narchie“ (um 1764) bekannt. Seine Heimatstadt sah „der beste Maler Venedigs“ nicht wieder. Er starb am 27. März 1770 in Madrid. 

Bis 2. Februar in der Staatsgalerie Stuttgart, Konrad-Adenauer-Straße 30–32, geöffnet Dienstag bis Sonntag von 10 bis 17 Uhr, donnerstags bis 20 Uhr, Eintritt: 12 Euro. www.staatsgalerie.de