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22.11.19 / »Wo liegt denn der Willy?« / Schunkeln mit dem Sensenmann am Totensonntag – Ein Besuch auf dem Kölner Melaten-Friedhof

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 47-19 vom 22. November 2019

»Wo liegt denn der Willy?«
Schunkeln mit dem Sensenmann am Totensonntag – Ein Besuch auf dem Kölner Melaten-Friedhof
Bettina Müller

Auch wenn auf dem Kölner Melaten-Friedhof verstorbene Karnevalsgrößen bestattet sind – der Humor ist damit nicht begraben.

Friedhof Melaten, Flur 82. Ahnungslose Besucher, die eben noch entspannt durchgeatmet haben, weil das viele Grün endlich mal für gute Luft in der feinstaubgeplagten Stadt sorgt, sehen sich plötzlich mit dem Sensenmann konfrontiert. 

Plötzlich steht er vor einem und lässt einem für einen kurzen Moment einen Schauer über den Rücken laufen. Dann ein kollektives Aufatmen und die Gewissheit: Er ist nur aus Stein. Mit seiner Laterne in den langen, knochigen Fingern auf einem kargen Felsen kann man ihm wohl eine gewisse Symbolik mit der Brechstange bescheinigen. 

Diese außergewöhnliche und in Deutschland wohl einzigartige Skulptur des Bildhauers August Schmiemann, der zum Beispiel auch den „Kiepenkerl“ in Münster schuf, ist wohl das skurrilste Werk von vielen auf dem Friedhof, der einst am 29. Juni 1810 von Dompfarrer Michael Joseph Dumont eingeweiht wurde. Aus hygienischen Gründen versteht sich, und natürlich waren die Franzosen schuld. 

Die französischen Besetzer, die 1794 in die Stadt eingefallen waren, brachten andere Sitten und Gebräuche mit, und mit einem Beerdigungswesen für Katholiken innerhalb der Stadtmauern waren sie überhaupt nicht einverstanden, da könnte man sich ja die Lepra einfangen. Und so entstand aus dem französischen „malade“ für „krank“ auch im Laufe der Zeit die Bezeichnung Melaten-Friedhof, der heute stadtauswärts in westlicher Richtung an der Aachener Straße auf dem Gelände eines ehemaligen Leprosenheims liegt. 

Schon länger haben die furchtlosen Kölner diesen friedlichen Ort als Oase der Erholung entdeckt. Vorbei sind die Zeiten, als Kulturinteressierte, die gerade im Begriff waren, Fotos von einem besonders schönem Grabstein zu machen, von aufmerksamen Be­suchern als potenzielle Grabräuber misstrauisch beäugt wurden und diese fast Angst haben muss­ten, von der Polizei in Handschellen abgeführt zu werden.

Eine Wandlung der Friedhofskultur, die immer mehr zu einer Freizeitkultur wurde, ist in jüngster Zeit zu beobachten. Beson­ders die historischen Friedhöfe der Großstädte mit ihren künstlerisch sehr wertvollen Skulpturen, Or­namenten und anderen Beson­derheiten üben zunehmend eine Faszination auf die Menschen aus, die den Schrecken des Todes vergessen lassen, der so in das Leben mit einbezogen wird. Andere Kulturen sind da schon lange deutlich weiter, vor allem in Mexiko, wo am alljährlichen „Dia de los muertos“ partyähnliche Stimmung auf den Friedhöfen herrscht, man gut gelaunt die Toten besucht, ihre Gräber schmückt und ihnen ihre Lieblingsspeisen mitbringt. 

Ähnlich voll, aber deutlich verhaltener von der Stimmung her, war es zum Beispiel auf Melaten im Jahr 2016, als Guido Westerwelle am 18. März starb und am 

2. April auf dem Melaten-Friedhof an der „Millionenallee“ beerdigt wurde. Die Kölner strömten in den Wochen darauf in Scharen herbei, um ihm die letzte Ehre zu erweisen. 

Die „Millionenallee“, das ist so­zusagen der „Maserati“ unter den Grabfluren. Hier wollten sie alle hin, die in Köln Rang und Namen hatten, um sich mit opulenten Gräbern ein Denkmal für die Ewigkeit zu setzen: Politiker, Künstler, Firmengründer, Kaufleute, Gewerkschaftsführer, Ge­lehrte: Die Liste und Formensprache der Grabdenkmäler ist endlos und so vielfältig, wie es die Kölner Stadtgeschichte ist. 

Mittlerweile kann man Patenschaften für viele historische Gräber erwerben, sorgt damit für deren regelmäßige Pflege und hat so selber auch das Recht, dort be­stattet zu werden im Schatten der Engelsskulpturen oder engelsgleichen Jünglinge, die in ewiger kontemplativer Geste in Stein gemeißelt worden sind. 

Manche Engel erscheinen weniger freundlich, sie drohen, mahnen und rufen mit riesigen Raum einnehmenden Flügeln die Le­benden zur Ordnung und zum Glauben auf, sonst geht das Ganze beim Jüngsten Gericht nicht gut für sie aus. Andere wiederum haben einen deutlich erotischen Hauch, das dünne Tuch aus Stein soll den Oberkörper bewusst nicht züchtig verhüllen. Viele sehen beängstigend real aus, trotz des Grünspans, der sich in den langen Jahren als Patina angesetzt hat.

Schon länger werden Führungen zu ganz verschiedenen Themenblöcken angeboten. Zuweilen kommt es dabei zu Verwechslungen. Der Besucher ist ratlos, weil der freundliche Herr ganz vorne nicht auf Kölner Promis zu sprechen kommt, sondern stattdessen ständig von Karneval erzählt. In diesem Moment fehlt eigentlich nur noch der Bollerwagen mit dem Bierfass, um mit hellem Gerstensaft anzustoßen, doch das verbietet die Friedhofsordnung.

Ein Kostümzwang soll es für die Karnevalsführungen wohl noch nicht geben, und so merkt der verwirrte Besucher eben zu spät, dass er sich nicht der „normalen“ Führung angeschlossen hat, sondern aus Versehen der karnevalistischen, bei der die Besucher zu den Gräbern gelangen, in denen bekannte Kölner Karnevalisten liegen. Den Bierausschank gibt es zwar zum Beispiel bei der „Brauertour“ tatsächlich, aber dann außerhalb des Friedhofs und nach der Führung zu den Gräbern bekannter Bierbrauerdynastien, wie zum Beispiel dem der Früh-Familie, die in der Millionenallee bestattet wurden. 

Wenigstens kann man ihnen vorher im Vorbeigehen in Gedanken zuprosten. Dann schallen verwirrte Rufe herüber: „Wo liegt denn der Willy?“ Dann sind wieder Menschen unterwegs, die sich ohne Führung auf der Suche nach dem Bekanntesten aller Kölschen Karnevalisten auf dem riesigen Areal des Friedhofs verlaufen ha­ben. Zu „uns Willy“ wollen sie, Willy Millowitsch, dem schnurrbärtigen Prototypen des urkölschen Karnevalisten im Schunkeldauermodus. Interessierte Besucher auch ganz ohne karnevalistische Neigungen sollten viel Zeit mitbringen, es gibt bei insgesamt 55540 Grabstätten so einiges an Geschichte und Kultur zu entdecken. Natürlich nur dann, wenn man Flur 82 unbeschadet passiert hat.