29.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
22.11.19 / Die Vorgeschichte des Revolutionsherbsts 1989

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 47-19 vom 22. November 2019

Die Vorgeschichte des Revolutionsherbsts 1989
Erik Lommatzsch

Für die meisten verbindet sich die „Friedliche Revolution“ in der DDR vor allem mit  den großen Demonstrationen und anderen Ereignissen des Herbstes 1989. Dass die Geschichte ein ganzes Stück weiter zurückreicht, wird vergleichsweise selten wahrgenommen. Entgegenwirken will dem die im August 1987 einsetzende und bis zum Jahresende 1989 reichende Chronik  „Weg in den Aufstand“. Zwei Bände liegen vor, der abschließende dritte ist für nächstes Frühjahr angekündigt. Erarbeitet und herausgegeben wird das Werk von damaligen Oppositionellen. Einleitend heißt es freimütig, wer ihnen „eine ausgeprägt subjektive Perspektive der Wahrnehmung unterstellen wollte, hätte einfach recht“. Anspruch auf Vollständigkeit wird nicht erhoben.

Innerhalb der in der DDR natürlich illegalen Opposition hatte man sich darauf geeinigt, den Schwerpunkt auf Leipzig zu legen. Hier fand sich seit Sommer 1988 regelmäßig der „Sonn-abendskreis“  zusammen, über den sich Bürger- und Menschenrechtsgruppen, Redaktionen von Untergrundzeitschriften, alternative Bibliotheken sowie Friedens- und Umweltgruppen, die über etwa 50 Orte verteilt waren, austauschen konnten. 

Eine Vielzahl von Aktionen, etwa Flugblätter, Proteste, Schweigemärsche, offene Briefe, Interventionen, beispielsweise gegen die gefälschte Kommunalwahl vom Mai 1989, gingen von den verschiedenen Gruppierungen aus. Die Anzahl der Beteiligten war zunächst überschaubar. Konsequent und oft, unter persönlichen Opfern – dies konnte etwa die Verweigerung einer adäquaten Ausbildung, aber auch andere Schikanen oder Haft bedeuten – waren gerade sie es, die den Boden für den Umbruch und das Ende des SED-Regimes bereiteten. 

Neben der Verknüpfung innerhalb der DDR wurden Kontakte zu Bewegungen anderer Staaten des Ostblocks hergestellt. Eine Besonderheit in Leipzig war, dass Ausreisewillige hier als Teil der Opposition gesehen wurden. Diejenigen, die ausschließlich auf Reformen im eigenen Land hinarbeiteten, grenzten sich nicht von ihnen ab. Man suchte auch Unterstützung im sogenannten westlichen Ausland, insbesondere in der Bundesrepublik. Die West-Berliner CDU etwa zeigte sich offen oder einzelne Grüne. Vervielfältigungstechnik wurde zur Verfügung gestellt, die unter der Hand in die DDR gebracht werden musste. Die Bundestagsabgeordnete Petra Kelly protestierte im Januar 1989  bei Erich Honecker gegen die Verhaftung von Demonstranten, die von ihrem Recht auf Meinungsfreiheit Gebrauch gemacht hatten. Dagegen ließ der damalige SPD-Vorsitzende Hans-Jochen Vogel die Bitte, sich für die Inhaftierten einzusetzen, durch sein Büro mit der Bemerkung bescheiden: „Die DDR ist ein Rechtsstaat und vor einer Verurteilung kann nichts unternommen werden.“

Materialien der damaligen Leipziger Gruppierungen „Arbeitskreis Gerechtigkeit“ und „Arbeitsgruppe Menschenrechte“, des „Sonnabendskreises“ sowie der Oppositionszeitschrift „Grenzfall“ bilden die Basis der Chronik. Diese erschöpft sich bei weitem nicht in der Auflistung von Daten, sondern vermittelt ein anschauliches Bild des Wirkens derjenigen, die der zweiten deutschen Diktatur schon vor dem „Wendeherbst“ etwas entgegensetzten. Die evangelische Kirche bot ein Dach für diese Bestrebungen, die jedoch nicht von allen Amtsträgern gleichermaßen gutgeheißen wurden. Hervorzuheben ist das engagierte Wirken des Leipziger Pfarrers Christoph Wonneberger. Superintendent Friedrich Magirius hingegen, noch immer als maßgebliche Persönlichkeit des Umbruchs wahrgenommen, gilt den Oppositionellen als „Revolutionsheld nach Sendeschluss“.

Obwohl der Gegenstand des Werkes ein historischer ist, finden sich durchaus aktuelle Bezüge. So heißt es etwa im Vorwort zum zweiten Band, wer „Toleranz gegenüber anderen Meinungen heute nicht aufbringt und leichtfertig für Einschränkungen des Demonstrationsrechts plädiert oder eine gewaltfreie Demonstration sogar blockiert, stellt sich unbewusst in die Tradition der SED, die immer genau für alle festgelegt hatte, welche Meinung die einzig richtige ist.“

Thomas Rudolph u.a. (Hg.): „Weg in den Aufstand. Chronik zu Opposition und Widerstand in der DDR zwischen 1987 und 1989“, Araki-Verlag, Leipzig, Band 1: 2014, 382 Seiten, 33 Euro, Band 2: 2018, 380 Seiten, 35 Euro