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29.11.19 / Die Lunte ist gelegt / Beim CDU-Parteitag wurden offene Wunden geleckt – Kramp-Karrenbauers Stellung nur scheinbar gestärkt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 48-19 vom 29. November 2019

Die Lunte ist gelegt
Beim CDU-Parteitag wurden offene Wunden geleckt – Kramp-Karrenbauers Stellung nur scheinbar gestärkt
Hermann Müller

Obwohl Annegret Kramp-Karrenbauer gestärkt aus dem Leipziger Parteitag hervorgeht, könnte ein Parteitagsbeschluss die Ambitionen der CDU-Vorsitzenden auf eine Kanzlerkandidatur komplett über den Haufen werfen. 

Noch nicht einmal ein ganzes Jahr als Parteichefin im Amt, stellte Kramp-Karrenbauer auf dem Leipziger Parteitag völlig überraschend die Vertrauensfrage und bot ihren Rückzug an. Die 57-Jährige sagte, wenn die Partei ihren Weg nicht mitgehen wolle, „dann lasst es uns heute auch beenden“. Die Parteitagsdelegierten beantworteten die Frage der Saarländerin mit minutenlangem Beifall. 

Als weiteren Erfolg kann Kramp-Karrenbauer verbuchen, dass ein Antrag der Jungen Union auf eine Urabstimmung über einen Kanzlerkandidaten der Union scheiterte. Mit einer Mehrheit von 78 Prozent lehnten die Delegierten den Antrag für einen solchen Mitgliederentscheid ab. Traditionell hat bei der CDU der Parteivorsitzende den Erstzugriff in der Frage der Kanzlerkandidatur. 

Mit diesen Erfolgen hat die CDU-Vorsitzende ihre Position zwar gefestigt, allerdings musste die Politikerin für diesen Erfolg auch einen beträchtlichen Preis zahlen: Auf dem politischen Parkett gilt die Vertrauensfrage als ein Instrument für Notsituationen und auch als eine Trumpfkarte der Schwachen. 

Greift die Parteichefin in absehbarer Zeit nochmals auf die Vertrauensfrage zurück, dann könnte sich in der CDU schnell der Eindruck breitmachen, Kramp-Karrenbauer sei als Nachfolgerin von Kanzlerin Merkel überfordert. Erfüllt die Parteivorsitzende die an sie gesetzten Erwartungen nicht, dann könnte in der CDU sehr schnell wieder eine Personaldebatte aufflammen. 

Im Wettstreit um die Kanzlerkandidatur muss die Parteichefin weiterhin nicht nur mit Friedrich Merz rechnen, sondern auch mit Jens Spahn, Armin Laschet und immer stärker möglicherweise auch mit dem CSU-Chef Markus Söder. 

Nach Leipzig eingeladen war Söder eigentlich nur, um ein Grußwort zu sprechen. Beobachter bezeichneten den gut aufgenommenen Vortrag des Bayern allerdings sogar als eine „Kanzler-Bewerbungsrede“.

Auch den Verzicht auf eine offene Konfrontation durch Merz und seine in Leipzig abgegebene Lo-yalitätserklärung sehen Beobachter nicht als Vorentscheidung in der Kandidatenfrage. Der ehemalige Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag machte nämlich deutlich, dass aus seiner Sicht das Rennen um eine Kanzlerkandidatur weiterhin offen sei: „Nicht dieser Parteitag wird die endgültigen Entscheidungen treffen, sondern der Parteitag in einem Jahr.“ Es gehe darum, Verantwortung zu übernehmen und Führung zu zeigen, so Merz. 

Unter der Masse der Parteitagsbeschlüsse zur Zukunft der Sozialen Marktwirtschaft, dem Umgang mit dem chinesischen Un­ternehmen Huawei oder der Wei­terentwicklung der privaten Rentenvorsorge befindet sich zudem auch ein Beschluss, der in den kommenden Monaten noch eine starke politische Dynamik entwickeln könnte. Auf Antrag der Mittelstands- und Wirtschaftsunion und der Jungen Union beschlossen die rund 1000 Delegierten ausgerechnet beim heiklen Thema Grundrente härtere Bedingungen. Union und SPD haben nach zähem Ringen erst vor Kurzem einen Kompromiss zur Grundrente gefunden. 

In Leipzig wurde nun beschlossen, dass die Finanzierung der Grundrente durch eine europäische Finanztransaktionssteuer sichergestellt werden soll. Die CDU fordert zudem eine vollständige Einkommensprüfung. Diese lehnt der Koalitionspartner SPD bislang vehement ab. 

Auch die geforderte Gegenfinanzierung wird nur schwer zu erfüllen sein: Die SPD will die Grundrente bereits im Jahr 2021 einführen. Eine Finanztransaktionssteuer hat allerdings bestenfalls eine langfristige Realisierungschance. Die CDU lehnt obendrein einen nationalen Alleingang bei der Steuer ab. 

Die EU-Kommission wiederum bemüht sich bereits seit dem Jahr 2011 um die Einführung einer solchen Steuer. Zudem gibt es in Brüssel Bemühungen, die Einnahmen der Transaktionssteuer in den EU-Haushalt einfließen zu lassen und nicht in nationale Budgets. Vor diesem Hintergrund könnte ein Beharren auf den Parteitagsbeschlüssen zur Grundrente das Ende der Großen Koalition in Berlin herbeiführen und möglicherweise auch das Ende der Kanzlerambitionen Kramp-Karrenbauers bedeuten. 

Dass ein Ende der Groko nicht unbedingt zu vorgezogenen Bun­destagswahlen führen muss, machte unlängst der CDU-Politiker Christian von Stetten in der ZDF-Talkshow „Markus Lanz“ deutlich. Von Stetten, Vorsitzender des einflussreichen Parlamentskreises Mittelstand der Unionsfraktion, entwarf das Szenario einer möglichen Unions-Minderheitsregierung ohne vorgezogene Wahlen. In einem solchen Fall würde nicht der CDU-Parteivorstand, sondern die Bundestagsfraktion der Union über die Frage entscheiden, wer als Kanzler einer solchen Regierung antreten soll. Von Stetten signalisierte, dass er dafür Friedrich Merz vorschlagen wolle.