18.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
29.11.19 / Sozialistisches Experiment / Bolivien in der Krise – Wie geht es nach Morales’ Rücktritt im Andenstaat weiter?

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 48-19 vom 29. November 2019

Sozialistisches Experiment
Bolivien in der Krise – Wie geht es nach Morales’ Rücktritt im Andenstaat weiter?
Markus Matthes

Nach dem Rücktritt des Präsidenten Evo Morales steht Bolivien vor einer Wegscheide: Driftet es weiter nach links ab, oder gewinnen die Konservativen die Oberhand? 

Die politische Krise in Bolivien begann, als die bürgerliche Opposition den äußerst knappen Sieg von Morales bei den Parlamentswahlen am 20. Oktober nicht anerkannte. Als 83 Prozent der abgegebenen Stimmzettel ausgezählt waren und alles auf einen zweiten Wahlgang hindeutete, unterbrach das Oberste Wahlgericht (TSE) überraschend die Schnellauszählung. 

Nach der Wiederaufnahme am nächsten Tag gab Morales bekannt, mit einem Vorsprung von 46,83 zu 36,7 Prozent gewonnen zu haben. In Bolivien braucht ein Kandidat 40 Prozent der Stimmen und einen Vorsprung von mindestens zehn Prozentpunkten, um eine Stichwahl zu vermeiden. 

Eine Reihe von juristischen Tricks des TSE hatte Morales überhaupt erst eine weitere Kandidatur ermöglicht. Der gemäß seinen Unterstützern „erfolgreichste sozialistische Führer der Welt“ und Boliviens Fidel Castro verteidigte seinen vermeintlichen Sieg. Neuntägige Proteste bewegten die bolivianische Regierung allerdings am 31. Okto­ber dazu, doch einer unabhängigen Prüfung der Wahlergebnisse durch die Organisation Amerikanischer Staaten (OEA) zuzustimmen. 

Diese deckte Verletzungen der Geheimhaltungspflicht, Unterschriftenfälschung und Datenmanipulation auf. Da bereits mehrere Tote zu beklagen waren, rief Morales als letztes Mittel zum Machterhalt am 9. November vergeblich zum Dialog auf. Als auch kein Rückhalt mehr von Polizei und Militär zu erwarten war, trat Morales einen Tag später zurück. Die ihrerseits zurückgetretene Vorsitzende des TSE und ihr Stellvertreter wurden wegen Fluchtgefahr verhaftet und erwarten eine   Anklage wegen Wahlfälschung. 

Weil der Vizepräsident, der Senatspräsident sowie der Vorsitzende der Abgeordnetenkammer ebenfalls ihre Ämter aufgegeben hatten, fiel das höchste Amt im Staate Jeanine Áñez zu, der Zweiten Vizepräsidentin des Senats von der konservativen Demokratisch-Sozialen Bewegung. Durch die Blockade der agierenden Regierungspartei Movimiento Al Socialismo (MAS, Bewegung zum Sozialismus) mit ihrer Zweidrittelmehrheit in beiden Kammern kam jedoch keine außerordentliche Parlamentssitzung zustande, um diesen Schritt abzusegnen. 

Mit dem Ziel, das zweitätige Machtvakuum zu beenden, proklamierte sich Áñez mit Berufung auf die Verfassung am 12. November zur provisorischen Nachfolgerin von Morales. Sollten die nun laufenden Verhandlungen scheitern, wird sie innerhalb einer Frist von 90 Tagen das Datum für einen erneuten Wahlgang selber festlegen. Ihre Kritiker im In- und Ausland sprechen nach wie vor von einem Putsch.

Der Oberbefehlshaber der bolivianischen Polizei verneinte, dass vor dessen Flucht nach Mexiko ein Haftbefehl gegen Morales vorlag. Luis Fernando Camacho, oppositioneller Hauptakteur einer medienwirksamen Protestaktion, bestätigte diesen jedoch. Bei einer Einreise droht Morales eine Strafverfolgung, genauso wie anderen im Lande verbliebenen hohen Repräsentanten der alten Garde. 

Die langsame Abriegelung durch indianische Sympathisanten hat inzwischen insbesondere in La Paz, dem Regierungssitz, zu einer deutlichen Verknappung von Gas, Treibstoff und Fleisch­waren geführt. Angesichts der angespannten Lage mit über 30 Todesopfern appellierten mittlerweile mehrere alte Weggefährten an ihren Anführer im mexikanischen Exil, nicht weiter Öl ins Feuer zu gießen und Hoffnungen auf eine triumphale Rückkehr an die Macht zu nähren. Die Uneinigkeit seiner Kontrahenten kam ihm lange zugute. Doch nun dürfte das sozialistische Experiment in den Anden nach 14 Jahren beendet sein.