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29.11.19 / Zukunftsindustrie ohne Zukunft / Kritik an der Abstandsregelung von Windrädern – Anlagenbauer befürchten dauerhafte Flaute

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 48-19 vom 29. November 2019

Zukunftsindustrie ohne Zukunft
Kritik an der Abstandsregelung von Windrädern – Anlagenbauer befürchten dauerhafte Flaute
Peter Entinger

Der Ausbau der Windenergie in Deutschland galt lange als zentraler Bestandteil der Energiewende. Doch um nahezu jedes neue Windrad gibt es Ärger. Die Politik sucht verzweifelt nach Lösungsmöglichkeiten. 

Nach einer Analyse der Fach­agentur „Windenergie an Land“ gingen von Januar bis Ende September nur 148 Windenergieanlagen mit einer Gesamtleistung von 507 Megawatt ans Netz. Dieser Wert sei in den vergangenen fünf Jahren jeweils schon im ersten Quartal erreicht worden. Die bisherige Neuanlagenleistung in diesem Jahr liege um 82 Prozent unter dem Durchschnitt der Vergleichszeiträume zwischen 2014 und 2018. 

Bereits im ersten Halbjahr war der Ausbau der Windenergie an Land in Deutschland fast zum Erliegen gekommen. Aufgrund der Entwicklung sei davon auszugehen, dass der Gesamtzubau bis Jahresende die Schwelle von 1000 Megawatt nicht erreichen werde, so die Fachagentur.

Hauptgründe für den Einbruch sind nach Einschätzung von Verbänden und Experten fehlende Flächen und Klagen gegen weitere Windräder. Nach Angaben des Bundesverbandes Windenergie stecken rund 11000 Megawatt in Genehmigungsverfahren fest, die mittlerweile auch an Land drei bis fünf Jahre dauern und extrem kostspielig seien. Weitere 4000 Megawatt seien blockiert durch vorgeschriebene Abstände zu den Drehfunkfeuern der Flugsicherung, und gegen 800 Megawatt bereits erteilter Genehmigungen laufen abermals Klagen.

Der Ausbau der Windenergie an Land hängt entscheidend davon ab, dass die Standorte genutzt werden, an denen der Wind am stärksten weht. Dort lassen sich Windräder am effizientesten einsetzen. Um weitere Klagen zu verhindern, hat sich die Bundesregierung nach zähem Ringen auf eine neue Regelung verständigt.

Doch die Bundesländer machen – parteiübergreifend – nicht mit. Die zuständigen Umweltminister haben sich kürzlich in einer Herbsttagung einstimmig gegen einen Mindestabstand beim Bau von Windkraftanlagen ausgesprochen. Die von der Bundesregierung geplante Vorschrift, wonach Windräder mindestens 1000 Meter von Wohnbebauung entfernt sein müssen, sei „ein falsches Signal für den aktuell ohnehin fast zum Erliegen gekommenen Ausbau der Windenergie“, heißt es in dem Beschluss. Mit dem Mindestabstand zu „Siedlungen von mehr als fünf Häusern“, wollte die Regierung die Akzeptanz innerhalb der Bevölkerung vergrößern. 

Zudem müsse der Mindestabstand auch zu Flächen eingehalten werden, auf denen ein Wohngebäude „errichtet werden kann“. Übersetzt: Schon die Ausweisung als Bauland könnte neue Windräder verhindern.

Doch nun laufen Branchenverbände, Landespolitiker und Industrie in seltener Einigkeit Sturm.  „Anstatt dem Ausbau der Windenergie wieder in die Spur zu helfen, werden der Branche weitere Steine in den Weg gelegt“, sagte der Präsident des Bundesverbands Windenergie, Hermann Albers. Und nachdem sich Umweltverbände wie BUND oder WWF ablehnend geäußert haben, zog die Industrie nach. Sechs Verbände, darunter der Bund der Deutschen Industrie und der Deutsche Gewerkschaftsbund, erklärten, die geplante Regelung könne der deutschen Wirtschaft nachhaltig schaden. „Es kann dazu führen, dass bis zu 50 Prozent der heute möglichen Flächen nicht mehr zur Verfügung stehen“, sagte Kerstin Andrae vom Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft, in dem unter anderem die großen Stromkonzerne organisiert sind, und fügte hinzu: „Das hat dramatische Folgen in zweierlei Hinsicht – einmal für den Absatzmarkt, für die heimische Branche, die Windräder produziert. Aber auch für den Ausbau der Erneuerbaren Energien, der dann zum Erliegen kommt.“ 

Für neue Windräder bliebe dann kaum noch Platz übrig. Und bestehende Räder, die dichter als 1000 Meter an Wohnhäusern stehen, dürften nicht mehr modernisiert werden. Enercon, einer der größten deutschen Hersteller von Windkraftanlagen, hat auf die neue Lage bereits reagiert und eine „strukturelle Anpassung“ angekündigt, an deren Ende rund 3000 Arbeitsplätze wegfallen sollen. „Die Zukunftsbranche hat seit 2016 schon 40000 Arbeitsplätze verloren“, klagt Albers.

Und nun gibt es auch innerhalb der ohnehin fragilen Berliner Koalition Ärger. Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) lehnt die Pläne des Wirtschaftsministeriums ab: „Wir sind mit dem Vorschlag nicht einverstanden. Wir können das in dieser Form nicht machen.“ Die SPD wolle den Ausbau des Ökostroms. Bis 2030 wollten die Sozialdemokraten, wie im Koalitionsvertrag verabredet, einen Erneuerbaren-Anteil von 65 Prozent. Wirtschaftsminister Peter Altmaier konterte, die Idee gehe nicht auf das Wirtschaftsministerium zurück. Vielmehr setze der Gesetzentwurf eine Einigung des Klimakabinetts um, für die auch Schulze gestimmt habe. 

Die Länder fordern ein neues Treffen, auf dem Altmaier Vorschläge unterbreiten solle, wie Arbeitsplätze auch in strukturschwachen Regionen erhalten werden könnten. Altmaier zeigte sich unbeeindruckt: „Wir werden die Windenergie in Deutschland und die Arbeitsplätze, die es dazu gibt, erhalten können, wenn wir bereit sind, im Bereich Naturschutz, im Bereich Genehmigungs- und Gerichtsverfahren und Rechtswege vernünftige Regelungen zu treffen, wie alle unsere europäischen Länder sie auch haben.“