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29.11.19 / Gegenwind / Die Lage des Deutschen gleicht der Deutschlands

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 48-19 vom 29. November 2019

Gegenwind
Die Lage des Deutschen gleicht der Deutschlands
Florian Stumfall

Das Elend mit der Sprache besteht darin, dass sie allen gehört und daher, wie alles an­dere Gemeingut auch, ganz erbärmlich schlecht behandelt wird. Wir sprechen hier indes nicht von ihrem Gebrauch im privaten Leben – wie sich hier jemand aus­drückt, ist seine Sache, örtliche Be­son­derheiten eingeschlossen. Nein, es geht um die öffentliche Handhabung der Sprache durch Leute, denen sie als un­verzichtbares Werkzeug dient, wie in erster Linie den Medien und den Poli­tikern. 

Ohne dass sich jemand bemühte, etwas da­ran zu ändern, wird oftmals Klage ge­führt über die allzu häufige Verwendung von englischem Vokabular. Beispiele sind leicht zu finden: Ab und zu ein Ev­ent ist ein Must Have, ebenso regel­mä­ßiges Shoppen und Chillen. Da erfährt man manche Message, wie auch als Tweet, günstig für das Business und andere Challenges. Diese wenigen Ex­empel müssen genug sein, sorry. 

Es kommt aber auch vor, dass sich ein Anglizismus weitgehend unerkannt ins Deutsche schleicht, in übersetzter Form. So ist immer öfter die Floskel „das meint“ zu hören, wenn man sagen will, „das bedeutet“. Ein Weiteres ist das unsägliche „Sinn machen“ bei Zusam­men­hängen, wo man ausdrücken will, dass etwas keinen Sinn habe. Doch es scheint, als hörte so etwas kaum jemand, denn das Sprachgefühl ist schwer er­krankt. Das erleichtert auch die Verwen­dung von hässlichen Abkürzungen wie „Info“, „Memo“, „Deko“ oder „Demo“. Hier scheint die Mundfaulheit mehr zu gelten als der Wohllaut.

Weniger mit lautlicher Harmonie als mit schlichter Unkenntnis hat die beliebige Verwendung unterschiedlicher Begriffe oder Formen zu tun. Wer unterscheidet „Schiff“ und „Boot“, wer „anscheinend“ und „scheinbar“, wer weiß, wann es „sich“ heißt, und wann „einander“? Wenn zwei Leute in eine Prügelei ver­wickelt sind, so schlagen sie einander, wollten sie sich schlagen, so wäre jeder damit beschäftigt, seinen eigenen Kopf zu malträtieren.

Doch damit nicht genug. Krug und Kanne, Stuhl und Sessel, gehen und laufen – alles verfällt der Beliebigkeit. Zwischen „gehen“ und „laufen“ wird nur noch bei der Leichtathletik unterschie­den – eine artfremde Erinnerung an die Feinheit der Unterscheidungsmög­lich­keiten des Deutschen. Angesichts der zahllosen Kriminalstücke im Fernsehen wollte man hoffen, dass man zwischen „Revolver“ und „Pistole“ unterschiede, doch vergebens. Wer gebraucht die Begriffe „oval“ und „elliptisch“ richtig? Und wer sagt korrekt der „Haufe“, wenn es um eine An­sammlung von unsympathischen Leuten geht, und der „Haufen“, sobald es sich um Laub oder Erde han­delt?

Wer weiß, wie die Mehrzahl von „Wort“ heißt? „Worte“ oder Wörter“? Beides ist richtig, je nachdem. Gibt es einen Zu­sam­menhang unter ihnen, dann heißt es „Worte“, die eines Philosophen meinet­wegen. Ohne Zusammenhang heißt es „Wörter“, leicht zu bestätigen am Be­griff „Wörterbuch“, denn „Worte­buch“ sagt noch nicht einmal der völlig Ahn­ungs­lose. Doch weiter: Was bedeutet das Verb „hangen“, und was das verwandte „hängen“? Das Erste ist intransitiv, das Zweite transitiv, es verlangt nach einem Objekt. Dann gibt es noch „henken“, wird aber nicht mehr praktiziert. Oder aber: Es ist ein gewaltiger Unterschied, ob man zu seiner Schwiegermutter ein gutes Verhältnis hat oder mit ihr! Die Sprache legt hier Vorsicht nahe, wird aber kaum vernommen. 

Noch quälender ist anzuhören, wenn, was ständig geschieht, jemand einem „als ob“ den Indikativ folgen lässt: „als ob er nicht da ist“. Dabei generiert das „als ob“ durch eine sinngemäß innewohnende Verneinung einen Irrealis. Daher ist anstatt des „ist“ ein „wäre“ nötig. Oder ein anderes Beispiel: „Niemand ist da, der etwas tun könnte.“ Auch hier verursacht das „niemand“ als Verneinung des Irrealis von „könnte“. Doch das zu beachten, ist nicht mehr zumutbar. Der korrekte Ausdruck scheitert ja schon so oft an der Frage, wann es „sei“ heißt und wann „wäre“. Es heißt richtig: Man sagte, dass er gekom­men sei, eine Information aus zweiter Hand. Heißt es hingegen, er wäre ge­kommen, so schließt sich eine Bedin­gung an, es geht hier um einen Poten­tialis, bei dem das Hilfszeitwort stark flektiert wird. 

Und dann der Plural. Es werden immer öfter Mehrzahlbildungen hervorgebracht, die in tauglichen Ohren ein Grellen ver­ursachen: „Bedarfe“ etwa, oder „Zuwäch­se“ oder „Politiken“. Diese sprach­lichen Missgeburten sind nicht nur häss­lich, sondern zudem überflüssig, weil sie nicht mehr ausdrücken als der einfache Singular.

Doch dahinter scheint mehr zu stecken. Offenbar verbreitet sich das Gefühl, die Ausdrücke verlören an Kraft. Aus demselben Grund erscheinen Neukonstruk­tionen wie „Bauchgefühl“, „gegenfinan­zieren“ oder „wertschätzen“. Das Gefühl allein scheint zu schwach geworden, es bedarf des Bauches; etwa zu finanzieren ist auch nicht mehr ausreichend, und etwas zu schätzen erscheint auch als zu wenig. Bei der Substantivierung freilich stimmt es sogar: denn „Wertschätzung“ ist etwas ganz anderes als „Schätzung“.

Auch die Neubildung „nichtsdestotrotz“ scheint hierher zu gehören. Ursprünglich war sie eine Albernheit von heiteren Sprach-Witzbolden, zusammengesetzt aus „nichtsdestoweniger“ und „trotz­dem“. Jetzt macht das Wort große Kar­riere, weil zu viele Menschen nicht hö­ren, was sie sagen.

In die Kategorie „Schwäche“ gehört wohl auch der unsinnige adverbielle Gebrauch des Adjektivs „wahnsinnig“, wenn jemand einen Begriff von „außer­ordentlich“ oder „überaus“ geben möch­te. Mit Wahnsinn hat das nichts zu tun, höchstens mit einer völligen Gedan­ken­losigkeit. Diese schlägt sich auch an­derswo nieder. Weitum üblich ist die Rückfrage: „Wie war der Name?“ Welch ein Unsinn! Der Name war nicht, er ist immer noch Müller oder Meier. Die so fragen, scheinen auch nicht zu hören, was sie sagen.

Diese idiotische Vergangenheitsform führt zu einem Ausflug in die seligen Gefilde der Gastronomie. Hier heißt es dann: „Wer bekam das Schnitzel?“ Antwort: Bis jetzt noch niemand, der Herr dort drüben wartet darauf. Von „bekam“ kann keine Rede sein. Das Schnitzel befindet sich vielmehr nach wie vor im Futurum.

Immer mehr wird gegen einfachste Grammatikregeln verstoßen. Da heißt es etwa: „Granate verletzt Journalist.“ Jeder denkt an das Opfer, niemand an die Sprache, die doch auch Opfer ist. Was den Verletzten angeht, so liegt nämlich ein Akkusativ vor, und der heißt bei dem vorliegenden Beispiel „Journa­listen“. Oder aber: „Eine Menge Leute sind dagegen.“ Richtig wäre: Eine Menge Leute ist dagegen. Subjekt ist nämlich die Menge, nicht die Leute. Umgekehrt gibt es dasselbe Ärgernis: „Im Tal liegt Burg und Stadt Hohen­stein.“ Keineswegs, dort liegen Burg und Stadt, der Satz hat zwei Subjekte, daher verlangt das Verbum den Plural.

Ja, natürlich, mag da einer sagen, ist schon recht, aber die Sprache hat sich immer geändert, so ist das halt. Ganz richtig soweit, dass sich die Sprache än­dert, das ist auch nicht das Problem. Doch Änderungen der Sprache wurden früher von Dichtern und Philosophen herbeigeführt, heute aber sind es die Medien, die Politiker und, ach! die Werbung. Und das ist gegenüber früher ein schmerzlicher Unterschied. 

Immerhin bleibt bislang der Zusam­menhang zwischen Sprache und dem Land erhalten, zumindest vorerst und in der einen Hinsicht, dass sich das Deut­sche heute in einem vergleichbaren Zustand befindet wie das Land nach 14 Merkelschen Regierungsjahren.