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29.11.19 / Königsberg – Ein neuer Morgen / Sechster und letzter Teil eines Reiseberichts von Jörn Pekrul

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 48-19 vom 29. November 2019

Königsberg – Ein neuer Morgen
Sechster und letzter Teil eines Reiseberichts von Jörn Pekrul

Auf den Hufen wird in einem bestimmten Haus eine Festbeleuchtung eingeschaltet. Es ist das Eichamt von 1912, das sich in der Hindenburgstraße 14/Ecke Brehmstraße befindet. Das Gebäude ist eigentümlich: Der Stil ist im Neo-Klassizismus mit einigen Anklängen an den Barock gehalten – ein Hinweis auf das Suchen nach Ausdrucksformen in der Architektur jener Zeit. 

Das Eichamt wird heute für gesellschaftliche Empfänge genutzt. An diesem Abend begehen dort die „Freunde Kants und Königsbergs“ das berühmte Bohnenmahl. Es ist nicht nur eine Erinnerung an Immanuel Kant, dessen Freunde sich nach seinem Tode an seinem Geburtstag trafen. Im Nachtisch wurde eine silberne Bohne versteckt. Wer sie gefunden hatte, war für das folgende Jahr der „Bohnenkönig“. Er hatte die Aufgabe, im nächsten Jahr eine launige Rede zu halten, die sich mit Kant beschäftigte. 

Das Bohnenmahl wird heute in deutsch-russischer Gesellschaft abgehalten und ist ein kultureller Höhepunkt im Königsberger Frühling. In diesem Jahr ergänzte die russische Bohnenkönigin ihre Rede durch eine wunderbare Aufführung von zwei Darstellern des Dramentheaters (das wir als das Schauspielhaus auf den Hufen kennen). Sie präsentierten die Begegnung Immanuel Kants mit dem seinerzeit jungen russischen Schriftsteller Nikolaj Michailowitsch Karamsin im Jahre 1789. Karamsin war damals auf Lehrreise in Europa. Er suchte Kant auf, von dem er einige Hinweise auf Bücher für seine Bildung bekam. Karamsin hat später das Sentiment in die russische Literatur eingeführt und war am Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts der bekannteste und erfolgreichste russische Schriftsteller. Die Begegnung mit Kant, dargestellt im Jahre 2019, wurde von der deutsch-russischen Gesellschaft allgemein bewundert und sorgte noch für viele anregende Gespräche. 

Kurz nach Mitternacht ging auch dieses Fest zu Ende. Ich verzichtete auf den Bus, weil ich nach den vielen Eindrücken eines Tages in Königsberg alleine sein musste. Als sich alle voneinander verabschiedet hatten und gegangen waren, trat ich einen nächtlichen Gang durch Mittelhufen an. Es geht auf der Hindenburgstraße nach Norden bis zum Humboldtplatz und dann über Landgraben und Beeckstraße weiter in Richtung der Hermannallee. 

Es ist kein Laut zu vernehmen. Die Häuser, die im Dunkel liegen, sind nur spärlich beleuchtet von dem fahlen Licht der Laternen. Hier ist das alte deutsche Stadtbild noch erhalten. Es wirkt vertraut, es wirkt zugehörig, es wirkt „zuhause“. Eine Katze streicht über das Kopfsteinpflaster, doch ansonsten ist keine Bewegung zu vernehmen. In dieser Stille, in dieser Einsamkeit, - da fühle ich sie wieder ganz nahe. Meine verstorbene Mutter, meine gegangenen Angehörigen und Freunde. Agnes Miegel schrieb: „Die einst mit mir dort standen, blickten jene / Vergeßnen, die in Deinen Grüften liegen / Aus deren Sein und Wesen ich gestiegen ...“ – mit besseren Worten kann man es nicht ausdrücken. 

An der Schubertstraße schält sich der Schattenriss der Ostpreußischen Mädchengewerbeschule aus dem Dunkel heraus. Auch hier eine absolute Stille. Ich möchte noch etwas in dieser Stimmung verbleiben und wähle den Weg über die Brahmsstraße. Wo sie auf den Hansaring trifft, verströmt eine Sternenmagnolie ihren schweren, betörenden Duft in die Königsberger Frühlingsnacht. Ein junges Paar sitzt auf einer Bank- auch sie scheinen diese Stille bewusst erleben zu wollen. Ansonsten ist der Hansaring ruhig und selbst am Nordbahnhof ist niemand zu sehen. Auf der Wrangelstraße beenden einige Nachtschwärmer ihre Abenteuer, doch auch sie bleiben passiv. Ein Spätkauf in Höhe der Pulverstraße hat nicht nur einen Schlubberche als Absacker im Angebot, sondern auch ein freundliches Wort und ein liebes Gesicht für die einsamen Seelen, die in dieser Nacht durch die Stadt streifen.

Ich gehe weiter in den Osten der Stadt, wo in ein paar Stunden die Sonne aufgehen wird. Das Leben geht weiter – es wird weiterhin seine Forderungen an uns stellen, und wir müssen seinem Rufe folgen, wenn wir nicht untergehen wollen. Auf das wir daran wachsen und uns lernend entwickeln mögen. Es ist ein Prozess, der niemals aufhört.