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06.12.19 / Nato-Doppelbeschluss / Raketenpoker mit gezinkten Karten / Bei Protesten gegen die Aufrüstung des westlichen Lagers in der Ronald-Reagan-Ära mischte der Kreml mit

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 49-19 vom 06. Dezember 2019

Nato-Doppelbeschluss
Raketenpoker mit gezinkten Karten
Bei Protesten gegen die Aufrüstung des westlichen Lagers in der Ronald-Reagan-Ära mischte der Kreml mit
Klaus J. Groth

Selten ist eine Debatte in der Bundesrepublik Deutschland mit solcher Wucht und Leidenschaft geführt worden, wie die um den Nato-Doppelbeschluss. Damals gehörte die heute abgegriffene Vokabel von der Spaltung der Gesellschaft noch nicht zum alltäglichen Politspeach. In dem Streit um die Stationierung atomarer Mittelstreckenraketen wäre sie zutreffend gewesen. Und der Kreml spaltete kräftig mit.

In der zweiten Hälfte der 1970er Jahre hatte die Sowjetunion ihren Bestand an Mittelstreckenraketen aufgerüstet. Der Kalte Krieg lief bis 1979 heiß. Europa bedrohten Hunderte sowjetischer SS-20-Raketen sowie US-amerikanische „Pershings“ und Marschflugkörper. Viele Menschen ängstigten sich, die Grenze zum Overkill sei überschritten, das Potenzial der Atomwaffen reiche zur mehrfachen Vernichtung der Welt. 

In dieser Situation verabschiedeten die NATO-Staaten am 12. Dezember 1979 ihren Doppelbeschluss in Brüssel. Auch der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt hatte dazu gedrängt. Der Beschluss bestand aus massiver Abschreckung und versuchter Annäherung. 

Die Abschreckung: Die Nato kündigte an, sie werde weitere Raketen mit Atomsprengköpfen in Westeuropa aufstellen. Dazu gehörten Raketen und Marschflugkörper wie Pershing II und BGM 109 Tomahawk. Damit werde die Lücke in der atomaren Verteidigung gegenüber der sowjetischen SS-20 geschlossen. 

Der Versuch der Annäherung: Gleichzeitig sollten bilaterale Verhandlungen der Supermächte aufgenommen werden mit dem Ziel einer Begrenzung der Mittelstreckenraketen mit Reichweiten zwischen 1000 und 5500 Kilometern. Diese Verhandlungen sollten unter der Bezeichnung „Intermediate Nuclear Forces“, kurz INF, geführt werden. Später wurden daraus die INF-Verhandlungen. Die französischen und ein Teil der britischen Atomraketen wurden ausgeklammert, obwohl sie dem US-geführten Lager zuzuordnen waren. Für die Gespräche wurde eine Frist von vier Jahren gesetzt. Sollten sie scheitern, war vorgesehen, auch in der Bundesrepublik atomare Mittelstreckenraketen aufzustellen.

Die Sowjetunion lehnte unter der Androhung des Doppelbeschlusses jegliche Verhandlung ab. Ihre Antwort war zwei Wochen später der Einmarsch in Afghanistan. Trotz der eskalierten Situation gelang es Bundeskanzler Schmidt und Außenminister Hans-Dietrich Genscher, der Sowjetunion ein Zugeständnis abzuringen. Sie erklärte sich zu Vorgesprächen mit den USA bereit. Die wurden 1980 in Genf aufgenommen. Kurz darauf trat im Januar 1981 Ronald Reagan das Amt als US-Präsident an. Er setzte auf eine Politik der Stärke, legte ein milliardenschweres Rüstungsprogramm auf. Damit wollte er die sowjetische Wirtschaft bezwingen. Dennoch wurde vereinbart, die Verhandlungen in Genf fortzusetzen.

So pokerten die Supermächte in Genf um atomare Raketen. Die USA boten eine Nulllösung für landgestützte Mittelstreckenraketen, weltweiten Verzicht auf Pershing-II-Raketen gegen Verschrottung aller SS-20-Raketen an. Die UdSSR hielt dagegen: Keine neuen Systeme in Europa, vorhandene Systeme mit einer Reichweite von mehr als 1000 Kilometer auf 300 Systeme reduzieren, die französischen und britischen Sprengköpfe einrechnen, keine Marschflugkörper mit mehr als 600 Kilometer Reichweite weltweit. Das war es dann. Die Atommächte brachen ihr Pokerspiel ohne Ergebnis ab. Die NATO hatte es strikt abgelehnt, die französischen und britischen Raketen in die Abrüstungsmasse einzubeziehen. Das Scheitern der Verhandlungen löste die Wucht der Friedensbewegung aus.

Eine Bewegung gegen atomare Aufrüstung hatte es bereits in den 1950er Jahren gegeben. Davon war nur noch ein relativ kraftloses Häuflein geblieben. Nach dem Scheitern der Verhandlungen in Genf sammelten sich in einer neuen Friedensbewegung Reste früherer Ostermärsche, Mitglieder der gerade gegründeten Partei „Die Grünen“ und Aktivisten der 68er. In kurzer Zeit kam es zu Großkundgebungen und Menschenketten. Auch in der DDR kam es zu Protesten, die sofort unterbunden wurden. Deren Plakate „Schwerter zu Pflugscharen“ aber tauchten unverzüglich bei Demonstrationen in der Bundesrepublik auf. Das ist nicht verwunderlich, denn mit der Friedenbewegung kamen gezinkte Karten in den Abrüstungspoker. 

Spätestens seit der deutschen Vereinigung sind renommierte Historiker überzeugt, dass die Friedensbewegung von Moskau gesteuert wurde. Es wurden Belege für massiven Einsatz und Unterstützung von Deutscher Kommunistischer Partei (KPD), Deutscher Friedens-Union (DFU) und des kommunistisch beeinflussten „Komitees für Frieden, Abrüstung und Zusammenarbeit“ gefunden. Die Initiative „Generäle für den Frieden“ lenkte ein Inoffizieller Mitarbeiter (IM) der Stasi, die 100 000 D-Mark jährlich beisteuerte. Die DFU, eine der treibenden Kräfte, wurde von der DDR jährlich mit fünf Millionen D-Mark finanziert. Der „Krefelder Appell“ gegen den Doppelbeschluss wurde wesentlich vom Vorsitzenden einer früheren KPD-Ersatzorganisation vorbereitet, ferngesteuert aus Moskau. Ihn unterstützen dabei aus K-Gruppen hervorgegangene Ökosozialisten, die unter dem Einfluss von Agenten der Stasi standen. 

Den 1980 veröffentlichten „Krefelder Appell“ unterzeichneten bis 1983 über vier Millionen Bundesbürger. Zu den Erstunterzeichnern gehörten das Gründungsmitglied der Grünen Petra Kelly, der Generalmajor Gert Bastian, der Jungdemokrat Christoph Strässer und die Schriftstellerin Luise Rinser. Aus einem Dokument der Stasi geht hervor, dass IM beim SPD-Parteitag 1982 Anträge gegen den Doppelbeschluss einbringen sollten. 

Die Gegner des Doppelbeschlusses setzten sich nicht durch. Bei einer Meinungsumfrage 1983 sprachen sich 71,7 Prozent der Bundesbürger für die Aufstellung der Raketen aus. Der Bundestag stimmte am 22. November 1983 ab. Er billigte die Stationierung der Pershing-II-Raketen und der Cruise-Missile-Marschflugkörper mit 286 zu 225 Stimmen. Die Grünen beantragten eine einstweilige Verfügung, da die Abtretung der Hoheitsrechte über diese Waffen an den US-Präsidenten nicht durch eine bloße Abstimmung möglich sei. Der Bundesgerichtshof lehnte die Beschwerde als unbegründet ab.