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06.12.19 / 30 Jahre Deutsche vereinigung / Polemische Kampfschrift trübt den Blick auf die deutsche Realität / DDR-Experte Ilko-Sascha Kowalczuk verrennt sich in seinem Buch „Die Übernahme“ in hanebüchene Thesen und platte Propaganda für die politische Gegenwart

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 49-19 vom 06. Dezember 2019

30 Jahre Deutsche vereinigung
Polemische Kampfschrift trübt den Blick auf die deutsche Realität
DDR-Experte Ilko-Sascha Kowalczuk verrennt sich in seinem Buch „Die Übernahme“ in hanebüchene Thesen und platte Propaganda für die politische Gegenwart
Erik Lommatzsch

Was ist los mit Ilko-Sascha Kowalczuk? Er ist zweifelsfrei einer der besten, wenn nicht vielleicht sogar der beste Kenner der Geschichte der DDR und der Umwälzungen von 1989/90. 1967 in der zweiten deutschen Diktatur geboren und aufgewachsen, selbst allerdings in deutlicher Di-stanz zum SED-Staat, ist der Historiker mit einer Vielzahl von Publikationen hervorgetreten. Zu verweisen wäre auf seine lesenswerte, große Darstellung „Endspiel. Die Revolution von 1989 in der DDR“, welche 2009 erschienen ist.

Nun legt Kowalczuk ein neues Buch vor, welches er als „Essay“ verstanden wissen will: „Die Übernahme. Wie Ostdeutschland Teil der Bundesrepublik wurde“ (Verlag C.H. Beck). Verwoben werden hier zwei Stränge. Zum einen nimmt Kowalczuk das Ende der DDR und die nicht nur seiner Meinung nach weniger geglückten Aspekte der deutschen Vereinigung in den Blick. Zum anderen will er erklären, warum es auf dem Gebiet der ehemaligen DDR – bei ihm durchgängig als Ostdeutschland bezeichnet – in jüngster Zeit zu Protestdemonstrationen kam und warum Wahlentscheidungen in nicht unerheblichem Umfang anders ausfallen als auf dem Gebiet der alten Bundesrepublik. In diesen Passagen stellt sich das Buch als polemische Kampfschrift dar. Vom Argumentationsniveau unterscheiden sich die beiden Stränge so stark, dass man den Eindruck hat, das ursprüngliche Konzept sei lediglich auf die „Übernahme“ beschränkt gewesen, was der Titel ja auch nahelegt.

Belegt mit Zahlen und illustriert mit Beispielen stellt Kowalczuk die Vereinigung und deren erhebliche Defizite dar. Neu sind die wesentlichen Linien nicht. Viele ehemalige DDR-Bewohner erfuhren handfeste Enttäuschungen. Entwicklungen gingen über sie hinweg. Bezeichnend ist, dass die britische Premierministerin Margaret Thatcher Kanzler Helmut Kohl nach der Wahl am 18. März 1990 zum Sieg gratulierte – dabei handelte es sich um die erste (und letzte) freie Volkskammerwahl der noch bestehenden DDR. 

Thatcher gratulierte Kohl

Gewonnen hatte die „Allianz für Deutschland“. Die Anekdote zeigt, dass sie schon zu dieser Zeit als Anhängsel der westdeutschen CDU wahrgenommen wurde. Den Zusammenbruch der Arbeitsgesellschaft in „Ostdeutschland“ schildert Kowalczuk als „soziale Katastrophe“. Die vielkritisierte „Treuhand“ nimmt er aus der Schusslinie, für die Rahmenbedingungen sei die Politik verantwortlich gewesen. Das Schlagwort der von Kohl angekündigten „blühenden Landschaften“ habe Hoffnungen geweckt, die nicht erfüllt werden konnten. Hart ins Gericht geht Kowalczuk mit dem „Elitenaustausch“. Die Bundesrepublik entsandte nicht immer ihre besten Leistungsträger. Zudem hat die entsprechende Neubesetzung durch Westdeutsche ab 1990 bis heute zur Folge, dass es auf dem Gebiet der ehemaligen DDR nur wenig Spitzenpersonal gibt, welches auch von hier stammt. 

Bezüglich der Frage nach Alternativen wird festgestellt, dass die schnelle Einheit seitens der „Ostdeutschen“ gewollt war. Die „Ostdeutschen“ an sich, die sich über gemeinsame „Erfahrungsräume“ definierten, seien eigentlich eine Konstruktion, die erst nach dem Untergang der DDR entstanden sei. Die Westdeutschen haben wenig wirkliches Interesse an ihren Landsleuten gezeigt. Arrogante, unsachliche und vorurteilsbeladene Äußerungen und Verhaltensweisen sind Legion. Kowalczuk spart jedoch auch nicht mit Kritik am Unterwürfigkeitsverhalten von „Ostdeutschen“. Fazit: Die echte Einheit steht noch weitgehend aus.

Nun sollen allerdings politische Positionen der Gegenwart erklärt werden, und da tut es die Einigungsunzufriedenheit nicht mehr. In „Ostdeutschland“ hätten sich „fast flächendeckend ... öffentlich Wut, Ablehnung, Hass und Gewalt“ ausgebreitet. Pegida und AfD seien „Synonyme für eine rassistische, antidemokratische, nationalistische, autoritäre und antifreiheitliche Haltung“. Woher das kommt?

Nach Kowalczuk aus „ungebrochenen Traditionen“. Keine Erfahrung habe der „Ostdeutsche“ mit der Demokratie. Eine Auseinandersetzung mit Antisemitismus sei nicht erfolgt. Als Beleg dienen dem Autor Ausführungen von Anetta Kahane, der Vorsitzenden der linksradikalen „Amadeu Antonio Stiftung“. Ausländerfeindlich sei man in der DDR gewesen, „ohne, dass es Ausländer in größerer Zahl gab“. Das derzeitige „politische Engagement“ der Band „Feine Sahne Fischfilet“ wird hervorgehoben. Ältere Diskursstränge wie illiberales Denken, Nationalismus und Rassismus hätten in der DDR quasi bruchlos überlebt. „Viele Begriffe, die uns umgeben, die wir benutzen, haben eine lange koloniale und rassistische Geschichte.“ Empfohlen wird dazu auch gleich ein Standardnachschlagewerk, welches Susan Arndt mitherausgegeben hat. Sie ist die Ehefrau von Kowalczuk.

Alexander Gauland gilt ihm als die „gegenwärtig wichtigste Integrationsfigur der Rechtsradikalen in Deutschland“, er habe die „Rolle eines Grobian“ übernommen und sei „ein Brandstifter“. 

Was Kowalczuk, der übrigens auch kein Freund der Linkspartei ist, zu derartigen Ausfällen veranlasst, ist unklar. Gegen Islamisierungskritiker richtet er den Satz: „Feindbilder funktionieren nur, wenn sie pauschalisieren, generalisieren und ohne Detailkenntnisse auskommen.“ Wenn er das auch bei seinen Überlegungen zur gegenwärtigen Lage in „Ostdeutschland“ berücksichtigt hätte, würde man zwar sicher nicht allen Ausführungen zustimmen, ebenso wenig wie der Hauptthese des Buches, die Entwicklungen im Gebiet der ehemaligen DDR seit dem Umbruch seien ein beunruhigendes Laboratorium der Globalisierung. Aber man könnte seine Thesen zumindest ernst nehmen.