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13.12.19 / Fabelhafter Fabeldichter / Christian Fürchtegott Gellert, der vor 250 Jahren starb, forderte Friedrich den Großen einst zum Frieden auf. Seinen inneren Frieden fand er in der Dichtkunst

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 50-19 vom 13. Dezember 2019

Fabelhafter Fabeldichter
Christian Fürchtegott Gellert, der vor 250 Jahren starb, forderte Friedrich den Großen einst zum Frieden auf. Seinen inneren Frieden fand er in der Dichtkunst
Harald Tews

Lessing? Schön und gut. Klopstock mit seinem „Messias“? Nicht zu verachten. Wieland? Sicher auch wegweisend. Aber die meistgelesenen deutschen Dichter in der Zeit der Aufklärung waren sie nicht. Diesen Ruhm kann eher Christian Fürchtegott Gellert für sich beanspruchen. Seine moralischen Dramen wie „Die Betschwester“, sein Roman „Das Leben der schwedischen Gräfin von G***“ und seine „Geistlichen Oden und Lieder“, von denen einige später unter anderem von Beethoven vertont wurden und manche Eingang in die Gesangsbücher fanden, waren so etwas wie damalige Bestseller.

Besonders seine „Fabeln und Erzählungen“ fanden seinerzeit reißenden Absatz. Wegen dieser Sammlung von über 100 Gedichten ist Gellert bis heute als bedeutendster deutscher Fabeldichter in Erinnerung geblieben. Damit schlägt er locker Lessing oder Goethe aus dem Feld, die ebenfalls Tierfabeln ersonnen haben, die aber in deren Gesamtwerk eine untergeordnete Rolle spielen.

Ähnlich wie bei dem „Erfinder“ der Gattung Fabel, dem antiken griechischen Dichter Äsop, und dem großen Vorbild der europäischen Fabeldichtung, dem Franzosen Jean de La Fontaine, verfolgte Gellert eine häufig in Satire verkleidete didaktisch-moralische Absicht. Damit entsprach er ganz dem erzieherischen Duktus der Aufklärung, den Menschen bessere Sitten beizubringen. 

In „Das Pferd und die Bremse“ übte er mutige Gesellschaftskritik am Adel, den er mit einem stolzen Pferd gleichsetzte, das eine lästige Bremse abschüttelt. Diese rächt sich mit einem Biss ins Maul des Gauls, der sich daraufhin vor Schreck ein Bein bricht. Die Moral von der Geschicht: „Auf sich den Hass der Niederen laden, / Dies stürzet oft den größten Mann. / Wer dir als Freund nicht nützen kann, / Kann allemal als Feind dir schaden.“

Der Preußenkönig Friedrich der Große nahm Gellert solche Kritik am Adelsstand nicht allzu übel. 1760, während des Siebenjährigen Kriegs, begrüßte er den Dichter bei einer Audienz immerhin mit einem feuchten Händedruck. Von damals ist ein legendärer Dialog überliefert, in dem sich Gellert vom König ruhige Zeiten wünscht: „Geben Sie uns Frieden, Sire“. Der König: „Kann ich denn, wenn Dreye gegen einen sind?“

Zu diesem Zeitpunkt hatte Gellert lange nichts mehr gedichtet. Als Philosophieprofessor in Leipzig konzentrierte er sich bis zu seinem Tod am 13. Dezember 1769 im Alter von 54 Jahren ganz auf seine akademische Arbeit. Vielleicht spürte er, dass seine große Zeit als Dichter vorbei war. Von den Stürmern und Drängern wurde der Pfarrersohn aus dem heute als „Gellert­stadt“ bezeichneten sächsischen Ort Hainichen als christlicher Moralapostel verspottet. Mit seinem Roman „Wahlverwandtschaften“ sollte Goethe später eine Art freigeistiger Gegenentwurf zu Gellerts Hohelied auf die Ehe in dessen Roman von der schwedischen Gräfin liefern. In beiden Werken gibt es ein amouröses Wechselspiel von zwei Paaren, wobei Gellert auf die Vernunft und Goethe auf die Chemie der Liebe setzt. 

Lektürehinweis Gellerts Roman, ein Drama sowie die „Fabeln und Erzählungen“ sind bei Reclam erschienen





Fabel: Der Blinde und der Lahme

Von ungefähr muss einen Blinden, / Ein Lahmer auf der Straße finden, / Und jener hofft schon freudenvoll, / Dass ihn der andre leiten soll.

„Dir“, spricht der Lahme, „beizustehen? / Ich armer Mann kann selbst nicht gehen; / Doch scheints, dass du zu einer Last / Noch sehr gesunde Schultern hast. / Entschließe dich, mich fortzutragen: / So will ich dir die Stege sagen: So wird dein starker Fuß mein Bein, / Mein helles Auge deines sein.“

Der Lahme hängt, mit seinen Krücken, /Sich auf des Blinden breiten Rücken. / Vereint wirkt also dieses Paar, / Was einzeln keinem möglich war.

Du hast das nicht, was andre haben, / Und andern mangeln deine Gaben; / Aus dieser Unvollkommenheit / Entspringet die Geselligkeit.

Wenn jenem nicht die Gabe fehlte, / Die die Natur für mich erwählte: / So würd er nur für sich allein, / Und nicht für mich bekümmert sein.

Beschwer die Götter nicht mit Klagen! / Der Vorteil, den sie dir versagen, / Und jenem schenken, wird gemein, /Wir dürfen nur gesellig sein.