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13.12.19 / Deutschland 2019 / Reise durch ein fremd gewordenes Land / Der vor Jahren in die USA ausgewanderte Gunter Nitsch hat sein altes Heimatland besucht. Was ihm hier begegnet ist, lässt ihn um die Zukunft bangen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 50-19 vom 13. Dezember 2019

Deutschland 2019
Reise durch ein fremd gewordenes Land
Der vor Jahren in die USA ausgewanderte Gunter Nitsch hat sein altes Heimatland besucht. Was ihm hier begegnet ist, lässt ihn um die Zukunft bangen
Gunter Nitsch

Nach unserer zweiwöchigen Kreuzfahrt auf der Ostsee war es nur ein kurzer Spaziergang vom Hafen in Amsterdam zum Hauptbahnhof, wo ich unsere deutschen Bahnpässe gültig machen ließ und Sitzplätze im nächsten Zug nach Köln buchte. Fünf Jahre waren vergangen, seitdem wir das letzte Mal in Deutschland gewesen waren und ich fragte mich, ob sich meine Heimat so verändert hat, wie Freunde es mir beschrieben hatten.

Nur wenige Stunden später waren wir im Hotel am Hauptbahnhof und sahen von unserem Fenster aus den Bahnhofsvorplatz und den mächtigen Kölner Dom. Es dauerte nicht lange, bis wir einige Veränderungen wahrnahmen, denn als wir Minuten später zum Dom spazierten, sahen wir junge Leute, die trotz der zahlreichen Warnzeichen rücksichtslos mit E-Scootern durch die Menschenmenge von Teenagern in zerrissenen Jeans, gut gekleideten Geschäftsleuten und Frauen in Kopftüchern fuhren.

Während der Zeit, in der ich vor Jahrzehnten in der Gegend gelebt hatte und relativ häufig hier gewesen war, hatte ich den Dom immer als einen sicheren Ort der Ruhe empfunden, an dem die Welt noch in Ordnung war. Das schien jedoch nicht mehr der Fall zu sein, da ein Wachmann am Haupteingang des Doms die Handtasche meiner Frau Mary gründlich durchsuchte, bevor er uns eintreten ließ.

Am nächsten Tag besuchten wir alte Schulfreunde in Bergheim, der kleinen Stadt zwischen Köln und Aachen, in der ich vom Dezember 1950 bis zu meiner Abreise nach Amerika im April 1964 gelebt hatte. Seit unserem letzten Aufenthalt dort war die Hauptstraße in eine Fußgängerzone umgewandelt worden und geschlossene Läden mit dem Hinweisschild „Zu vermieten“ waren fast zahlreicher als die noch geöffneten Geschäfte.

Vollkommen neu für mich war auch, dass viele muslimische Paare in den Cafés saßen oder an uns vorbeischlenderten. Wie wir bereits in Köln bemerkt hatten, trugen die Männer in der Regel Freizeitkleidung, ganz im Gegensatz zu ihren Frauen und Töchtern, die Kopftücher und lange Gewänder anhatten.

„Gibt es wirklich so viele muslimische Flüchtlinge in Bergheim?“, fragte ich einen meiner Freunde, der nun stolzer zweifacher Großvater ist. „Nun“, antwortete er und grinste etwas, „Bergheim hat etwa 60 000 Einwohner, aber das ändert sich schnell. Stell dir vor, auf der anderen Straßenseite von meinem Haus leben ein marokkanisches Ehepaar mit elf Kindern und ein türkisches Paar mit zehn Kindern!“ 

„Gibt es hier wirklich so viele muslimische Flüchtlinge?“

Von der Fußgängerzone bis zur evangelischen Kirche im nahegelegenen Zieverich, in der ich 1952 konfirmiert wurde, waren es nur wenige Minuten. Neben der Kirche befindet sich das Gebäude, in dem ich von Dezember 1950 bis Mitte 1953 mit meinen Eltern und meinem Bruder in einem kleinen Zimmer mit Herd und Ausguss mit Wasserhahn gewohnt hatte. Ich hatte es in meinem Buch „STRETCH: Coming of Age in Post-War Germany“ („LANGER: Wie ich im Nachkriegsdeutschland aufwuchs“) beschrieben, aber jetzt, vor dem Haus stehend, fragte ich mich, ob der Raum tatsächlich so klein gewesen war, wie ich ihn in Erinnerung hatte. Ich drückte die Klingel für die Wohnung im Erdgeschoss. Eine freundliche ältere Dame öffnete die Tür, hörte mich an und ließ uns eintreten. In der Tat war der Raum nur fünf mal sechs Meter groß und auf keinen Fall größer als ich gedacht hatte. 

Zum Glück für die dort lebende Dame hat sie nun noch drei weitere Zimmer sowie ein Badezimmer. Das Plumpsklo von damals, 20 Meter vom Haus entfernt, existiert natürlich nicht mehr. Im Dezember 1950 hatten wir als vierköpfige Familie unter den Millionen von Flüchtlingen das Glück, diesen winzigen Raum zu haben. Heutzutage, dachte ich etwas ärgerlich, bietet die Bundesregierung in Berlin neueren Asylsuchern aus dem Nahen Osten und Afrika sehr viel bessere Wohnmöglichkeiten.

Denen bietet die Regierung viel bessere Wohnungen als uns damals

Am letzten Tag in Köln besuchten wir die 2017 eröffnete Zentralmoschee, die mit einer Fläche von 4500 Quadratmetern (bis jetzt) die größte Moschee in Deutschland ist. Im Gegensatz zum Dom untersuchte hier niemand Marys Handtasche, als wir eintraten. Wie empfohlen, zogen wir unsere Schuhe aus und legten sie in Schließfächer, bevor wir uns in den mit Teppich ausgelegten, fast leeren, riesengroßen Raum begaben. Mehreren Hinweisschildern entnahmen wir, dass das Fotografieren im Gebäude untersagt war. 

Als Mary merkte, dass mehrere Muslimgruppen trotzdem fotografierten, machte sie schnell auch ein Foto. Sobald wir uns auf zwei der wenigen Stühle in der Nähe des Eingangs gesetzt hatten, gesellten sich zwei Männer zu uns, ein in Köln geborener Türke und ein im Nahen Osten geborener Herr.

„Danke, dass Sie uns besuchen“, begann der etwas ältere Herr. Als ich ihm erzählte, dass ich vor 25 Jahren auch in Köln gelebt hatte, fuhr er fort: „Ich weiß nicht, wie es damals war, aber wir sind beide angewidert von den Alkoholmengen, die in dieser Stadt konsumiert werden, nicht um die Zahl der unehelichen Kinder zu vergessen, die jährlich neun Monate nach dem Karneval geboren werden.“ Sein Freund nickte zustimmend. „Hoffentlich wird sich all dieses eines Tages ändern!“, fügte er lächelnd hinzu, bevor wir uns verabschiedeten.

Was ich bisher wahrgenommen hatte, so hatte sich Köln in jeder Hinsicht stark verändert. Als wir zu Fuß zum Bahnhof zurückkehrten, kamen wir an Dutzenden türkischer und arabischer Läden vorbei, was eigentlich nicht verwunderlich war, denn wir hatten bereits im Hotel einer Broschüre der Stadt Köln entnommen, dass 30 Prozent der eine Million Einwohner einen „Migrationshintergrund“ haben.

Berlin war unsere nächste Station. Einer meiner Cousins holte uns vom Hotel am Hauptbahnhof mit seinem Mercedes ab und brachte uns zu seinem Haus in Berlin-Frohnau. Nachdem wir das Herz der Stadt verlassen hatten, fuhren wir eine geschäftige Straße entlang, auf der fast alle großen und kleinen Geschäfte mehrere Kilometer lang türkisch ausgeschildert waren. Von vielen wehten türkische Flaggen.

Am nächsten Tag machten wir einen Spaziergang zum Gendarmenmarkt. Leider waren wir in Berlin zu einem Zeitpunkt angekommen, als weltweit massive Proteste gegen die angebliche Untätigkeit der Regierungen wegen des Klimawandels stattfanden und die Bevölkerung von Berlin mit großem Elan mitmachte. Schiffe aller möglichen Konstruktion fuhren Demonstranten auf der Spree entlang und andere Gruppen fuhren grölend auf Lastwagen stehend vorbei. Fast überall marschierten Jung und Alt, ihre Schilder mit Umweltparolen hochhaltend, um die Aufmerksamkeit der Zuschauer auf sich zu lenken. 

Eine der massivsten Demonstrationen fand am Brandenburger Tor statt. Da es um die Mittagszeit war, nahmen wir Platz im Straßencafé des Adlon-Hotels, von dem aus wir das Treiben bestens beobachten konnten. Zur Feier des Tages und aus nostalgischen Gründen bestellten wir Königsberger Klopse, sodass wir uns nicht beeilen mussten und alles vor uns genau verfolgen konnten.

Von viele Geschäften wehten türkische Fahnen

Nach all der Aufregung in Berlin war Augsburg, unser nächster Zwischenaufenthalt, ein ruhiger und beschaulicher Ort. Obwohl das Oktoberfest erst in einigen Wochen beginnen würde, hatte sich bereits am Morgen unserer Abreise aus Augsburg eine Gruppe von Bajuwaren vor dem Hauptbahnhof versammelt. Mit Dirndl, Lederhosen und gefiederten Alpenhüten bekleidet, sahen sie auf jeden Fall so aus und begrüßten uns mit „Wollens mitfoarrn nach München?“. 

Am Abend vorher, nur einen Häuserblock entfernt in der Bahnhofstraße, hatten wir festgestellt, dass es sich dort fast ausschließlich um türkische und arabische Geschäfte und Restaurants handelte. Als wir in ein arabisches Restaurant eingetreten waren, starrten uns die Gäste an, da Mary die einzige Frau ohne Kopftuch war.

Einer meiner Freunde aus meiner Zeit bei einer bayerischen Bank in New York City holte uns von Kaufering ab und zeigte uns anschließend die wunderschöne kleine Stadt Landsberg am Lech. Mit ihm und seiner Frau machten wir einen ausgedehnten Spaziergang durch die winkligen Gassen mit Kopfsteinpflaster, bevor sie uns zum Mittagessen zu sich nach Hause einluden. 

Langsam ging unsere zweiwöchige Reise dem Ende zu. Mittlerweile hatten wir nämlich die meisten der zehn Fahrten auf unseren Bahnpässen genutzt, und es wurde nun höchste Zeit, nach Norden zu fahren, und zwar nach Speyer am Rhein.

Der letzte Freund, den wir auf unserer Reise besuchten, war Rudi Eichhorn in Landau in der Pfalz, mit dem ich 1958 in der 5. Panzerdivision in Koblenz gedient hatte. Somit befanden wir uns nun in Deutschlands größter Weinregion, der Südlichen Weinstraße, eine herrliche Gegend. Da sich in der Nähe unseres Hotels in Landau ein großer Teich befand, machten wir am nächsten Morgen einen Spaziergang, um die Schwäne und Gänse zu bewundern und die Ruhe zu genießen. Auf der anderen Seite des Teiches trafen wir eine ältere Dame, die mit ihrem Hündchen spazierenging. „Wie schön, diesen hübschen Park zu haben“, sagte Mary zu ihr. „Das ist leicht gesagt“, beklagte sie sich. „Es ist früh am Morgen. Aber seitdem all diese nahöstlichen und afrikanischen Flüchtlinge in der Stadt leben, kann ich nun abends nicht mehr hier hinkommen, denn in letzter Zeit hat es einfach zu viele Zwischenfälle gegeben! Sie wissen schon, was ich meine!“, sagte sie mit einem Seufzer.

Am letzten Tag vor unserem Rückflug in die USA fuhren wir nach Frankfurt am Main, eine Stadt, von der bekannt ist, dass mehr als die Hälfte ihrer Einwohner einen Immigrationshintergrund hat. Fast 30 Prozent der Einwohner besitzen eine ausländische Staatsbürgerschaft. Diese Tatsachen wurden uns besonders klar, als wir auf der Kaiserstraße in der Nähe des Hauptbahnhofs entlanggingen, wo wir uns wie in einer Stadt im Mittleren Osten vorkamen. 

Wie in einer Stadt im Mittleren Osten

Während unserer Reise durch Deutschland hatte ich Freunde, Verwandte und auch viele Fremde gefragt, was sie von der Entscheidung der Bundesregierung vom September 2015 hielten, mit der alle Flüchtlinge aus Syrien nach Deutschland einreisen durften. Nach deren Antworten zu urteilen, kam ich zu dem Schluss, dass dieses kontroverse Thema die deutsche Bevölkerung sehr stark polarisiert hat. Obwohl Mary und ich uns in unseren zwei Wochen in Deutschland eigentlich nie unsicher fühlten, konnte ich nicht umhin, die dramatischen Veränderungen zu bemerken, die in Großstädten ebenso wie auch in Kleinstädten vor sich gegangen waren.

Als wir zur ersten Etappe unseres Heimfluges in unser Flugzeug einstiegen, dachte ich an den regnerischen Nachmittag in Paris im Dezember 1982, den wir im „Institute du Monde Arabe“ verbracht hatten, wo ich mehr als ein Dutzend Dissertationen in Französisch und Englisch zum Thema „Die Gründung eines Kalifats in Europa“ entdeckt hatte. Zu meiner Überraschung hatten die Autoren sogar finanzielle Unterstützung von linken Parteien in Frankreich, Großbritannien und mehreren skandinavischen Ländern erhalten. War das, was damals formuliert und geplant worden war, die Zukunft für Deutschland?