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20.12.19 / Türkische Expansionspolitik / Erdogans Zangenwerkzeug / Ankara weitet sein Einflussgebiet auf die Balkanstaaten und das östliche Mittelmeer aus

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 51/52-19 vom 20. Dezember 2019

Türkische Expansionspolitik
Erdogans Zangenwerkzeug
Ankara weitet sein Einflussgebiet auf die Balkanstaaten und das östliche Mittelmeer aus
Wolfgang Kaufmann

Im November 2012 sagte der damalige Premierminister und heutige Staatspräsident der Türkei, Recep Tayyip Erdogan: „Wir müssen überall dort hingehen, wo unsere Ahnen einst waren.“ Im Rahmen dieser neo-osmanischen Strategie führt Ankara jetzt eine außenpolitische Zangenbewegung durch: Zum einen verstärkt man den Einfluss auf die Balkanstaaten, zum anderen will man in Nordafrika Verbündete gewinnen.

Auf dem Balkan engagiert sich die Türkei vor allem in Albanien, dem Kosovo und Bosnien-Herzegowina. Dort investiert sie in das Bankenwesen, Bildungseinrichtungen und Infrastrukturprojekte. So fördert Ankara den Bau einer Autobahn von Belgrad nach Sarajevo, errichtet oder renoviert Moscheen und finanziert auch die Ausbildung von Imamen.

Das bescherte Erdogan in Bosnien eine fanatische Anhängerschaft. Dort gilt der türkische Staatspräsident beim muslimischen Teil der Bevölkerung als Lichtgestalt ersten Ranges. So bezeichnete das damalige Mitglied des dreiköpfigen Staatspräsidiums Bosnien-Herzegowinas, Bakir Izetbegovic, Erdogan im Mai 2018 vor 20 000 frenetisch jubelnden Menschen in der Olympiahalle von Sarajevo als „Gottes Gesandten auf Erden“, wodurch er ihn praktisch in die Nähe des Propheten Mohammed rückte. 

Damit trat Izetbegovic, der noch heute an der Spitze der islamisch-konservativen Stranka demokratske akcije (Partei der demokratischen Aktion) steht, in die Fußstapfen seines Vaters Alija. Der fungierte als erster Präsident der Republik Bosnien und Herzegowina und war der wohl engste Vertraute Erdogans auf dem Balkan. Deshalb eilte der türkische Präsident auch im Oktober 2003 nach Sarajevo, als es mit Izetbegovic senior zu Ende ging. Der Sterbende hatte zwar keine offizielle Funktion in Bosnien-Herzegowina mehr, übergab das Land aber trotzdem als „Amanet“, also Pfand oder Vermächtnis, an seinen Freund und „Bruder“ aus Ankara – eine aufschlussreiche symbolische Geste, die Izetbegovic junior 2018 trotz bester Gesundheit wiederholte.

Deshalb agiert Erdogan wie ein Sultan gegenüber Bosnien und gibt in regelmäßigen Abständen Kostproben seiner Macht. Zuletzt geschah dies Anfang Dezember, als die Behörden in Sarajevo auf Wunsch Ankaras den aus der Türkei stammenden Direktor der internationalen Richmond Park Schule, Fatih Keskin, wegen angeblicher Verbindungen zu der Gülen-Bewegung inhaftierten.  

Auf der anderen Seite des Mittelmeeres unterstützen türkische Militärberater die in Tripolis ansässige Regierung der Nationalen Einheit (GNA) unter Fayiz as-Sarradsch. Der kam am 27. November in Istanbul mit Erdogan zusammen. Dabei unterzeichneten die beiden Staatschefs eine bilaterale Vereinbarung über die Abgrenzung der beiderseitigen Einfluss- und Interessenzonen im östlichen Mittelmeer. Wenige Tage später präsentierte der türkische Spitzendiplomat Çagatay Erciyes eine Karte, welche die von Ankara beanspruchten Seegebiete zeigt: Die Außengrenze der Ausschließlichen Wirtschaftszone der Türkei (AWZ) solle künftig auf halber Strecke zwischen der anatolischen Südküste und Nordafrika liegen. Damit wird komplett ignoriert, dass auch Griechenland das Recht auf eine bis zu 200 Seemeilen breite AWZ östlich von Kreta, Rhodos, Karpathos, Kasos und Kastelorizo hat. 

Das Ziel der türkischen Zangenbewegung besteht darin, den verhassten Nachbarn Griechenland einzukeilen und zugleich die Kontrolle über große Teile des östlichen Mittelmeers zu erlangen, in denen reiche Vorkommen an Bodenschätzen vermutet werden, darunter vor allem Erdöl und Erdgas im Werte von schätzungsweise 100 Milliarden Euro. Damit sorgt die Türkei für eine weitere Eskalation des Konflikts mit Griechenland, was insofern brisant ist, als beide Staaten Mitglieder der NATO sind. Diese wird daher über kurz oder lang Partei ergreifen müssen, auch wenn der NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg am 3. Dezember im Interview mit der Athener Morgenzeitung „Kathimerini“ noch mit der angeblichen Macht- und Ahnungslosigkeit des Bündnisses kokettierte: „Wir sind nicht bei all den schwierigen Themen involviert, die uns umgeben.“