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20.12.19 / Standort Berlin / Illusion vom Gründerboom / Berlin rühmt sich seiner Start-up-Szene – Vom führenden Innovationsstandort Europas ist hingegen wenig zu sehen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 51/52-19 vom 20. Dezember 2019

Standort Berlin
Illusion vom Gründerboom
Berlin rühmt sich seiner Start-up-Szene – Vom führenden Innovationsstandort Europas ist hingegen wenig zu sehen
Dirk Pelster

Noch vollkommen berauscht von der durch Tesla-Chef Elon Musk angekündigten Eröffnung eines Automobilwerkes für Elektrofahrzeuge im brandenburgischen Grünheide, lobten Vertreter der regierenden rot-rot-grünen Koalition von Berlin  die nach wie vor wachsende Szene von Start-up-Unternehmen. So hob Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) hervor, dass allein im ersten Halbjahr 2019 rund zwei Milliarden Euro neues Kapital für Unternehmensgründungen an die Spree flossen, was bereits mehr als im gesamten Vorjahr war. 

Sieht man sich hingegen die Berichte aus dem eigenen Haus der Wirtschaftssenatorin an, so ergibt sich ein wesentlich differenzierteres Bild über die konjunkturelle Lage der Hauptstadt. Danach ist die Zahl der Unternehmensgründungen im ersten Halbjahr 2019 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um fast fünf Prozent zurückgegangen. 

Anders als Senatorin Pop suggeriert, beschäftigt sich ein Großteil dieser neuen Betriebe nicht mit Digitalisierung oder neuen grünen Technologien, sondern ist in klassischen Berufsfeldern tätig. Allein ein Viertel der Neugründungen gehört dem Bauhauptgewerbe an, also eben jener Branche, der der rot-rot-grüne Senat mit seinem Mietendeckelungsgesetz bereits heute einen empfindlichen Schlag zugefügt hat. 

Nur ein Bruchteil der in diesem Jahr gegründeten Betriebe sind hingegen Start-ups, also Unternehmen, die mit einem hochinnovativen Geschäftsmodell – meist im Bereich der Digitalisierung – auf dem Markt aktiv werden. Tatsächlich gibt es bislang nur wenige Firmen, die sich hier einen Namen machen konnten. In Berlin sind dies das Meinungsforschungsinstitut Civey sowie die Digitalbank N26. Allerdings steht längst noch nicht fest, ob diese Unternehmen sich dauerhaft am Markt werden behaupten können. 

90 Prozent scheitern

Bislang ist die Start-up-Szene mehr ein kulturelles Phänomen als ein wirtschaftlicher Faktor. Zumeist sind es junge Menschen aus aller Herren Länder, die vom multikulturellen Biotop der deutschen Hauptstadt magisch angezogen werden. Auf Gründerforen und in einschlägigen Szenekneipen versichert man sich bei einem veganen Soja Latte der eigenen Kreativität und bestärkt sich in dem Glauben, große Dinge bewegen zu können. Die Jungunternehmer verfügen nur selten über eigene berufliche Erfahrungen, sondern wagen den Sprung in die Selbstständigkeit direkt von einer der vielen Berliner Hochschulen. Dies ist ein erhebliches Risiko, denn neben dem Know-how im Umgang mit Behörden und Finanzämtern fehlt es am notwendigen Geld, das eigene Projekt voranzutreiben.

Während die langsame und ineffiziente Berliner Bürokratie ein erheblicher Standortnachteil ist, hat es im Bereich der Finanzierung von Start-up-Firmen in den letzten Jahren einiges an Bewegung gegeben. Mittlerweile unterhalten Großkonzerne, wie Microsoft oder Siemens, eigene Einrichtungen für die Kooperation mit Gründern in der Hauptstadt. Diese potenten Geldgeber können sich aus dem Überangebot von Geschäftsideen die wenigen Rosinen gezielt herauspicken. 

Nicht selten sind die Jungunternehmer bereits pleite, wenn ihr Projekt die Marktreife erreicht hat. Die Rechte an der technischen Innovation fallen dann anderen zu und fließen häufig ins Ausland ab, während die einstigen Unternehmer sich um eine neue berufliche Zukunft kümmern müssen. Insgesamt scheitern über 90 Prozent der Start-ups.