Eine der derzeit wichtigsten – und zugleich wenig beachteten – Ursachen für die modernen Wanderungsströme ist die Freisetzung von Arbeitskräften in den Herkunftsländern der Emigranten in Verbindung mit dem Verlust der Fähigkeit der Betroffenen, selbst für ihre materiellen Lebensgrundlagen zu sorgen.
Durch den Ankauf oder die langjährige Pacht von landwirtschaftlichen Nutzflächen – insonderheit in Afrika, aber auch anderswo – seitens einer wachsenden Zahl von Großunternehmen aus den USA, Europa, China und Saudi-Arabien verfügen inzwischen Millionen von Bauern in der Dritten Welt über keine Möglichkeit mehr, Nahrungsmittel für den Eigenbedarf zu produzieren. So kontrolliert der saudische Konzern Foras International Investment Company (FIIC), der mit der Organization of the Islamic Conference kooperiert, nun schon 70 Prozent der Reisanbaufläche des Senegal. Alles in allem sind allein in der Zeit zwischen 2000 und 2010 an die 230 Millionen Hektar Ackerland in den Entwicklungsländern an internationale Konzerne gegangen. Das ist deutlich mehr als die gesamte landwirtschaftliche Nutzfläche innerhalb der Europäischen Union, die bei 174 Millionen Hektar liegt.
Verdrängung der Einheimischen
Die Einheimischen, die den Grund und Boden bisher nach traditionellem Gewohnheitsrecht für ihre Subsistenzwirtschaft genutzt hatten, mussten diesen räumen, wobei es nicht selten zur Anwendung von Gewalt kam. Wie im August 2001 beim Abriss von vier Dörfern in Uganda mit rund 4000 Einwohnern, auf deren Gemeindeland anschließend eine Plantage der deutschen Neumann-Kaffee-Gruppe entstand.
In der Regel werden auf den gekauften oder gepachteten Flächen keine Nahrungsmittel für die einheimische Bevölkerung mehr angebaut, sondern sogenannte Cash Crops. Das sind landwirtschaftliche Produkte, die in allererster Linie für den Export bestimmt sind, wie Bananen, Kaffee, Tabak und Baumwolle. Den Menschen der Region, die ihr Land und ihr Auskommen verloren haben, bleibt dann oft nur der Weggang aus der Heimat, weil die Großplantagen sehr viel weniger Arbeitskräfte benötigen – und selbst diese kommen teilweise aus dem Ausland. Chinesische Firmen setzen zumeist lieber auf ihre eigenen Leute als auf Ortsansässige.
Am Ende müssen für die Kosten der Massenflucht bzw. -immigration von Landvertriebenen die Steuerzahler der Aufnahmeländer aufkommen, während die für das Problem verantwortlichen Konzerne erhebliche Gewinne erzielen, welche jedoch in die Taschen einiger Weniger fließen.
Die Fehler der Europäischen Union
Fatal wirkt sich in diesem Zusammenhang auch die Poliik der EU aus. Erst werden durch „Partnerschaftsabkommen“ angebliche „Handelshindernisse“ beseitigt, dann strömen von Brüssel subventionierte Agrarprodukte aus der EU in die Entwicklungsländer, was viele der dortigen Erzeuger in den Ruin treibt. So ging der Marktanteil heimischen Geflügels in Ghana innerhalb von zehn Jahren von 95 auf 11 Prozent zurück. Die hierdurch um ihren Arbeitsplatz gebrachten Ghanaer trifft man heute in den Agrarbetrieben Süditaliens und Spaniens, wo sie Produkte herstellen, die weiteren afrikanischen Bauern die Existenzgrundlage rauben. Eine planvolle „Bekämpfung von Fluchtursachen“ sieht definitiv anders aus.