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03.01.20 / Kolumne / Ein- und Auswanderung

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 01 vom 03. Januar 2020

Kolumne
Ein- und Auswanderung
Florian Stumfall

Kanzlerin Angela Merkel ruft nach Fachkräften. Solche seien dringend notwendig für die deutsche Wirtschaft und das in zunehm­endem Maße. Was diese Aussage an­geht, so muss man Merkel zustimmen. Dennoch bleibt ihr Vorstoß rätselhaft. Denn sie hat doch anno 2015 die Gren­zen geöffnet, und als unkontrolliert Hun­derttausende von der Einladung Gebrauch machten, bekam der deutsche Bürger zu hören, bei den Zuwanderern handle es sich zum guten Teil um entschlossene Handwerker, geübte Facharbeiter oder feinsinnige Ärzte.

Wo also sind diese geblieben? Wieder abgewandert sind sie nicht, denn die Kriminalstatistik, der Wohnungsmarkt und die Lage in vielen Schulen zeugen vom weiteren Verbleib in Deutschland. Nur scheint sich nicht zu erfüllen, was vor vier Jahren versprochen wurde: dass diese Zuwanderung für Deutschland ein Glück sei und eine große Chance.

Doch Merkels Ruf nach Fachkräften ist nicht nur durch Art und Wesen der meisten Zuwanderer erklärbar, sondern auch durch das Abwandern deutscher Fachkräfte. Nach aller Lebenserfahrung ist es zulässig, einen der Gründe dafür in der 14 Jahre andauernden Regierungsweise Merkels zu suchen. Deutschland befindet sich in einer Phase der Deindustriali­sierung, ob fahrlässig oder absichtlich herbeigeführt, sei dahingestellt.

Das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) stellt fest, dass der durchschnittliche Auswanderer unter 40 Jahre alt ist, mit einem akademischen Ab­schluss und beruflich erfolgreich. Diesen Leistungsträgern, die der deutschen Wirtschaft verloren gehen, stehen, um als Beispiel Eritrea, Somalia und Nigeria zu nehmen als die drei größten afrikani­schen Herkunftsländer, Zuwanderer ge­genüber, die in Deutschland zu fast 52, 40 beziehungsweise 18 Prozent Sozialhilfe beanspruchen. Unter den Syrern liegt die Quote bei 73 Prozent, unter allen Ausländern bei 16,5 Prozent unter den deutschen Staatsbürgern bei 5,3 Prozent.

Seit dem Jahr 2010 sind mehr als 1,8 Millionen Deutsche ausgewandert. Da sind allerdings nur diejenigen erfasst, deren Adresse im Ausland den deutschen Behörden bekannt ist. Bei ihnen handelt es sich keineswegs um Verlierer und Enttäuschte. Marcel Erlinghagen vom Institut für Soziologie an der Universität Duisburg-Essen sagt: „Der Weg ins Ausland ist chancenge­trieben.“ Das heißt, deutsche Eliten sehen anderswo bessere Möglichkeiten fürs Weiterkommen als zu Hause in der Heimat. Eine Umfrage unter 10 000 Auswanderern hat ergeben, dass sich für rund 60 Prozent das Einkommen um zirka 1200 Euro erhöht hat.

Angesichts der Entwicklung der deutschen Wirtschaft könnte die Zahl der hochqualifizierten Auswanderer in nächster Zeit noch deutlich zunehmen. Vor allem Deutschlands Paradebranchen sind gefährdet. Der Automobilbau sowie die Pharma- und die chemische Industrie befinden sich am Rande einer ernsten Krise. 

Was den Automobilbau angeht, so stagniert dieser seit 2014. Seit 2018 geht er zurück. Im Jahr 2019 wurden in Deutschland so wenig Autos gebaut wie seit 20 Jahren nicht mehr. Die Zahl der Mitarbeiter, die im abgelaufenen Jahr entlas­sen wurden, kommt auf volle 50 000. Das sind rund sechs Pro­zent der 820 000 Arbeitnehmer im Au­tosektor. Allein bei Daimler will man die Personalkosten bis 2022 um 1,4 Milliarden Euro senken. Die Lage bei den Zulieferern wie Bosch, aber auch vieler anderer kleinerer, ist damit jedoch noch nicht beschrieben. Dort ist eben­falls ein mas­siver Abbau von Arbeitsplätzen zu erwarten, einzelnen Produktionsstätten droht die Schließung. 

Freilich schlägt sich diese Entwicklung vorerst noch nicht in der Arbeitslosenstatistik nieder. Die Firmen nämlich verzichten nach Möglichkeit auf betriebs­bedingte Entlassungen. Das bedeutet aber auf der anderen Seite, dass frei werdende Stellen nicht mehr besetzt werden. Die Firmen stellen weniger ein, was völlig zulasten junger Berufseinsteiger geht. Es ist also nur eine Frage der Zeit, bis die Auto-Krise auch in der Arbeitslosenstatistik sichtbar wird. Dass es sich dann dabei hauptsächlich um junge Leute handelt, macht die Sache nicht besser.

Üble Verhältnisse herrschen auch in der Chemie- und Pharmaindustrie. Der Hauptgeschäftsführer des Chemieverbandes, Utz Tillmann, sagte zu den jüngsten Schätzungen Anfang Dezem­ber: „Mit der aktuellen Lage zeigen sich immer weniger Chemie- und Pharmaunternehmen zufrieden. Auch für die weiteren Aussichten nimmt der Pessimismus zu.“ Wenn man dann noch lesen muss, dass es in Deutschland, der einstigen Apotheke der Welt, zu Engpässen bei der Versorgung mit Medikamenten kommt, mag man das Ausmaß der Schwierigkeiten ermessen. Der Verband der Chemischen Industrie (VCI) erwartet für das Jahr 2019 einen Rück­gang von 3,5 Prozent. 

Merkels Energiewende hat zu den weltweit höchsten Strompreisen und zu einer eingeschränkten Versorgungssicherheit geführt. Wer den Ausstieg aus der Kernenergie und gleichzeitig das Ende fossiler Energieträger befiehlt, steuert geradewegs auf das Ende der Versorgungssicherheit zu – für einen Industriestaat eine katastrophale Aussicht. So sind im Sommer in Deutschland mehrere großflächige Stromausfälle knapp verhindert worden. 

Die Methode ist bekannt. Beim unkontrollierbaren Aufkommen von Wind- und Solarstrom ist es alltäglich, dass bei einem stärkeren An­gebot Strom günstig oder gratis in Nach­barländer geliefert wird, während bei einem schwachen Deutschland dort Strom teuer einkaufen muss, wobei der gescholtene Atomstrom noch am billigsten ist. Wie die Politik ange­sichts einer der­artigen Entwicklung von Hunderttausenden von E-Autos faseln mag, ist unerfindlich. 

Doch nicht nur die Energieversorgung und die Vorzeigesparten sind von einer bedrohlichen Entwicklung betroffen. Das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) sieht die deutsche Wirtschaft insgesamt im Abschwung. Der Einkaufsmanager-Index ist im Dezember um 

0,7 auf 43,4 Prozentpunkte gefallen, gemäß einer Umfrage von Reuters war aber eine Steigerung erwartet worden. Erst ein Wert über 50 Punkte signalisiert Wachstum. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hat der deutschen Wirtschaft für das neue Jahr einen weiteren Rückgang vorausgesagt.