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03.01.20 / Deserteure / Verbrecher, Opfer oder Widerstandskämpfer? / Wie die Alliierten mit Fahnenflüchtigen des Zweiten Weltkrieges damals umgegangen sind und bis heute umgehen. Vor 75 Jahren exekutierte die US-Armee Edward Donald „Eddie“ Slovik

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 01 vom 03. Januar 2020

Deserteure
Verbrecher, Opfer oder Widerstandskämpfer?
Wie die Alliierten mit Fahnenflüchtigen des Zweiten Weltkrieges damals umgegangen sind und bis heute umgehen. Vor 75 Jahren exekutierte die US-Armee Edward Donald „Eddie“ Slovik
Wolfgang Kaufmann

Waren jene Wehrmachtssoldaten, die zwischen 1939 und 1945 desertierten und deswegen hingerichtet wurden, Verräter und Feiglinge oder ehrenwerte Kriegsgegner und Widerstandskämpfer? In der Bundesrepublik ist diese Frage nach wie vor umstritten, obwohl der Gesetzgeber 2002 alle Urteile der Militärgerichtsbarkeit des Dritten Reiches gegen Deserteure pauschal aufgehoben hat. Insofern bietet sich ein vergleichender Blick auf die Praxis beim Kriegsgegner an.

Am Morgen des 23. Dezember 1944 fand der Oberbefehlshaber der alliierten Streitkräfte in Nordwesteuropa, General of the Army Dwight D. Eisenhower, ein handgeschriebenes Gnadengesuch auf seinem Schreibtisch vor. Sein Absender war Private (Schütze) Edward Donald Slovik von der G-Kompanie des 109. US-Infanterieregiments der 28. Infanteriedivision. Der frühere Kleinkriminelle polnischer Herkunft hatte sich im Gefecht von der Truppe entfernt und danach wiederholt ganz entschieden geweigert, an weiteren Kampfhandlungen teilzunehmen – deswegen war er am 11. November 1944 von einem Militärgericht zum Tode verurteilt worden. Obwohl Eisenhower sehr wohl wusste, dass die letzte Exekution eines US-Soldaten ausschließlich wegen Fahnenflucht inzwischen schon fast 80 Jahre zurücklag, bestätigte er den Hinrichtungsbefehl. Daraufhin wurde Slovik am 31. Januar 1945 erschossen. 

Die Härte des Generals resultierte aus der militärischen Lage. Eine Woche nach Beginn der deutschen Ardennenoffensive standen Eisenhowers Truppen extrem unter Druck und erlitten große Verluste. Jetzt Gnade zu zeigen, wäre in seinen Augen fatal für die Moral der kämpfenden Truppe gewesen.

Mehr Glück als Slovik hatten die restlichen 21 048 verurteilten US-Deserteure. Zwar verhängte die Militärjustiz der Vereinigten Staaten noch weitere 48 Todesurteile, diese wurden aber nicht vollstreckt und in Zwangsarbeit von mehreren Jahren Dauer bis lebenslänglich umgewandelt. 

Abhängigkeit von der Kriegslage

Vor dem Erschießungskommando oder am Galgen endeten hingegen 70 Delinquenten, die zusätzlich zur Fahnenflucht noch weitere schwere Straftaten wie Mord, Vergewaltigung oder Plünderung von Nachschubtransporten für die Front begangen hatten. Einer von ihnen war der 23-jährige Private Werner Schmiedel. Er war Chef der in Italien operierenden und mit der örtlichen Mafia kooperierenden Lane-Gang gewesen, auf deren Konto auch der Raub eines Army-Tresors mit 133 000 US-Dollar Bargeld ging.

Der weitgehende Verzicht auf die Exekution von Deserteuren, denen keine weiteren Delikte nachgewiesen werden konnten, resultierte aus der Angst der US-Armee vor der öffentlichen Meinung in der Heimat. Hinrichtungen von Fahnenflüchtigen wären von den Medien aufgegriffen worden und hätten die katastrophalen Zustände in manchen Kampfeinheiten publik werden lassen. Außerdem wollte man dem Kriegsgegner keine propagandistische Munition liefern, schließlich kämpften die GI angeblich überzeugt gegen Hitler statt ans Desertieren zu denken. 

Vergleichbares galt für die britischen Streitkräfte, in denen es während des Zweiten Weltkriegs zu etwa 100 000 Fällen von Desertion kam. Im Gegensatz zu den USA und dem Ersten Weltkrieg ließ die Gesetzeslage in Großbritannien während des Zweiten Weltkrieges keine Verhängung der Todesstrafe zu, wenn auch hochrangige Truppenkommandeure wie Field Marshal Bernard Montgomery vehement deren Wiedereinführung forderten.

Das alles heißt aber nicht, dass die Westalliierten ihre Fahnenflüchtigen nachsichtig behandelt hätten. Die Urteile ihrer Militärgerichte fielen oftmals höchst ungerecht und überhart aus. So wurde der hochdekorierte 19-jährige Frontsoldat Stephen Weiss von Offizieren ohne jedwede Kampferfahrung oder juristische Kompetenz in einem hanebüchenen Schnellverfahren zu lebenslänglicher Zwangsarbeit verurteilt, weil er die erneute Teilnahme an einer militärisch völlig sinnlosen Operation verweigert hatte. Ähnlich symptomatisch ist der Fall von Lieutenant Albert Homcy, der nicht mit eilends zusammengetrommelten Köchen, Bäckern und Offiziersdienern gegen anrückende deutsche Panzer kämpfen wollte und dafür mit 50 Jahren Haft büßen sollte.

Des Weiteren herrschten in den zahlreich vorhandenen Straflagern für Deserteure, wie dem Loire Disciplinary Training Center nahe Le Mans mit seinen 4500 Insassen, verbreitet Zustände ähnlich einem Konzentrationslager. Die Wachmannschaften drangsalierten die Verurteilten dermaßen, dass es zu Todesfällen kam und manche der Aufseher schließlich selbst vor Gericht landeten.

Keine pauschale Rehabilitierung

Der sich gegen Kriegsende abzeichnende Sieg der Alliierten  über Deutschland verbesserte in den USA die  Situation der verurteilten Fahnenflüchtigen. Nun obsiegte die Meinung der Militärpsychologen, die in den Deserteuren keine „Feiglinge“, sondern „Opfer des Krieges“ sahen und auf die extrem hohen Verluste in manchen Einheiten von bis zu 75 Prozent sowie die oftmals schlechte Menschenführung vonseiten völlig ungeeigneter Offiziere verwiesen. Daraus resultierte eine große Zahl von Begnadigungen ohne Aufhebung der ursprünglichen Urteile.

Im Großbritannien hingegen machte die Militärpolizei noch Jahre nach Kriegsende Jagd auf die rund 40 000 Deserteure, die auf der Insel untergetaucht waren und für rund neun Zehntel aller Straftaten dort verantwortlich zeichneten. Allerdings gingen die großangelegten Razzien zumeist aus wie das Hornberger Schießen, weil die Fahnenflüchtigen Rückhalt in der Bevölkerung hatten. Deshalb blieb dem wiedergewählten Premierminister Winston Churchill im Februar 1953 kaum eine andere Wahl, als eine offizielle Amnestie zu verkünden.

Oberflächlich betrachtet steht den schätzungsweise 23 000 hingerichteten Deserteuren der Wehrmacht nur der Einzelfall Slovik gegenüber. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich aber, dass auch die Westalliierten äußerst wenig Verständnis für Soldaten zeigten, die das Kämpfen verweigerten, und diese mit dem maximal opportunen Maß an Härte behandelten, solange der Sieg nicht feststand. Hätte die Militärjustiz der Briten und US-Amerikaner nicht Rücksicht auf die öffentliche Meinung nehmen müssen, wäre die Zahl der exekutierten Fahnenflüchtigen vermutlich ähnlich hoch gewesen wie die im Dritten Reich. Wobei Letztere schon wieder geradezu niedrig erscheint, wenn man sie denn mit der Zahl der vollstreckten formellen Todesurteile gegen Deserteure der Roten Armee vergleicht, die um die 150 000 liegt. Eine spätere pauschale Rehabilitierung blieb in diesen Fällen ebenso aus wie im Falle der britischen und US-amerikanischen Verurteilungen.