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10.01.20 / DDR-Grenze / Unselige Hilfe der „Freiwilligen Helfer“ / Bei der Vereitelung von Fluchtversuchen über die Ostsee konnte die DDR-Führung auch auf Unterstützung aus Teilen der Bevölkerung zurückgreifen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 02 vom 10. Januar 2020

DDR-Grenze
Unselige Hilfe der „Freiwilligen Helfer“
Bei der Vereitelung von Fluchtversuchen über die Ostsee konnte die DDR-Führung auch auf Unterstützung aus Teilen der Bevölkerung zurückgreifen
Heidrun Budde

Im Norden grenzte die DDR auf 378 Kilometern Länge an die Ostsee. Wie über die innerdeutsche Grenze versuchten die DDR-Machthaber auch über die Ostsee eine Flucht der DDR-Bewohner zu verhindern. Im Zentrum des maritimen Überwachungsapparates stand die 6. Grenzbrigade Küste (GBK) der Volksmarine (VM), die eng mit der Staatssicherheit zusammenarbeitete. Ständig besetzte Wachtürme und Tag und Nacht patrouillierende Schiffe sollten jede Flucht verhindern. Dabei konnte die Grenzbrigade außer auf Amtshilfe auch auf freiwillige Helfer aus der Bevölkerung zurückgreifen, die es in jedem Grenzgebiet gab. 

Ein wichtiger Partner war die Deutsche Volkspolizei (DVP). Innenminister Friedrich Dickel regelte in einer „Vertraulichen Verschlußsache I 020 478“ vom 20. Juli 1972, dass bei der Grenzkontrolle eine „zweckmäßige Kombination gedeckter und offener Einsatzformen“ Anwendung finden sollte. Wörtlich: „Die Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen sind durch taktisch zweckmäßigen Einsatz von Sicherungsanlagen sowie unter Verwendung von Verkehrszeichen gemäß Straßenverkehrsordnung zu verstärken.“

Missbrauch von Kindern

Durchfahrts-, Halte- und Parkverbote wurden „zweckmäßig“ angeordnet, um zu verhindern, dass Fahrzeuge den Sperrzonen zu nahe kamen. Zu den „gedeckten Einsatzformen“ gehörte auch die sogenannte operative Personenkontrolle der Polizei, die zwar juristisch nicht legitimiert, aber für das Anliegen sehr nützlich war. Der zuständige Volkspolizist im Wohngebiet, der Abschnittsbevollmächtigte (ABV), rekrutierte „zuverlässige und verschwiegene Auskunftspersonen“, die jede Auffälligkeit meldeten. Das konnten beispielsweise Nachbarn, Arbeitskollegen, Kneipenwirte oder Hausbuchbeauftragte, aber auch jede andere wichtigtuerische Person sein, die meinte, etwas Verdächtigtes bemerkt zu haben. Wer besonders vertrauenswürdig war, wurde „Freiwilliger Helfer der Volkspolizei“ mit einem Sonderausweis. So gab es beispielsweise im Bereich der SED-Kreisleitung Ribnitz-Damgarten mit 58 Kilometern Küste sowie den Orten Klockenhagen, Dierhagen, Wustrow, Ahrenshoop, Born, Wieck, Prerow und Zingst 166 „Freiwillige Helfer der Volkspolizei“, die ehrenamtlich im Einsatz waren. Daneben überwachten noch 60 „Freiwillige Helfer der Grenztruppen“, die vom Militär betreut wurden, diesen Küstenabschnitt.

226 Bürger, oftmals vermeintlich pflichtbewusste SED-Mitglieder, patrouillierten auf den 58 Kilometern Küste in der Dunkelheit am Strand entlang, um festzustellen, ob nicht vielleicht jemand mit einer Luftmatratze versuchen wollte, in den Westen zu entkommen. In einem Bericht der SED-Kreisleitung Grevesmühlen vom 10. Dezember 1982 ist zu lesen: „Im Bereich der Staatsgrenze zur BRD waren 1981 65 freiwillige Helfer der Grenztruppen tätig, heute sind es 108. Im Bereich Lüdersdorf ist erstmalig eine Frauengruppe mit 17 Mitgliedern im Einsatz.“ Daneben gab es „Ordnungsgruppen auf Campingplätzen“, wie beispielsweise mit 50 Personen in Boltenhagen, die entsprechende Kontrollen am Strand und bei größeren Veranstaltungen durchführten. 

Diese freiwilligen Helfer aus der Bevölkerung konnten durchaus „Erfolge“ für sich verbuchen, wie es weiter im Bericht für 1982 heißt: „In diesem Jahr wurden durch Grenzhelfer und weitere Bürger 220 Hinweise zur Gewährleistung der Ordnung und Sicherheit und zur Verhinderung von Straftaten gegeben. Sie führten zur Festnahme von 10 Grenztätern sowie zur Einleitung von Maßnahmen, die die Grenzsicherheit weiter erhöhten.“

Belohnung mit Privilegien

Aus heutiger Sicht mag es absurd erscheinen, dass DDR-Bewohner selbst dafür sorgten, dass der Staat, in dem sie leben mussten, auch fest verschlossen war und niemand entfliehen konnte. Doch die ideologische Beeinflussung, dass jeder, der mit aufpasste, etwas Gutes für den Frieden tat, begann schon im Kindesalter. So wird im Bericht der SED-Kreisleitung Grevesmühlen vom 10. Dezember 1982 lobend erwähnt: „Spürbare Fortschritte gibt es bei der Bildung von Arbeitsgemeinschaften ,Junge Grenzhelfer‘ an den POS (Polytechnischen Oberschulen). Nachdem in Klütz eine solche Arbeitsgemeinschaft einige Jahre tätig ist, wurden jetzt an allen Schulen des Grenzgebietes diese Arbeitsgruppen aufgebaut, deren Tätigkeit von erfahrenen Genossen der Grenztruppen der DDR angeleitet wird.“

Kinder wollen gelobt werden, und wenn ihnen die Erwachsenen suggerierten, dass alles zu ihrem Schutz und zu ihrer Sicherheit passierte, waren sie leicht zu manipulieren. Patenschaftsbeziehungen zwischen der Schule und der Grenzbrigade Küste dienten der stetigen politischen Erziehung der Schüler, und die Erwachsenen wurden mit gemeinsamen Festen, wie beispielsweise „Kooperationsfestspielen und Kulturfesttagen im Grenzgebiet“ oder mit „Freundschaftstreffen“ bei Laune gehalten. Wer ein besonders eifriger „Freiwilliger Helfer der Grenztruppen“ war, konnte zudem auf eine Vergünstigung hoffen, die anderen DDR-Bewohnern verschlossen blieb. Besitzer eines Sportbootes benötigten zum Befahren der Ostsee außerhalb des Bereiches der Grenzzone eine Genehmigung, die von der Polizei nach Abstimmung mit der Staatssicherheit erteilt oder versagt wurde. Innenminister Dickel regelte dazu in seiner Dienstvorschrift Nr. 08/72 vom 20. Juli 1972: „Genehmigungen können erteilt werden, wenn folgende Gründe vorliegen: … Sportliche Betätigung von Personen, die sich besondere Anerkennungen und Verdienste bei der Entwicklung der DDR erworben haben.“ 

Das war ein völlig willkürlicher Entscheidungsspielraum, denn wie groß die Verdienste sein mussten, wurde nicht vorgegeben. Das wurde offensichtlich personenbezogen entschieden, und je höher jemand in der SED-Parteiriege aufgestiegen war, desto größer war auch die Wahrscheinlichkeit, dass diese Person einen Hauch von maritimer Freiheit per Sportboot auf der Ostsee genießen konnte, ein Privileg, das nur wenige genossen. 

b Heidrun Budde hat Rechtswissenschaften an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg studiert und zum Seevölkerrecht promoviert. Seit 1992 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin mit Verwaltungsaufgaben an der Juristischen Fakultät der Universität Rostock