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10.01.20 / Piratenpartei / Was ist eigentlich aus denen geworden? / Blauäugigkeit, Streit und Affären: Das vorübergehende Machtpotenzial für die einst umjubelte Truppe blieb ungenutzt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 02 vom 10. Januar 2020

Piratenpartei
Was ist eigentlich aus denen geworden?
Blauäugigkeit, Streit und Affären: Das vorübergehende Machtpotenzial für die einst umjubelte Truppe blieb ungenutzt
Erik Lommatzsch

Am Aktionsstand der Piratenpartei wirbt ein Mann mit kleiner Brille, dessen Rauschebart ihn vermutlich älter wirken lässt, als er eigentlich ist. Die 40 dürfte er kaum überschritten haben. Man wird geduzt. „Wir sind eine Mitmach-Partei. Du kannst aber auch nur in einem Bereich mitarbeiten und Dich darauf konzentrieren.“ Von „Mitmachen“ und „Engagement“ ist dann noch viel die Rede. Der Mann, ein Mathematiker, wirkt persönlich authentisch und integer, was ihn nicht unsympathisch macht. Politisch hingegen wirkt er unendlich naiv. 

Die Szene ereignete sich im Sommer 2013 in einer deutschen Großstadt. Folgt man der Selbstdarstellung der Piraten und der Berichterstattung über sie, so dürfte man an diesem Aktionsstand keinesfalls einem untypischen Mitglied begegnet sein. Mächtig Aufwind hatte die Partei erhalten. Als Teil der „internationalen Piratenbewegung“ hatte die 2006 in Berlin gegründete deutsche Partei zunächst bescheidene Wahlerfolge. Das Ganze steigerte sich sprunghaft. Einhergehend mit einer entsprechenden öffentlichen Wahrnehmung. 2011 erreichte man bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus 8,9 Prozent. 

Im März 2012 zogen die Piraten mit 7,4 Prozent in den Landtag des Saarlandes ein, im Mai folgten die Landesparlamente von Schleswig-Holstein mit 8,2 sowie von Nordrhein-Westfalen mit 7,8 Prozent. Die „Sonntagsfrage“ wies zu dieser Zeit mitunter Ergebnisse oberhalb von zehn Prozent aus. Allerdings fielen die Werte bereits im selben Jahr schon wieder rasant ab. Sitze in weiteren Landtagen errangen die Polit-Neulinge nicht mehr. Bei der Bundestagswahl 2013 gab es magere 

2,2 Prozent. 2017 noch 0,4 Punkte. Immerhin hatte die EU-Wahl 2014 ein einzelnes Mandat beschert, welches 2019 unter erheblichen Stimmverlusten verteidigt werden konnte. Dazu verfügen sie noch über eine Reihe von Abgeordneten im kommunalen Bereich.

Irgendwas mit Internet

Die plötzliche Präsenz der Piraten war ein Phänomen, von dem so gut wie nichts geblieben ist. Mitunter sind Stimmen vernehmbar, die bezweifeln, dass es die Partei überhaupt noch gibt. Schon immer indes waberte die Frage durch den Raum, wofür diese Partei eigentlich steht. Irgendwie jung und modern, irgendwas mit Internet und Freiheiten – mehr ist kaum in Erinnerung. Die wenigen bekannten Protagonisten haben viel dazu getan, den Eindruck der politischen Beliebigkeit zu verstärken. Marina Weisband, die zur Hochzeit der Piraten 2011/12 deren Geschäftsführerin war und die geneigte Medien zum „Star“ machten, sagte, es gehe um einen „grundlegend veränderten Politikstil“: „Wir bieten kein Programm, sondern ein Betriebssystem.“ 

Über Martin Haase schrieb der „Spiegel“ im Februar 2012, der „Bamberger Linguistikprofessor gilt als mächtigster Pirat der Republik, obwohl er nur einfaches Parteimitglied ist.“ Politik mache er „fast ausschließlich übers Internet“.

Großgeschrieben wird bei den Piraten Basisdemokratie, insbesondere die Idee der „Liquid Democracy“ (flüssige Demokratie), unterstützt von einer entsprechenden Software, „LiquidFeedback“. Verknüpft werden auf diese Weise direktdemokratische Elemente mit repräsentativen Strukturen. Bei Entscheidungen dürfen alle mitreden, können aber auch ihre Entscheidungsbefugnis übertragen, selbst für ganze Politik- oder Kompetenzfelder. Die Übertragung kann wiederum weiterübertragen werden. Dieses Verfahren, welches der Verkrustung von Strukturen vorbeugen soll, ist bei der Mitwirkung einer größeren Anzahl von Personen ohne technische Unterstützung, eben mittels Internet, undenkbar und auch hier alles andere als unproblematisch. 

Derartige Probleme setzen sich in der Programmatik fort. Dort findet sich einerseits die Forderung nach einer Stärkung der Bürgerrechte, man wendet sich gegen Vorratsdatenspeicherung und Lauschangriff, die Geheimdienste möchte man besser kontrolliert wissen und dem Schutz der Privatsphäre kommt höchste Priorität zu. Andererseits wünscht man hochgradige Transparenz der Vorgänge in Politik und Verwaltung sowie Informationsfreiheit für jeden Einzelnen. Patent- und Urheberrecht sollten starke Einschränkungen erfahren. Der Zugang zu Bildungseinrichtungen sei völlig kostenfrei zu gewähren. Im Bereich der Wirtschaftspolitik wird vor allem das bedingungslose Grundeinkommen forciert.

Im Ausland erfolgreicher

Erhebliche innere Auseinandersetzungen prägten das Bild in den Medien, dazu etliche Affären. Lässt sich die Angelegenheit um den „Bayerntrojaner“ – die Veröffentlichung eines Dokuments über Spionagesoftware – noch in die Anliegen der Piraten einordnen, so tat man sich 2009 mit der Aufnahme des Bundestagsabgeordneten Jörg Tauss, der aus der SPD ausgetreten war, nachdem Vorwürfe wegen des Besitzes von Kinderpornographie laut geworden waren, keinen Gefallen. Tauss wurde später entsprechend verurteilt. Anne Helm kandidierte 2014 fürs EU-Parlament. Kurz zuvor hatte sie in Dresden demonstriert – mit dem Spruch „Thanks Bomber Harris“. Hinzufügen ließe sich noch der Berliner Abgeordnete Gerwald Claus-Brunner, der 2016 seinen Ex-Mitarbeiter, der Claus-Brunners Begehrlichkeiten nicht erwidert hatte, ermordete und anschließend Suizid beging.

Die kurzlebigen Erfolge, welche die Piraten nicht ausbauen konnten – gerade in der „Informationsgesellschaft“ für eine „Internet-Partei“ äußerst kurios – , lassen sich schwer rational erklären. Überschreiben könnte man die Episode als „Macht ohne Idee“. Viele ehemalige Führungskräfte haben die Partei verlassen, mancher in Richtung SPD oder FDP, wie der einstige Vorsitzende Bernd Schlömer. Deutlich mehr kamen zu den Grünen, wie Weisband, oder zur Linkspartei, wie Helm. Politisch blauäugig, aber von vielen Mitgliedern zumindest anfangs mit ehrlicher Weltverbesserungs-Überzeugung getragen, dämmert die deutsche Piratenpartei in der Bedeutungslosigkeit. Mehr Resonanz finden Piraten derzeit in anderen Ländern, etwa in Tschechien. In Prag stellen sie sogar den Oberbürgermeister.