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17.01.20 / Eine „Evakuierung“, die den Namen nicht verdient / Die Flucht aus dem Osten führte ins Chaos / Die Menschen in Ostdeutschland hatten zwangsweise ausharren müssen, bis es für viele von ihnen längst zu spät war

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 03 vom 17. Januar 2020

Eine „Evakuierung“, die den Namen nicht verdient
Die Flucht aus dem Osten führte ins Chaos
Die Menschen in Ostdeutschland hatten zwangsweise ausharren müssen, bis es für viele von ihnen längst zu spät war
Klaus J. Groth

Als die Winteroffensive der Roten Armee ab Januar 1945 in die deutschen Ostgebiete vordrang, war es für eine geordnete Flucht längst zu spät. 14 Millionen Menschen verließen ihre Heimat, zwei Millionen starben auf der Flucht durch Gewalt, Hunger und Kälte. Allein aus Ostpreußen versuchten zwei Millionen den rettenden Westen zu erreichen. Viele schafften es nicht. Dennoch listen Verzeichnisse historischer Ereignisse das unter dem Schlagwort „Evakuierung Ostpreußens“. Es war keine Evakuierung, es waren Chaos, Elend und Tod. 

Die Menschen in Ostpreußen, in der Neumark, im Warthegau und Oberschlesien hatten geahnt, was ihnen bevorstehen könnte. Im August 1944 war Ostpreußens Gauleiter Erich Koch ein Plan zur Evakuierung der Zivilbevölkerung vorgelegt worden. Er wischte ihn beiseite: „Wer noch einmal von Räumung spricht, gilt als Verräter.“ Ende August erreichten erste Flüchtlingstrecks aus dem Gebiet Tilsit den Kreis Insterburg. Nahezu an jedem Tag zogen 10 000 Menschen mit Wagen, Pferden und Vieh durch die Dörfer. Halbverwildert wanderte eine Herde von 40 000 Rindern durchs Land.

Im Oktober 1944 brachten im kurzzeitig eroberten Nemmersdorf Soldaten der Roten Armee zahlreiche Bewohner des Dorfes viehisch um. Die  abscheulichen Berichte aus Nemmersdorf waren später Grund für viele, vor der anrückenden Roten Armee zu flüchten.

14 Millionen verließen ihre Heimat

Dienststellen der NSDAP hatten ein Reiseverbot verhängt. Fahrkarten in Richtung Westen gab es nur mit Sondergenehmigung bei dringenden Familienangelegenheiten. Evakuierung wurde als Feigheit abgetan. Darum hatten die Bewohner es unterlassen, zu packen oder sich um Transportmöglichkeiten zu kümmern. Die sowjetische Winteroffensive, die am 12. Januar 1945 begann, traf sie unvorbereitet. Überhastet machten sich die Menschen zu Hunderttausenden bei minus 20 Grad und den heftigsten Schneefällen des Jahrhunderts auf den Weg. Über Autos und Motorräder verfügte nur die Wehrmacht. Die Menschen flohen zu Fuß, mit dem Handwagen, umgedrehte Tische ziehend. Glücklich, wer auf einem Pferde- oder Ochsenfuhrwerk saß. Mütter schoben ihre Kinderwagen durch den Schnee. Viele schleppten ihre Habe in unhandlichen Koffern.

Am 21. Januar waren noch einige Züge in Königsberg eingesetzt worden. Zehntausende versuchten, sie zu stürmen, mussten aber zum größten Teil zurückbleiben. Vier Tage steckten die Züge zwischen Heiligenbeil und Elbing fest, bei minus 15 Grad. Dann fuhren sie zurück, es gab kein Durchkommen mehr.

Schon vier Tage nach Beginn der Offensive herrschte auf den Straßen und Feldwegen Chaos. Die Rote Armee drang täglich 50 bis 70 Kilometer ins Reichsgebiet vor. Sie überrollte die Flüchtlingstrecks. Panzer schossen in die Kolonnen. Wer von den sowjetischen Soldaten umstellt wurde, dem drohten Misshandlung, Vergewaltigung oder Ermordung. Die Zahl der vergewaltigten Frauen wird auf 1,4 Millionen geschätzt. Es kam zu zahlreichen Massenvergewaltigungen. Nach Dokumenten des Bundesarchivs wurden Schwangere, Minderjährige, Bewohnerinnen von Altersheimen und Krankenschwestern nicht verschont. Die Kommandanten schritten nicht ein. Männer wurden in die Sowjetunion deportiert. Von den Flüchtlingen aus Ostpreußen kamen nach Schätzungen 300 000 auf der Flucht elend ums Leben.

Zwei Millionen starben auf der Flucht

Die Katastrophe weitete sich aus, als sowjetische Panzer am 22. Januar nach Elbing vorstießen. Ostreußen war abgeschnitten. Es gab keinen Weg zur Weichsel mehr. Der Flüchtlingsstrom musste umkehren. Nur noch der Weg über das Frische Haff schien offen. Das war zugefroren, da konnte man den acht Kilometer langen Weg zur Frischen Nehrung schaffen. Über die schmale Landzunge hoffte man, den Hafen von Danzig zu erreichen. Für viele wurde das zur tödlichen Falle. Eiswasser stand 25 Zentimeter über der gefrorenen Oberfläche. Fuhrwerke brachen ein, weil sie von sowjetischen Tieffliegern beschossen wurden. Viele der Flüchtenden ertranken oder erfroren. Die verzweifelten Menschen wussten um die Gefahr auf dem Haff. Doch es war der einzige Weg, um in Danzig auf ein Schiff der Marine zu gelangen, das sie nach Westen bringen würde. Die Tragödie der „Wilhelm Gustloff“ setzte ein schreckliches Ausrufezeichen in die Geschichte des unendlichen Leidens der Flucht aus Ostpreußen. 

Von den Reichsdeutschen, die flohen oder vertrieben wurden, stellten die Schlesier mit 3,3 Millionen den größten Anteil. 2,9 Millionen mussten ihre sudetendeutsche Heimat verlassen. Danach stellten Ostpreußen mit zwei Millionen die nächste Gruppe. Etwa die gleiche Anzahl mussten aus der Kurmark und Pommern in eine ungewisse Zukunft ziehen. Zwei Millionen Deutsche entschlossen sich, in der von der Roten Armee eroberten Heimat zu bleiben. Sie wurden zu Hunderttausenden zur Zwangsarbeit deportiert, in Lager gesperrt oder im Alltag drangsaliert.