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17.01.20 / Enigma / Wie Polen und Briten die deutsche Rotor-Schlüsselmaschine knackten / Seit dem 17. Januar 1940 gelang es den Alliierten zunehmend, chiffrierte Funksprüche der Wehrmacht zu dekodieren

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 03 vom 17. Januar 2020

Enigma
Wie Polen und Briten die deutsche Rotor-Schlüsselmaschine knackten
Seit dem 17. Januar 1940 gelang es den Alliierten zunehmend, chiffrierte Funksprüche der Wehrmacht zu dekodieren
Wolfgang Kaufmann

Im Ersten Weltkrieg erlebten die deutschen Streitkräfte ein regelrechtes kryptographisches Waterloo. Der Gegner war in der Lage, zahllose ihrer verschlüsselten Funksprüche zu dechiffrieren. Möglicherweise hat auch dies dazu geführt, dass es den Deutschen nicht gelang, Paris einzunehmen. 

Deshalb suchte die nach dem Weltkrieg gegründete Reichswehr der Weimarer Republik nach einem Ersatz für die nun allgemein als unsicher geltenden manuellen Schlüsselverfahren. Diesen fand sie in der elektromechanischen Rotor-Chiffriermaschine von Arthur Scherbius namens „Enigma“, dem griechischen Wort für Rätsel. Das schreibmaschinenähnliche Gerät bestand im Prinzip aus einem Tastenfeld zur Eingabe des Klartextes, mehreren drehbaren Walzen, welche die Verschlüsselung besorgten, sowie beleuchteten Buchstabenfeldern zur Anzeige des codierten Textes, der dann gesendet und mit ebensolchen Maschinen wieder dechiffriert wurde. Durch die Kombination unterschiedlicher Walzen sowie zusätzlicher, sich ständig ändernder Verdrahtungen innerhalb der „Enigma“ waren je nach Modell theoretisch bis zu 200 Trilliarden Code-Kombinationen möglich.

Die Reichsmarine verwendete die ersten Prototypen der Maschine ab 1926, zwei Jahre später zog das Heer nach. Bis 1945 wurden zwischen 40 000 und 100 000 Enigma-Schlüsselmaschinen produziert. Sie kamen ab 1933 in weiterentwickelten Varianten schrittweise auch bei der Luftwaffe, der SS, der Polizei, der Reichsbahn und dem Auswärtigen Amt zum Einsatz.

Im Rahmen der verdeckten polnischen Kriegsvorbereitungen gegen Deutschland versuchten einige junge Kryptologen des Referates BS4 im Biuro Szyfrów (Chiffrier-Büro) des Warschauer militärischen Nachrichtendienstes Dwójka, die Geheimnisse des Enigma-Verfahrens zu ergründen. Dabei wären sie allerdings kaum sehr weit gekommen, wenn es nicht einen Verräter in der Chiffrier-Stelle des Reichswehrministeriums gegeben hätte. Hierbei handelte es sich um Hans-Thilo Schmidt, den Bruder des damaligen Chefs des Stabes der In-spektion der Nachrichtentruppen, der unter den Decknamen „HE“, „Asché“ und „Source D“ für den französischen Geheimdienst Service de Renseignement arbeitete und diesem zwischen Oktober 1931 und Sommer 1939 303 Dokumente über die Enigma und deren Funktionsweise verkaufte.

Trilaterale Zusammenarbeit

Weil die Franzosen mangels kryptologischer Kompetenz aber wenig mit dem erhaltenen Material anzufangen wussten, leiteten sie es sukzessive an den polnischen und britischen Geheimdienst weiter. Dies gab dem polnischen Mathematiktalent Marian Rejewski vom BS4 die Möglichkeit, ab Ende 1932 erste Teilerfolge bei der Entschlüsselung von Enigma-Meldungen zu erzielen. Hierbei halfen ihm seine früheren Kommilitonen Jerzy Rózycki und Henryk Zygalski sowie zwei selbst entwickelte elektromechanische Gerätschaften namens „Zyklometer“ und „Bomba kryptologiczna“ (kryptologische Bombe), die dem Prinzip der Enigma nachempfunden waren und ein beschleunigtes automatisiertes Durchspielen der möglichen Code-Varianten ermöglichten.

Allerdings wurde die Enigma deutscherseits immer wieder technisch verbessert. Dazu kamen ständige Verkomplizierungen des Schlüsselverfahrens. Deswegen stießen die polnischen Code-Knacker zunehmend an ihre Grenzen. So hätten sie 1938 bereits 60 Exemplare der Bomba kryptologiczna gebraucht, um mit einiger Aussicht auf Erfolg weiterarbeiten zu können. Daraufhin entschloss sich der Leiter des Biuro Szyfrów, Oberst Karol Gwido Langer, zur Intensivierung der Zusammenarbeit mit dem britischen und französischen Geheimdienst. Hierdurch kam es Ende Juli 1939 im polnischen Entzifferungszentrum „Wicher“ im Kabaty-Wald von Pyry bei Warschau zu einem trilateralen Kryptologen-Treffen. In dessen Verlauf wurde vereinbart, dass die Polen künftig vor allem die mathematisch-theoretischen Probleme rund um die Enigma bearbeiten sollten, während Frankreich seine Agentenkontakte intensivierte und die Briten die Weiterentwicklung der Entschlüsselungstechnik übernahmen. Letztere Aufgabe oblag ab September 1939 der Government Code and Cypher School (G.C. & C.S.) unter Commander Alexander Guthrie Denniston in Bletchley Park, 70 Kilometer nordwestlich von London. Während hier der Aufbau einer regelrechten Entzifferungsfabrik mit zum Schluss rund 10 000 Mitarbeitern sowie 330 weiterentwickelten Exemplaren der Bomba kryptologiczna vorangetrieben wurde, musste das Biuro Szyfrów im Herbst 1939 wegen der polnischen Niederlage gegenüber der Wehrmacht über Rumänien nach Frankreich ausweichen.

Geheimhaltung bis 1974

Dort gelang den polnischen Kryptologen im nunmehrigen „PC Bruno“ im Château de Vignolles bei Gretz-Armainvilliers unweit der französischen Hauptstadt ab dem 17. Januar 1940 praktisch zeitgleich mit den Briten in Bletchley Park die Entschlüsselung erster Enigma-Funksprüche im Kriege. Dabei handelte es sich zunächst nur um militärisch unwichtige alte Meldungen vom Oktober des Vorjahres. Allerdings nahm die Effizienz der Mitarbeiter der G.C. & C.S. quasi von Woche zu Woche zu. Daran änderten auch immer neue Modifizierungen des Kodier-Verfahrens der Enigma-Maschine durch die deutsche Seite nichts. Bald waren die Briten in der Lage, um die 1000 Meldungen pro Tag zu dechiffrieren.

Die Folgen der Mitlesens von insgesamt letztlich mehr als 2,5 Millionen Enigma-Sprüchen unter der alliierten Tarnbezeichnung „Ultra“ (jenseits) waren gravierend. Zum einen trug das Knacken der deutschen Codes sehr zu den britischen Siegen in der Luftschlacht um England sowie den Kämpfen gegen Erwin Rommels Afrikakorps bei, zum anderen erleichterte es die alliierte Landung auf Sizilien und in der Normandie. Ebenso wäre die Wende in der sogenannten Atlantikschlacht gegen die U-Boot-Rudel der Kriegsmarine ohne Kenntnis des deutschen Funkverkehrs nicht möglich gewesen. Insofern lagen der alliierte Oberkommandierende Dwight D. Eisenhower und der britische Premierminister Winston Churchill vollkommen richtig, als sie später intern die kriegsentscheidende Bedeutung von Ultra betonten. Die Kryptoanalyse hatte tatsächlich den Lauf der Geschichte verändert – was die Westalliierten indes noch bis 1974 geheim zu halten vermochten.





Kurzporträts

Der 1878 in Frankfurt am Main geborene und 1929 in Berlin gestorbene Elektroingenieur Arthur Scherbius war ein Unternehmer und Erfinder. Seine berühmteste Erfindung ist die 1918 patentierte Enigma

Der 1909 in Oltschana bei Kiew geborene Mathematiker und Kryptologe Jerzy Rózycki starb 1942 beim Untergang des Passagierschiffs „Lamoricière“ in der Nähe der Balearischen Inseln

Der 1891 Heidenheim an der Brenz geborene Militärstratege und Befehlshaber des Deutschen Afrikakorps, Generalfeldmarschall Erwin Rommel, wurde 1944 in Herrlingen zum Selbstmord gezwungen