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24.01.20 / Leitartikel / Verschenkte Mehrheiten

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 04 vom 24. Januar 2020

Leitartikel
Verschenkte Mehrheiten
René Nehring

Gemeinsam neue Wege gehen“. Mit diesen Worten ist der Koalitionsvertrag überschrieben, den die Thüringer Landesverbände von SPD, Die Linke und Grünen in der vergangenen Woche unterzeichnet haben. „Neue Wege“ ist in diesem Fall keine beliebige Floskel aus dem Repertoire wortgewandter Unternehmensberater, sondern ein ernstes Problem: Denn die drei Parteien treten an, den Freistaat künftig ohne eine Mehrheit im Landtag zu regieren. 

Am 27. Oktober 2019 hatten die Thüringer ein Ergebnis gewählt, bei dem keine der üblichen Koalitionsoptionen eine Mehrheit hatte. Somit mussten Lösungen her, wie es sie noch nicht gegeben hatte. Tatsächlich zeigte sich CDU-Landeschef Mike Mohring zu einer Zusammenarbeit von Union und Linkspartei bereit. Allein ein Aufstand an der Parteibasis unterband diesen Versuch, der für die CDU vermutlich in einem Desaster geendet hätte. Nun blieb also nur noch, so die meisten Kommentare, die Duldung einer linken Minderheitsregierung durch die CDU. Oder? 

Tatsächlich verdeckte das Lamento über die Erfurter Verhältnisse, dass es nicht nur dort, sondern auch andernorts alternative Mehrheiten gibt: Seit der Bundestagswahl 2017 hatten die bürgerlichen Parteien CDU/CSU, AfD und FDP bei fast allen Landtagswahlen und bei der Wahl zum EU-Parlament zusammen deutliche Mehrheiten vor Rot-Rot-Grün. Lediglich in Bremen und Brandenburg lagen die Mitte-links-Parteien vorn. Dennoch wählte die CDU abwechselnd die SPD oder die Grünen oder beide zum Partner. 

Für das Nichtzustandekommen einer Mitte-Rechts-Koalition gibt es mehrere Gründe. Zum einen führte der programmatische Wandel, den die Union in den letzten anderthalb Jahrzehnten vollzogen hat, dazu, dass sie in vielen Grundsatzfragen wie Zuwanderung, Energie, Verkehr, Familienpolitik heute dort steht, wo noch vor wenigen Jahren nur ihre Konkurrenten links der Mitte standen. Allein die Entfremdung zur FDP zeigt, wie sehr sich die CDU unter Angela Merkel gewandelt hat. 

Der zweite Grund für ein Nichtzustandekommen von Schwarz-Blau-Gelb ist jedoch die mangelnde Regierungsbereitschaft der AfD. Zwar verkündete die Partei auf ihrem Parteitag Ende 2019, künftig Regierungsbeteiligungen anstreben zu wollen – doch reicht ein entsprechender Beschluss allein nicht aus. Viel zu oft haben in den vergangenen Jahren führende Repräsentanten der AfD mit gezielten Provokationen den Bürgerschreck gegeben – von Björn Höckes Forderung nach einer „erinnerungspolitischen Wende um 180 Grad“ über die „Halbneger“-Beleidigung des Boris-Becker-Sohnes Noah durch den Abgeordneten Jens Maier bis hin zur „Vogelschiss-Rede“ des Parteivorsitzenden Alexander Gauland. 

Ebenso schwer wiegt die programmatische Unschärfe der AfD. Zwar ist es das gute Recht jeder Opposition, die Schwächen der Regierenden anzuprangern. Doch kommt irgendwann der Punkt, an dem die Wähler – zumal bürgerliche – konkrete Inhalte erwarten. Wo ist zum Beispiel das Rentenkonzept der AfD? Wo steht die Partei in den Debatten zur Verkehrswende? Wer eine Alternative sein will, muss eben auch inhaltliche Alternativen anbieten. Dass die Partei durchaus zur Sacharbeit fähig ist, hat sie erst Anfang dieser Woche gezeigt, als sie in Berlin ihr „Forst- und jagdpolitisches Leitbild“ vorstellte. 

Die klugen Köpfe in Union und AfD sollten überlegen, wie lange sie den gegenwärtigen Zustand aufrechterhalten wollen. Die einen müssen sich fragen, wie lange sie noch eine Politik verantworten wollen, die sich immer weiter von den eigenen Grundsätzen entfernt; die anderen müssen sich fragen, wie lange sie noch trotz wachsender Wahlerfolge draußen bleiben wollen. Fakt ist: Wenn Union und AfD nicht zusammenfinden, werden die Deutschen noch eine ganze Weile mit dem Paradoxon leben müssen, dass sie zwar pausenlos Mitte-Rechts-Mehrheiten wählen, anschließend jedoch jedesmal eine Mitte-Links-Regierung bekommen.