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24.01.20 / Fluchttragödie 1945 / Die letzte Fahrt der „Wilhelm Gustloff“ / Der Trinker und der tausendfache Tod in der Ostsee. Kein Schiffsuntergang forderte mehr Opfer

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 04 vom 24. Januar 2020

Fluchttragödie 1945
Die letzte Fahrt der „Wilhelm Gustloff“
Der Trinker und der tausendfache Tod in der Ostsee. Kein Schiffsuntergang forderte mehr Opfer
Klaus J. Groth

Die letzte Hoffnung verzweifelter Flüchtlinge aus Ostpreußen hatte einen Namen: Gotenhafen. Dort, im Hafen bei Danzig, lagen Schiffe, mit denen verwundete Soldaten ins Reichsgebiet transportiert werden sollten. Man hatte gehört, dass auch Zivilisten mitgenommen würden. Diese Hoffnung endete für viele Flüchtlinge in der größten Schiffskatastrophe der Seefahrt. Sie waren an Bord der „Wilhelm Gustloff“ gegangen.

Viel zu spät, am 20./21. Januar 1945, hatte sich der große Treck in Bewegung gesetzt. Da begann bereits die Einkesselung durch die Rote Armee. Aber der Oberbefehlshaber der 4. Armee, General Friedrich Hoßbach befahl: „Die Zivilbevölkerung muss zurückbleiben. Das klingt grausam, ist aber nicht zu ändern.“ Die bedrängten Menschen aber machten sich auf den Weg.

10 300 Menschen an Bord 

Auch Teile der Wehrmacht setzten sich ab. Am 23. Januar hatte Großadmiral Karl Dönitz die „Operation Hannibal“ angekündigt, bei der verwundete Soldaten auf allen verfügbaren Schiffen verlegt werden sollten. Betroffen war auch die 2. U-Boot-Lehrdivison in Gotenhafen (Gdingen). Sie sollte nach Kiel. 919 Marinesoldaten der Division befanden sich an Bord der „Wilhelm Gustloff“, als der ehemalige „Kraft durch Freude“-Kreuzfahrer am 30. Januar zum Auslaufen vorbereitet wurde. Die „Wilhelm Gustloff“ war inzwischen zum Lazarettschiff und Truppentransporter umgebaut. Auf Anweisung des Kommandierenden Admirals der Unterseeboote, Hans-Georg von Friedenburg, waren auch Zivilisten an Bord genommen worden. Damit begannen zahlreiche Schiffstransporte, die Flüchtlinge in die westlich gelegenen Ostseehäfen brachten. Bis zu 2,5 Millionen Menschen sind so über die Ostsee gerettet worden, wird vermutet. Im Januar 1945 half die Kriegsmarine mit Fischerbooten, Tendern oder Minensuchern 250 000 Menschen auf der Flucht: aus Libau 4200, aus Memel 19 400, aus Königsberg 25 000, aus Pillau 106 000, aus Danzig 21 500, aus Gotenhafen (Gdingen) 58 200, aus Hela 850 und aus Elbing 5000. Zwölf Schiffe erreichten ihr Ziel nicht. Dabei kamen 14 000 Menschen ums Leben. 

Mehr als 9300 Menschen ertranken 

Als die „Wilhelm Gustloff“ für die zivilen Flüchtlinge freigegeben wurde, da stürmten verzweifelte Menschen das Schiff, voller Hoffnung und voller Angst, keinen Platz zu ergattern. Ausgelegt war das Schiff für 1465 Passagiere und 426 Mann Besatzung. Nach solchen Zahlen fragte niemand. Am 50. Geburtstag ihres Namensgebers legte die „Wilhelm Gustloff“ am 30. Januar gegen 13.10 Uhr in Gotenhafen ab mit Ziel Swinemünde. Da befanden sich schätzungsweise 10 300 Menschen an Bord, fünfmal so viele wie vorgesehen. Offiziell hatte der Einschiffungsoffizier 7956 Passagiere gezählt, aber nachdem er aufgehört hatte zu zählen, drängten noch einmal 2500 Menschen an Bord. Allein über die Zahl der Soldaten an Bord gibt es klare Angaben: 1500 Angehörige der Wehrmacht, darunter 162 Verwundete, 340 Marinehelferinnen und die 918 Soldaten der 2. U-Boot-Lehrdivision. 

Vier Kapitäne hatten das Kommando, vier, die sich nicht einig waren. Während einer durch flache Küstengewässer fahren wollte, um U-Booten keine Chance zu geben, wollte der andere wegen der Überladung in tiefere Gewässer. Wegen eines angeblich entgegenkommenden Minensuchgeschwaders hatte man Positionslichter gesetzt. 

Diese Positionslichter entdeckte das sowjetische U-Boot S-13 gegen 19 Uhr. Vier Torpedos ließ sein Kommandant, Kapitän 3. Ranges Alexander Marinesko, zwei Stunden später auf der Höhe von Stolpmünde abfeuern, den ersten gegen 21.15 Uhr. Drei trafen, zwei im Vorschiff, einer im Maschinenraum. Wasser drang in den Rumpf, die Schotten konnten nicht geschlossen werden. Möglicherweise waren sie durch Gepäck der Flüchtlinge blockiert. In Todesangst drängten sich die Menschen an Deck. Festgefrorene Rettungsboote ließen sich nicht zu Wasser bringen. Menschen prügelten sich um Rettungswesten, sprangen in die eiskalte Ostsee. Tausende schafften es nicht aus dem Inneren an Deck. Nach 62 Minuten, um 22.15 Uhr, versank die „Wilhelm Gustloff“, 23 Meilen vor der pommerschen Küste. Mehr als 9300 Menschen ertranken, nur 1239 konnten gerettet werden. 

1239 konnten gerettet werden

Erst in der folgenden Nacht setzte der Kommandant von S-13 seine Meldung ab: „30. Januar – 23.08 Uhr aufgetaucht / drei Torpedos abgefeuert / Mit Bestimmtheit Dampfer etwa 20 000 Tonnen versenkt.“ Die Meldung wurde mit Skepsis aufgenommen. Schon einmal hatte Marinesko die Versenkung eines großen Schiffes gemeldet, das sich als kleiner Pott entpuppte. Zudem war der Kapitän als Trinker bekannt, der selbst für einen Russen zu viel trank. Man glaubte ihm nicht. 

Auch nicht, als er zehn Tage später die Versenkung des Leichten Kreuzers „Emden“ meldete. Tatsächlich versenkt hatte er das Passagierschiff „Steuben“, auf dem sich neben 900 Flüchtlingen 3000 verwundete Soldaten befanden. Nur wenige überlebten. Zurück im Heimathafen Turku, brüstete sich Marinesko, 10 000 Faschisten getötet zu haben. Tatsächlich waren durch den Mann 11 000 bis 13 000 Menschen zu Tode gekommen. Erst vor wenigen Jahren wurden Denkmale für ihn in Königsberg und St. Petersburg errichtet.