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24.01.20 / Geschichte / Der Historiker Christopher Clark betrachtet Regenten und ihre Ideale / Der Preußenspezialist stellt in seinem Buch „Von Zeit und Macht“ die vorbildliche Amtsführung großer Preußen denen europäischer Politiker der Gegenwart mit ihren Chancen und Gefahren gegenüber

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 04 vom 24. Januar 2020

Geschichte
Der Historiker Christopher Clark betrachtet Regenten und ihre Ideale
Der Preußenspezialist stellt in seinem Buch „Von Zeit und Macht“ die vorbildliche Amtsführung großer Preußen denen europäischer Politiker der Gegenwart mit ihren Chancen und Gefahren gegenüber
Dirk Klose

Von der Parteien Gunst und Hass verwirrt, schwankt sein Charakterbild in der Geschichte.“ Mit diesen Worten kennzeichnet Friedrich Schiller den Feldherrn Wallenstein in seinem großen geschichtsträchtigen Drama. Umgekehrt und viel häufiger gibt es allerdings das Gegenteil, dass sich nämlich große – oder für groß haltende – Herrscher und Politiker als Repräsentanten ihrer Zeit sehen und der Geschichte ihren Stempel aufzudrücken versuchen. 

Der aus Australien stammende, heute in Cambridge lehrende Historiker Christopher Clark ist durch seine Bücher über Preußen und den Beginn des Ersten Weltkriegs („Die Schlafwandler“) längst zu einem, wenn nicht zu dem Spezialisten für die preußisch-deutsche Geschichte geworden. Seinem neuen Buch „Von Zeit und Macht“ schickt er die These voraus, dass wie Schwerkraft das Licht, so Macht die Zeit beuge, dass also Macht jeweils das Denken über politische und geschichtliche Abläufe präge. Clark will unterschiedliche Formen von Geschichtlichkeit zeigen, in welchen Machthaber sich präsentieren. Das klingt zunächst sehr abstrakt, wird aber schon bald höchst anschaulich. Vier historische Beispiele, oder besser Persönlichkeiten, hat Clark sich zur Verdeutlichung seiner Thesen ausgesucht: Den Großen Kurfürsten, Friedrich den Großen, Bismarck und die Politik der Nationalsozialisten.

Der Große Kurfürst hatte enorme Widerstände des Adels und der Stände zu überwinden, um das vom Dreißigjährigen Krieg völlig zerstörte, zerklüftete, von Ostpreußen bis an den Niederrhein reichende LandLand mittels eines halbwegs respektablen Heeres reputationsfähig zu machen. Er achtete nicht alte Privilegien und Verträge, sondern wollte zeitgemäß einen starken und wehrhaften Staat aufbauen. Kein Geringerer als Samuel Pufendorf rühmte seine vorausschauende Energie. 

Wie die Zeit Macht prägt

Friedrich der Große sah sich als „Philosoph auf dem Thron“, war aber eher, wie Clark einleuchtend meint, ein königlicher Historiker, was seine berühmten historischen Traktate unterstreichen. Für Friedrich war Geschichte ein in dauerndem Fortschritt befindlicher Prozess mit unumstößlichen immanenten Gesetzen, was die Wucht momentaner Ereignisse mit einer gewissen Gelassenheit aushalten ließ. Seine Gegenwart sah der König skeptisch; seine Ideale fand er im antiken Rom, dessen Helden wie Sulla, Caesar oder Augustus ihm geradezu Geistesverwandte waren. 

Bismarck, so sagt es Clark, war ein „Steuermann im Strom der Zeit“. Er nimmt Bismarcks Selbstzeugnis als Schachspieler auf und zeigt an dem bekannten Passus, sich in der Politik wie ein Schachspieler alle Züge offenzuhalten, dessen Verständnis von politischem Handeln in seiner Zeit. Das bedeutete beispielsweise auch, die – mentalen wie auch tatsächlichen – Veränderungen durch die Revolution von 1848 anzuerkennen und den neuen Gegebenheiten Rechnung zu tragen, immer mit dem Ziel, das monarchische System zu halten und zu festigen. Am Ende führt Clark die Politik des NS-Regimes an. Ihm attestiert er völlige Geschichtslosigkeit, vielmehr ein aggressives Bestreben, mittels eines Endsiegs in Europa eine Weltherrschaft zu erreichen – „ein apokalyptisches Projekt einer rassischen Selbstverwirklichung“. 

Geschichte als Lehrmeisterin. Der Autor schreibt, er habe dieses Buch auch „unter dem Getöse und dem Triumph der Brexit-Kampagne“ geschrieben, ferner um der gegenwärtigen Mutlosigkeit und einer Endzeitstimmung entgegenzuwirken. Die drei Preußen hätten beispielhaft die Anforderungen ihres Amtes als Herausforderung begriffen und entsprechend der ihnen in ihrer Zeit gegebenen Macht gemeistert. Heute drohe die Gefahr wachsender nationalistischer und populistischer Strömungen mit der Beschwörung einer idealisierten Vergangenheit. 

Das Buch verlangt ein intensives Mitdenken, was aber durch neue Einsichten zu den drei großen Preußen belohnt wird. Wenn überhaupt, dann mag man bedauern, dass der Autor, was ihm sicher leichtgefallen wäre, nicht etwas mehr konkrete Politik gebracht hat, etwa, wie es dem Großen Kurfürst letztendlich gelang, den hartnäckigen Widerstand von Adel und Ständen zu brechen oder wie Bismarcks virtuoses „Spiel mit fünf Bällen“ realiter aussah. Aber dann wäre dieses auch so ungemein lesenswerte Buch vielleicht zu umfangreich geworden. 

Christopher Clark: „Von Zeit und Macht“, Deutsche Verlags-Anstalt, München 2018, gebunden, 320 Seiten, 26 Euro