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07.02.20 / Richard Dehmel / Deutschlands meist rezipierter Lyriker vor dem Ersten Weltkrieg / Der einstige Skandaldichter entwickelte sich als Dramatiker, Romancier und Lyriker zum deutschen Vorbilddichter

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 06 vom 07. Februar 2020

Richard Dehmel
Deutschlands meist rezipierter Lyriker vor dem Ersten Weltkrieg
Der einstige Skandaldichter entwickelte sich als Dramatiker, Romancier und Lyriker zum deutschen Vorbilddichter
Martin Stolzenau/tws

Zu Lebzeiten war Richard Dehmel ein Dichterstar. Musiker wie Richard Strauss, Jean Sibelius oder Anton Webern vertonten zahlreiche Gedichte des Dichters, der vor 100 Jahren in Hamburgs Nobelvorort Blankenese starb. Sein Gedicht „Verklärte Nacht“ inspirierte Arnold Schönberg zu seinem bekannten Streichsextett „Verklärte Nacht“. Dass sich die revolutionären Zwölftonmusiker mit dem recht konservativ dichtenden Dehmel auseinandersetzten, ist bemerkenswert. Man hätte hier eher Stefan George oder Rainer Maria Rilke erwartet. Doch Dehmel war in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg der am meisten rezipierte Lyriker in Deutschland. An ihm kam keiner vorbei.

Das ist heute anders. Sein Werk droht in Vergessenheit zu geraten. Dabei fing er als Skandaldichter an und entwickelte sich dann in Berlin und Hamburg als Dramatiker, Romancier und Lyriker beim Übergang vom Naturalismus zum Expressionismus zum deutschen Vorbilddichter. Sein Aufstieg zum führenden deutschen Dichter war auch der Tatsache zu verdanden, dass er sich einen Zirkel von einflussreichen Anhängern schuf. Er gehörte zunächst zu den Säulen des Friedrichshagener Dichterkreises und machte dann sein Haus in Hamburg-Blankenese zu einem Treffpunkt der geistigen Elite.

Dehmel wurde am 18. November 1863 in Wendisch-Hermsdorf im heutigen Naturpark Dahme-Heideseen zwischen Königs Wusterhausen und Lübben geboren. Sein Geburtsort in der Naturparkidylle gehört jetzt als Ortsteil zur Gemeinde Münchehofe und zum Landkreis Dahme-Spreewald. Als Doktorant suchte er später den Kontakt zur Berliner Kunst-und Literaturszene und lernte dabei die Märchendichterin Paula Oppenheimer kennen. Beide heirateten 1889 und verfassten in der Folge zusammen Kinderbücher. Das war Dehmels Einstieg als Autor. Dann wagte er sich an Gedichtbände, die vom Naturalismus getragen sind. Dehmel thematisierte die soziale Frage und beschäftigte sich mit Liebe und Sexualität. 

Er beteiligte sich an der Gründung der Kunstzeitschrift „PAN“, lebte ab 1895 als freier Schriftsteller, orientierte sich als „leidenschaftliche Grüblernatur“ am „Bedürfnis des Menschen nach Deutung der Wirklichkeit“ und pflegte eine enge Freundschaft zum Dichterkollegen Detlef von Liliencron. 

Die Säule des Friedrichshagener Dichterkreises entwickelte eine folgenschwere Liebesbeziehung zu Ida Auerbach, die zum aufsehenerregenden Dreierverhältnis gedieh. Daraus resultierte sein Gedichtband „Weib und Welt“, der ihm wegen „Verletzung religiöser und sittlicher Gefühle“ eine Verurteilung eintrug und ihm den deutschlandweiten Ruf eines Skandaldichters bescherte. Das allerdings erhöhte die Nachfrage und ermöglichte ihm eine größere finanzielle Unabhängigkeit. 

Da es in der privaten Dreierbeziehung knisterte, ließ sich Dehmel 1899 von seiner ersten Frau scheiden. Das Haus des prominenten Paares in Blankenese galt als „Gesamtkunstwerk“ und wurde zum Treffpunkt der geistigen Elite. Hier verkehrten Thomas Mann, Gerhart Hauptmann, Walter Rathenau, Max Liebermann und Richard Strauß. Dehmel schriftstellerte parallel überaus erfolgreich weiter.

 Zum Lyrikerruhm gesellte sich der Erfolg als Romancier. „Zwei Menschen. Roman in Romanzen“ gedieh zum Bestseller. Dann kam 1914. Dehmel meldete sich freiwillig, diente an der West- sowie an der Ostfront und verfasste neben einem Kriegstagebuch auch nationalistische Kriegsgedichte. Erst bei Kriegsende erkannte der Erfolgsautor das ganze Ausmaß der Katastrophe und den eigenen Irrtum. Das untergehende Kaiserreich war für ihn nun ein „Staat von Profit- und Karrieremachern“.

Über diese späte Erkenntnis verstarb Dehmel am 8. Februar 1920 in Blankenese an den Folgen einer Kriegsverletzung. 1922 erschien postum seine Autobiografie „Mein Leben“. Seine Witwe profilierte sich nun als Nachlassverwalterin, Kunstmäzenin und Förderin von Frauenprojekten, ehe sie 1942 durch Suizid starb.