26.04.2024

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07.02.20 / Minimalismus / „Weniger ist mehr“ / Die neue Lust am Konsumverzicht

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 06 vom 07. Februar 2020

Minimalismus
„Weniger ist mehr“
Die neue Lust am Konsumverzicht
Wolfgang Kaufmann

Weil Billigware ständig und überall zu haben ist, besteht in vielen privaten Haushalten durch die schiere Menge angehäufter Gegenstände ein Problem von Enge und Überfülle. Eine Freundin von mir hatte genug davon. Sie lud mich zu sich nach Hause ein, damit ich mir etwas aus einem Haufen von Sachen aussuchen sollte, die sie unbedingt loswerden wollte. Als ich aber beherzt zugriff, hieß es: „Oh, das tut mir leid, aber davon kann ich mich im Moment noch nicht trennen.“ Und so verlief dieser Versuch einer radikalen Reduzierung von Besitztümern erst einmal im Sande.

Damit erledigt war bei meiner Freundin aber nicht das tief empfundene Bedürfnis, sich von materiellem Ballast zu befreien. Letztendlich hat es bei ihr doch noch geklappt. Ihr neues Prinzip heißt Minimalismus. Damit umschrieben ist ein Trend, der das Motto „weniger ist mehr“ zum Goldstandard für ein gutes Leben erklärt. Nicht nur in den wohlhabenden Ländern, sondern weltweit werden besser Verdienende, aber auch diejenigen, die es sich eigentlich nicht leisten können, durch die allgegenwärtige Werbung zum Konsumismus verführt – auf den Einzelnen bezogen ist damit Kaufsucht gemeint. Dabei hat sich herausgestellt, dass es uns Konsumenten aus den unterschiedlichsten Gründen schwerfällt, Dinge wieder herzugeben, selbst wenn sie sich kaum noch unterbringen lassen, es sei denn, sie sind defekt oder unansehnlich wie abgenutzte Kleidungsstücke oder angeschlagenes Geschirr. In deutschen Haushalten werden im Durchschnitt angeblich rund 10 000 Gegenstände gehortet. Um 1900 sollen es nur 180 gewesen sein. Dass unser Konsumverhalten oft eine innere Leere reflektiert, aber nicht ausfüllt, glaubt mittlerweile ein weltweit wachsender Bevölkerungsteil. 

10 000 Gegenstände statt 180

Diejenigen, die Minimalismus entschieden praktizieren, erhoffen sich durch eine von Grund auf veränderte Perspektive auf die Habenseite ihres Seins ein zufriedeneres, leichteres Leben. Denn darum geht es letztendlich. Diese Haltung ist nicht wirklich neu, nur erscheint es gegenwärtig sehr vielen Menschen aus gutem Grund wünschenswert, ihre Seele durch leere Flächen und Räume wieder aufzutanken. Bestärkt werden sie durch die populären Vorreiter dieses Trends. In ihren Büchern und auf diversen Internetkanälen verkünden Buchautoren und Blogger, dass Überfluss von Übel ist – für die Umwelt, aber auch für das emotionale Befinden. Aufräumen und Loslassen von „zusammen gerafften“ Besitztümern wird wie ein Heilsversprechen propagiert: „Dein Zimmer ist das Spiegelbild deiner Seele!“

Diese Apostel der Genügsamkeit propagieren die Befreiung von Besitzgier und einer auf Besitz beruhenden Eitelkeit als modernes Lebenskonzept. Als Weg zu diesem Ziel bieten sie ihr jeweiliges persönliches Minimal-Konzept an, stellen inspirierende Filme vor und schreiben Rezensionen. Da die professionellen Minimalisten ihre persönlichen Erfahrungen dokumentieren, präsentieren sie sich glaubhaft als Vorbilder und erreichen offenbar eine ansehnliche Anhängerschaft an Kunden und Followern. 

Therapeutische Stimmgabeln

Auf die Themen Nachhaltigkeit und vegane Ernährung hat sich ein Blogger spezialisiert, der vor Jahren seine Stelle kündigte und mit dem Fahrrad auf Weltreise ging. Er schreibt Artikel wie „25 Tipps, wie Du minimalistischer leben kannst (innerhalb einer Stunde)“ oder „Warum glückliche Menschen nicht gut fürs Geschäft sind und wie uns diese Erkenntnis glücklicher machen kann“. Eine Autorin erzählt in ihrem Buch über Minimalismus-Diät, wie sie mit einer positiven Einstellung glücklich abgenommen hat. Eigentlich gilt das Gebot: Neues wird nur gekauft, wenn etwas ersetzt werden soll. Dennoch haben sich einige Unternehmen auf den Vertrieb von Minimal-Produkten spezialisiert. Im Angebot sind beispielsweise als Ersatz für ausgemustertes Mobiliar Schränke und Regale im Ikea-Stil mit der Anmutung spartanischer Schlichtheit. 

Den Rang einer Minimalismus-Päpstin hat seit Jahren die Japanerin Marie Kondo inne. Ihre Bücher wurden in viele Sprachen übersetzt und weltweit sieben Millionen Mal verkauft. Im Englischen bezeichnet man ihre Methode des Aufräumens und Ausmistens als KonMari-Methode. Kondo rät, beim Aufräumen jeden Gegenstand in die Hand zu nehmen und sich dann die Frage zu stellen: „Macht es mich glücklich, wenn ich diesen Gegenstand in der Hand halte?“ Was glücklich macht, bleibt, alles andere kommt weg. Ihre Firma vertreibt neben luxuriösen Kartons unter anderem therapeutische Stimmgabeln – vermutlich geeignet für diejenigen, deren Stimmung sich nach dem Aufräumen und Ausmisten wider Erwarten nicht gehoben hat.