Von Hummel bis Störtebeker „Es war einmal ein ganz normaler Klabautermann. Er reichte einem erwachsenen Mann gerade bis zum Knie und er war ein bisschen dick. Mit seinem wuscheligen Bart und den feuerroten Haaren sah er aus wie alle anderen Klabautermänner auch. Aber dieser Klabautermann hatte ein Problem: Sein Schiff lief unter einem neuen Kapitän.“ 

Nach diesem Auftakt finden sich im „Hamburger Märchenbuch“ von Silke Moritz 19 Märchen, Legenden und Sagen in und um Hamburg. Hier begegnet man nicht nur dem besagten Klabautermann, der sich eigentlich nur wünscht, von seiner Mannschaft und dem Kapitän für seine Arbeit geschätzt zu werden, sondern auch dem „Alten Schweden“, „Siebenschön“, „Till Eulenspiegel“, „Hans Hummel“, „Klaus Störtebeker“ und vielen anderen im wahrsten Sinne legendären Bewohnern und Besuchern Hamburgs. Die kurzen Geschichten, die ursprünglich über mündliche Erzählungen weitergegeben und verbreitet wurden, werden von Moritz spannend nacherzählt. An angemessenen Stellen sind sie mit kindgerechten Erklärungen versehen, zum Beispiel dazu, wozu eigentlich ein Wasserträger früher gebraucht wurde oder weshalb der Verlust der Haube für eine Dame von Stand eine fürchterliche Bloßstellung bedeutete, ohne jedoch belehrend oder störend zu wirken. 

Jeder dieser Episoden ist ein Ort in Hamburg zugeordnet, an dem sich der Legende nach ihr Schauplatz befindet, oder an dem in Form von Statuen oder Museen der erzählten Märchen, Legenden und Sagen gedacht wird. Diese lassen sich dank des Stadtplanes im Inneren des Einbandes und dank der kurzen Beschreibungen zu den historischen Hintergründen und heutigen Orten, die sich am Ende jedes Kapitels finden, tatsächlich erkunden, was die Geschichten noch viel lebendiger erscheinen lässt. Zwar sind einige der Verbindungen zu den konkreten Orten tatsächlich etwas weit hergeholt, doch die Ergänzungen bemühen sich immer darum, ein wenig Hintergrundwissen zu den einzelnen Geschichten zu vermitteln, sodass man sie sich besser vorstellen kann. Hierzu tragen auch die liebevoll gestalteten Illustrationen von Mira Lob bei, die jede einzelne Episode untermalen. Ob nun zum Vor- oder Selberlesen ist dieser Band somit ein Muss für jeden, der sich für regionale Legenden oder das Hamburger Kulturgut interessiert – und auch für Märchenkenner sind hier sicherlich einige noch unbekannte Stücke zu finden. 

Silke Moritz: „Das Hamburger Märchenbuch. Sagen, Legenden und Märchen aus Hamburg neu erzählt“, Marzellen Verlag, Köln 2019, gebunden, 121 Seiten, 14,95 Euro