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14.02.20 / Kolumne / Moral vor Recht

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 07 vom 14. Februar 2020

Kolumne
Moral vor Recht
Florian Stumfall

Bei dem ganzen überzogenen Geschrei um die Wahl des Herrn Kemmerich – FDP und Mitglied des Landtages –  zum Ministerpräsidenten, wurde eine breite Phalanx von Vorwürfen geäußert: von „Das tut man nicht“ bis „Nazi“. Nur eine Frage blieb ungestellt: War der Vorgang rechtmäßig?

Die Antwort darauf, die offenbar niemanden interessierte, ist leicht zu geben: Selbstverständlich war die Wahl rechtmäßig, gar keine Zweifel. Denn die Stimme eines jeden Abgeordneten hat dasselbe Gewicht und dieselbe Berechtigung, welcher Partei er auch immer angehören mag. Dabei ist ganz klar: Eben deshalb wurde jene Frage nach der Recht­mäßigkeit nicht gestellt, denn diese Antwort wollte niemand hören.

Das gibt Anlass zu einer weiterführenden Betrachtung. Gefördert durch das Beispiel der Kanzlerin hat sich in den zurückliegenden zehn, 20 Jahren die Übung eingebürgert, Sachverhalte nicht nach ihrer rechtlichen Beschaffenheit, sondern danach zu beurteilen, wie sie zu der politischen Auffassung einer organisierten Minderheit steht. Das Gesetz tritt hinter das Empfinden nicht autorisierter Einzelner oder Gruppen zurück, eine Hand­lung rechtfertigt sich aus dem beabsichtigten Zweck und nicht durch seine Rechtmäßigkeit. Gesetze finden in diesem Milieu Anerken­nung, soweit sie den eigenen Zielen dienen, ansonsten verfallen sie der Missachtung.

Das beginnt mit alltäglichen Petitessen – der Radfahrer fährt bei Rot über die Ampel, aber er tut das CO2-neutral und daher zu Recht – und führt, um noch einmal auf Thüringen zurückzugreifen, dazu, dass Merkel fordert, das Ergebnis einer Wahl zu ändern, weil sie damit nicht einverstanden ist. Dass sich dabei Berlin nicht in Erfurt einzumischen hat und überhaupt eine Wahl über dem Belieben auch eines Bundeskanzlers steht, bleibt unbeachtet.

Gesinnung versus Verantwortung

Selten kommt ein akademisches Begriffspaar so zu aktueller politischer Bedeutung, wie in dieser Zeit dasjenige von der Verantwortungsethik und der Gesin­nungs­ethik, das der große Soziologe Max Weber geprägt hat. Die Verant­wortungsethik orientiert sich am normativen Kontext und der Frage nach den Folgen einer Handlung; die Gesinnungsethik wertet die Handlung ausschließlich nach ihrer Brauchbarkeit für die eigenen Ziele, denen freilich eine höhere Moral unterstellt wird. 

Zur Politik wurde die Gesinnungsethik im großen Umfang durch die 68er-Revolte. „Macht kaputt, was euch kaputt macht“ war das Schlagwort, das diese Einstellung kurz und verständ­lich zum Ausdruck brachte, und dann bis hin zum extremen Links-Terrorismus von Baader, Meinhof und anderen führte.

In der Gegenwart gibt es vor allem zwei Momente, die der Gesinnungs­ethik breiten Raum bieten: die politische Korrektheit und der Klima-Wahn, die beide freilich schon fast zu einem zusammengeschmolzen sind. Die politische Korrektheit schreibt Denk- und Verhaltensmuster vor, die den Vorstellungen einer radikalen, meist fanatisierten Minderheit entsprechen. So kann es kommen, dass ein Hochschulprofessor seine Stellung verliert, weil er über die genetischen Unterschiede von Mann und Frau referiert hatte; über ein Thema mithin, das für jeden Humangenetiker das kleine Einmaleins darstellt. Es wird nicht mehr nach Recht oder Sachstand gefragt, sondern nach der Überein­stimmung mit der geltenden Ideologie. Im Zusammenhang mit dem Klima-Glauben sind bereits Stimmen laut geworden, die für Skeptiker die Ein­weisung in die Psychiatrie oder in den Strafvollzug fordern.

Tatsächlich spielt im Zusammenhang mit den zahlreichen eifernden Gutmenschen, die sich im Besitz nicht unbedingt der besseren Einsicht, sondern der höheren Moral wähnen, die Psychologie eine entscheidende Rolle. Bei diesen, nicht aber bei jenen, die angeblich Kandidaten für das Narrenhaus oder den Knast sein wollen.

Das Wort „Gutmensch“ deutet es ja bereits an, und wurde deshalb auch schon zum Unwort des Jahres gekürt: Wer dazu zählt, wähnt sich ethisch den anderen überlegen, für ihn verbieten sich alle Zweifel an seinem Weltbild. Daraus folgend umgibt sich der Eiferer mit einer unerschütterlichen Selbstgefälligkeit, Tendenz Größenwahn, und legt eine knallharte Intoleranz an den Tag. „Kein Platz für rechts“, lautet die Devise, wobei alles als „rechts“ erkannt wird, was dem eigenen Standpunkt nicht entspricht. 

So ist auch jegliches Argumentieren unerwünscht, die eigene Meinung gewinnt die Überzeugungskraft einer bestätigten Axiomatik, die Rede geht nur über den Vollzug der eigenen Vorstellungen, nicht über deren sachliche Beschaffenheit. Herausragendes Beispiel dafür ist die Klima-Debatte, die sich längst nicht mehr mit naturwissen­schaft­lichen Einzelheiten, sondern nur noch mit der möglichst unbeschränkten Herrschaft der geistigen Blaupause befasst. 

Wo das Wissen das Gutmenschentum behindert, gerät es zu einer verzichtbaren Größe. Wo die Welt nicht so ist, wie man meint, dass sie zu sein hätte, wird die Wirklichkeit orientiert. Und wo der Mensch nicht dem entspricht, was gewünscht wird, da muss ein neuer geschaffen werden. Dies ist dann endgültig der totalitäre Ansatz.

Krise des Rechts

Der Verfassungsrechtler und frühere CDU-Verteidigungsminister Rupert Scholz stellt fest: „In einem Staat, in dem eine Gesellschaft zusammenlebt, können nur das Gesetz und die Verfassung die maßgebende Linie sein. Keine sogenannte Moral darf sich darüber hinwegsetzen. Andernfalls ist der Rechtsstaat am Ende.“

Misst man die Berliner Politik der vergangenen Jahre an diesem Leisten, dann muss man feststellen, dass gesinnungsethische Entscheidungen gegen das Recht mehr und mehr zugenommen haben: bei der ebenso teuren wie überflüssigen und zudem gescheiterten Energiewende, bei der Familienpo­litik, bei der Zuwanderung, bei der Wahrung der Meinungsfreiheit, um nur einige zu nennen. 

Es ist zu hoffen, dass die Bürger allmählich auf diese Entwicklung aufmerksam werden. Der Rechtsstaat hat schon genug Schaden gelitten.