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14.02.20 / Östlich von Oder und NeißE / Folgen der Vertreibung für die Architektur in Niederschlesien / Foto-Ausstellung „Unheimisch“ in Krakau setzt sich mit dem Empfinden der polnischen Bewohner nach 1945 auseinander

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 07 vom 14. Februar 2020

Östlich von Oder und NeißE
Folgen der Vertreibung für die Architektur in Niederschlesien
Foto-Ausstellung „Unheimisch“ in Krakau setzt sich mit dem Empfinden der polnischen Bewohner nach 1945 auseinander
Chris W. Wagner

In der Görlitzer Galerie Brüderstraße 9 wurde am 6. Februar die Fotoausstellung „Unheimisch“ eröffnet, die jedoch mehr an die polnischen Niederschlesier gerichtet ist. Für den deutschen Teil der Neißestadt entschieden sich die Autoren Agata Pankiewiecz und Marcin Przybylko dennoch ganz bewusst, da sie wussten, dass sie in Görlitz Vertreter beider Nationen erreichen würden. Die Fotografen, beide Dozenten an der Kunstakademie Krakau, wollten zur Diskussion über die Folgen der Vertreibung in der architektonischen Landschaft anregen. Die Krakauer durchreisten mit ihren Fotoapparaten die Republik Polen und dokumentierten die „architektonische Anarchie“ in den einstigen deutschen Ostgebieten.

Zu sehen bekommt der Betrachter ein historisches Schlossportal, das dilettantisch mit Garagen und Schuppen verschandelt wurde, Aufnahmen von verfallenen Herrenhäusern, zugewucherten Parkanlagen sowie zweckentfremdet genutzten Gebäuden. „Diese Bilder sind meist an bedeckten Tagen entstanden, sie sollen ausdrücken, wie unheimisch sich die neuen Bewohner Niederschlesiens gefühlt haben mussten, als sie den Propagandaparolen der polnischen kommunistischen Regierung von den ‚wiedergewonnenen Gebieten‘ folgten. Was sie jedoch vorfanden, war etwas, mit dem sie wenig anfangen konnten“. 

Viele der deutschen Besucher waren erstaunt, dass die Ausstellung keine Hochglanzbilder von sanierten Schlössern oder historischen Städten zeigt, sondern das, wofür man sich fremdschämt, wenn man beispielsweise durch Lähn [Wlen] oder Löwenberg [Lwowek Slaski] reist. Doch genau das wollen die Autoren der Ausstellung erreichen, nämlich dem Empfinden der neuen Bewohner Niederschlesiens von 1945 auf den Grund gehen. 

„Ich bin nach Niederschlesien gekommen, weil man mir sagte: ‚Fahr ins Isergebirge, du wirst dich in diese Landschaft verlieben‘. Ich habe mich verliebt, aber dann sah ich den Kontext und der war nicht so einfach zu verkraften. Ich durchfuhr das Bobertal an einem sonnigen Julitag. Ich fuhr über Jannowitz [Janowice Wielkie], Löwenberg, Lähn, Boberröhrsdorf. Was ich sah, hat mich erschüttert. Ich begegnete dort Menschen, die in einer Art Machtlosigkeit, Zerknitterung, im Stillstand waren. Sie hausten in heruntergekommenen deutschen Guts- und Herrenhäusern. Sie waren trostlos und selbst 70 Jahre nach Kriegsende konnten sie keinen Trost darin finden, dass es nun ihnen gehört, dass keiner mehr kommt, um es ihnen wegzunehmen und sie können doch endlich anfangen es wieder in Ordnung zu bringen“, so Prof. Agata Pankiewicz, die das vorgefundene Landschaftsbild als architektonische Anarchie bezeichnet. Für Dr. Piotr Ferenski, Kulturwissenschaftler der Universität Breslau, ist dies ein kontroverser Begriff. „Zweifelsohne sind uns nach Kriegsende Gebiete zugefallen, die propagandamäßig als ‚Wiedergewonnene Gebiete‘  bezeichnet wurden. Dieser Anarchie liegt wohl zugrunde, dass diese Gebiete vor 1990, aber auch danach nicht ausreichend finanziert und gepflegt wurden“, so Ferenski. Er gibt zu bedenken, dass, auch wenn sich 50 Prozent aller polnischen Kulturdenkmäler in Niederschlesien befinden, seit den 90er Jahren etwa 85 Prozent der Gelder für die Sanierung der Kulturgüter in Krakau verwendet wurden. Diese Politik habe zur Degradation der Architekturlandschaft Niederschlesiens geführt. 

Anna Hernik zog aus Radom nach Niederschlesien. Ganz bewusst wählte sie den kleinen Ort Rengersdorf [Stankowice] zu ihrem Zuhause. Sie führte viele Gespräche mit den Pionieren, die 1945 nach Niederschlesien kamen. „Ich stamme aus Zentralpolen und dachte immer, sie waren entzückt, als sie in diese großen steinernen deutschen Häuser kamen, dass sie von dieser materiellen Kultur angetan waren und die technischen Errungenschaften auf den Höfen gerne genutzt haben. Aber dem war nicht so. Diese Steinhäuser wirkten auf sie kalt, die großen Räume ungemütlich. Sie teilten die Räume auf, wollten viele lieber in engen Verhältnissen leben, weil sie so den anderen näher waren. Und sie hatten das Gefühl, dass es nur vorübergehend ist und die Deutschen holen sich ihr Eigentum wieder“, so Hernik.

„Wir wollen die Menschen nie lächerlich machen oder sie stigmatisieren. Wir versuchen, die Menschen zu verstehen. Wir zeigen, dass es hier ein Problem gibt, das wir angehen müssen. Wir sollten endlich damit anfangen, unsere Umwelt nach einem einheitlichen Plan zu ordnen. Polen haben ein Problem mit der visuellen Form. Sie drücken sich durch Poesie, Literatur aus, das Materielle spielt keine Rolle. Vielleicht liegt der Grund in unserer Geschichte. Wir haben vieles verloren und binden uns nicht ans Materielle. Man muss darüber reden. Ich sage doch nicht: Leute, es ist so hässlich hier in Niederschlesien, ihr müsst endlich Ordnung schaffen. Nein, ich sage: Eure Landschaft befindet sich im Kulturkampf – ihr müsst das erkennen und dann werdet ihr anfangen aufzuräumen.“ 

Die Ausstellung Unheimisch (Nieswojosc) in der Görlitzer Galerie Brüderstraße 9 ist noch bis zum 2. Mai zu sehen.