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21.02.20 / Kommentar / „Abschaum“ und „Krebsgeschwür“

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 08 vom 21. Februar 2020

Kommentar
„Abschaum“ und „Krebsgeschwür“
Erik Lommatzsch

Die Maßstäbe für demokratisches Verhalten sind in Deutschland außer Kraft gesetzt. Es sei denn, man orientiert sich am neuen Demokratiebegriff, der bedeutet, dass die Regierungslinie, die auch von einigen nicht an der Großen Koalition beteiligten Parteien und vielen Medien gestützt wird, alternativlos sei. Opposition und Gegenvorstellungen – Lebenselixier jeder Demokratie – sind nicht Bestandteile des politischen Wettbewerbs. Sie werden ausgeschlossen – mangels Argumenten begründet mit Unterstellungen und Vergleichen jenseits jeglicher Geschmacksgrenzen.

Geschichtsbücher verzeichnen wohl dereinst den 6. Februar als Kulminationspunkt. An diesem Tag erklärte die Bundeskanzlerin bar jeder Zuständigkeit zur verfassungsrechtlich einwandfreien Wahl des Ministerpräsidenten von Thüringen, dass „dieser Vorgang unverzeihlich ist und deshalb das Ergebnis rückgängig gemacht werden muss“. 

Der mit den Stimmen von CDU und AfD gewählte FDP-Politiker Thomas Kemmerich sagte wenig später, die AfD habe „mit einem perfiden Trick versucht, die Demokratie zu beschädigen“. Auch wenn man in Rechnung stellt, dass Kemmerich unter Druck stand, so besteht der Schaden für die Demokratie in derartigem Unsinn. Er hatte sich zur Wahl gestellt. Inwiefern können regulär abstimmende Abgeordnete die Demokratie beschädigen? Ähnlich für das Gemeinwesen fatale Behauptungen sind Legion. Die AfD wolle „die Demokratie kaputtmachen“, so Angela Merkel. Der Hamburger Innensenator Andy Grote, Mitglied der SPD und just im Dezember von Linksextremen attackiert, erklärt, die AfD arbeite „systematisch daran, unser Land zu destabilisieren“. Für den stellvertretenden nordrhein-westfälischen Ministerpräsi­denten Joachim Stamp (FDP) ist die AfD der „braune Spuk“, auch das Wort „Faschisten“ verwendet er. Nicht nur Parteipolitiker befleißigen sich solcher Töne. 

„Unterhöhlung und Delegitimierung der Demokratie“ seien Ziel der AfD, sagt der Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald, Volkhard Knigge. Am 11. Ap­ril 1945 wurde das – später von den Sowjets als „Speziallager“ weitergeführte – KZ befreit. Für Knigge ist es nicht vorstellbar, „dass ein kommissarischer Ministerpräsident Kemmerich, der mit den Stimmen der AfD gewählt worden ist, bei dem Jahrestag in Buchenwald eine Rolle spielen kann“. Für den Bundespräsidenten wurde die Wahl in Thüringen „missbraucht …, um die freiheitliche Demokratie und ihre Vertreter der Lächerlichkeit preiszugeben“. Die Funktion Steinmeiers wäre es gewesen, sich schützend vor die Demokratie und die völlig korrekten Vorgänge der Wahl Kemmerichs zu stellen, statt die Außerkraftsetzung der Regularien zu unterstützen.

Der Ostbeauftragte der Bundesregierung, CDU-Mann Christian Hirte, wurde durch die Kanzlerin seines Postens enthoben. Sein „Vergehen“ bestand darin, Kemmerich zur Wahl gratuliert zu haben. Nachfolger als Ostbeauftragter wurde Marco Wanderwitz, ebenfalls CDU, der die AfD und deren damaligen Sprecher Alexander Gauland bereits Ende 2018 mit der Bezeichnung „giftiger Abschaum“ versehen hatte. Diese Äußerung aus dem Wörterbuch des Unmenschen, die den Machthabern der dunkelsten Epoche der deutschen Geschichte gut zu Gesicht gestanden hätte, rief keinesfalls einen flächendeckenden Aufschrei hervor, schon gar nicht in den Reihen der Christdemokraten. Es steht zu vermuten, dass Wanderwitz sich mit einer derartigen Entgleisung in den Augen der Kanzlerin eher empfohlen hat. 

Wer glaubt, mit „Abschaum“ sei der Tiefpunkt erreicht, hat nicht mit Elmar Brok – CDU und fast 40 Jahre EU-Parlamentarier – gerechnet. In Richtung der Werte-Union, also seiner eigenen Parteifreunde, die allerdings als Gegner der Merkel-Politik auftreten, äußerte Brok, „so etwas darf man gar nicht zulassen … das ist wie ein Krebsgeschwür … so etwas muss man von vornherein mit aller Rücksichtslosigkeit bekämpfen“. Weiter als Brok kann man Entmenschlichung verbal nicht betreiben. Auf Protest aus der CDU wartet man noch immer vergeblich. 

Offenbar ist es dort inzwischen üblich, Menschen als „Krebsgeschwür“ zu bezeichnen. Vor diesem Hintergrund wirkt die Aktion der Linken-Politikerin Susanne Hennig-Wellsow, die Kemmerich nicht zur Wahl gratulierte und ihm stattdessen den Blumenstrauß vor die Füße warf, zwar noch immer primitiv, aber vergleichsweise harmlos. Die Demokratie ist mehr als gefährdet – aber wohl kaum durch die AfD.