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21.02.20 / Zahlenstreit um deutsche Opfer / Systematisch verniedlichen Geschichtsrevisionisten deutsches Leid / Mit welchen Methoden von interessierter Seite versucht wird, die Anzahl der zivilen Todesopfer von Flucht und Vertreibung sowie des alliierten Bombenterrors kleinzurechnen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 08 vom 21. Februar 2020

Zahlenstreit um deutsche Opfer
Systematisch verniedlichen Geschichtsrevisionisten deutsches Leid
Mit welchen Methoden von interessierter Seite versucht wird, die Anzahl der zivilen Todesopfer von Flucht und Vertreibung sowie des alliierten Bombenterrors kleinzurechnen
Wolfgang Kaufmann

Manche Zahlen von Opfern des Zweiten Weltkrieges gelten schon seit vielen Jahrzehnten als absolut gesichert und dürfen daher auch in keiner Weise in Frage gestellt werden. Anders sieht das hingegen bei den Kriegstoten auf deutscher Seite aus, deren Anzahl jeder nach Herzenslust kleinrechnen kann – insbesondere, wenn es um die zivilen Opfer von Flucht und Vertreibung sowie des alliierten Bombenterrors geht. Daran sind nicht nur Geschichtsrevisionisten aus den Staaten der früheren Kriegsgegner beteiligt, sondern auch deutsche Historiker. Wie beispielsweise Rüdiger Overmans, welcher der Kommission angehörte, die im Auftrag der Dresdner Stadtverwaltung ermitteln sollte, wie viele Opfer es bei den anglo-amerikanischen Luftangriffen vom 13. und 14. Februar 1945 gegeben hat. Overmans ist ganz wesentlich dafür verantwortlich, dass das Gremium schließlich von „höchstens“ 25 000 Toten ausging, obwohl sämtliche Umstände auf deutlich mehr ums Leben Gekommene hindeuten. 

„Methodisch vorbildlich“ 

Ansonsten versuchte Overmans genau wie sein Fachkollege Ingo Haar, auch die Zahl der deutschen Opfer von Flucht und Vertreibung unter Anwendung angeblich wissenschaftlicher Methoden zu minimieren. Am Ende sprachen dann beide von 500 000 bis 600 000 Getöteten. Dabei war das Vorgehen von Overmans und Haar praktisch identisch. Sie betrachteten es als „methodisch vorbildlich“ und „politisch wegweisend“, in ihre Verlustbilanzen nur aktenmäßig sicher verbürgte Opfer aus der Gruppe der „unmittelbar Ermordeten“ aufzunehmen. 

Das freilich wird der brutalen historischen Realität der Zeit ab 1944 absolut nicht gerecht. Zum Ersten müssten auch die Toten infolge von Zwangsarbeit, unmenschlichen Deportationen, absichtlich herbeigeführter Mangelernährung sowie Todesmärschen berücksichtigt werden. Zum Zweiten starben viele der Betroffenen erst nach der Ankunft in Mittel- und Westdeutschland an den Folgen der Entbehrungen – das sind ebenfalls Flucht- und Vertreibungsopfer. Und zum Dritten gab es zahllose Fälle, in denen ganze Familien ausgelöscht wurden. Dann konnte logischerweise niemand mehr die Suchdienste oder Standesämter bemühen und die Erstellung jener Dokumente initiieren, die Overmans und Haar heute als einzige brauchbare Quelle für die Verluste akzeptieren.

Angesichts dessen wird verständlich, dass die Zahlen der beiden so niedrig ausfielen und im krassen Widerspruch zu den akribisch erstellten Bevölkerungsbilanzen des Statistischen Bundesamtes aus den Jahren 1954, 1956 und 1958 sowie den Verlautbarungen des Bundesministeriums des Innern und des Kirchlichen Suchdienstes von 1982 beziehungsweise 1995 stehen. Darin ist unisono von mehr als zwei Millionen Opfern die Rede. Das Statistische Bundesamt ging 1958 von 2,225 Millionen Toten aus, davon 273 900 in der Tschechoslowakei in den Grenzen von 1937. Hinzuzurechnen wären die später in Mittel- und Westdeutschland Verstorbenen sowie die 300 000 Russlanddeutschen in der Sowjetunion, die bei den dortigen Deportationen ihr Leben verloren.

„Politisch wegweisend“

Nun könnte man die Zahlenspiele von Haar und Overmans bezüglich der Opfer von Flucht und Vertreibung beziehungsweise der Luftkriegstoten in den Städten des Dritten Reiches mit einem Schulterzucken und dem Hinweis auf die vom Grundgesetz garantierte Wissenschaftsfreiheit abtun. Wenn da nicht die Phalanx all jener Kräfte hierzulande und jenseits der Grenzen der Bundesrepublik wäre, welche die Verbrechen der Anti-Hitler-Koalition sowie der Vertreiberstaaten zu relativieren versuchen oder aus politischen und volkspädagogischen Gründen an möglichst niedrigen Zahlenangaben über getötete Deutsche interessiert sind. Die greifen höchst begierig auf die absurden Rechenexempel der Revisionisten zurück.

Eines der jüngsten Beispiele hierfür ist die seit Anfang 2019 gezeigte Wanderausstellung mit dem Titel „Geflüchtet, vertrieben, entwurzelt – Kindheiten in Mecklenburg 1945-1952“, die unter der Ägide der Landeszentrale für politische Bildung Mecklenburg-Vorpommern und der Stiftung Mecklenburg konzipiert wurde. Dort heißt es auf einer der Informationstafeln: „Mehr als 600 000 Menschen überlebten Flucht, Vertreibung und Zwangsumsiedlung nicht. Das Schicksal von weiteren Tausenden Menschen konnte nie abschließend geklärt werden.“

Dies nahm Christoph Grimm von der AfD-Fraktion im Schweriner Landtag zum Anlass, gleichlautende Anfragen an die Landeszentrale und die Stiftung zu stellen, auf welchen Quellen die Aussage von den 600 000 Flucht- und Vertreibungsopfern beruhen und warum man nicht „die mehrfach historisch nachgewiesene Zahl von über zwei Millionen Toten“ nennt. Daraufhin erhielt er zweimal die ganz offensichtlich zwischen den beiden Institutionen abgestimmte Antwort, die beanstandete Formulierung spiegele den „aktuellen Forschungsdiskurs der letzten Jahre“ wider. Dem ließen dann Stefan Posselt, Referent für Öffentlichkeitsarbeit in der Landeszentrale für politische Bildung, und Florian Ostrop, Stellvertretender Geschäftsführer der Stiftung Mecklenburg, noch einen expliziten Hinweis auf die Publikationen von Rüdiger Overmans folgen, den sie kurzerhand zum „besten Kenner der Materie“ kürten.

Mit anderen Worten: Sämtliche Berechnungen des Statistischen Bundesamtes wurden quasi mit einer Handbewegung beiseite gefegt, weil viele Todesfälle angesichts der Verhältnisse zu Kriegsende nicht sicher zu belegen sind und revisionistische Historiker deshalb von „Zählfehlern“, „Doppelerfassungen“ und Ähnlichem schreiben können, ohne konkrete Beweise hierfür liefern zu müssen.

Gegen derartige Manipulationen der historischen Wirklichkeit hilft nur entschiedener Widerspruch und die gleichzeitige Offenlegung der Methoden, mit denen Leute wie Overmans und Haar zu ihren angeblich so neuen und fundierten Zahlen gelangt sind. Ansonsten droht die Gefahr, dass irgendwann der Tag kommt, an dem dreist behauptet werden kann, es habe gar keine millionenfache Flucht und Vertreibung von Deutschen zu Kriegsende gegeben und die Zahl der Opfer der „Umsiedlungen“ sei eine Quantité négligeable gewesen.