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21.02.20 / Naturphänomen / Die verbogenen Kiefern bei Greifenhagen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 08 vom 21. Februar 2020

Naturphänomen
Die verbogenen Kiefern bei Greifenhagen
Karl-Heinz Engel

Greifenhagen 

Forstleute, Geografen, Biologen, Gehölzkundler, Naturfreunde aus vielen Ländern, sie alle standen schon staunend vor dem Krummen Wald, fünf Kilometer südlich von Greifenhagen in Pommern (heute Gryfino). Das Phänomen der Misswüchsigkeit von rund 120 Kiefern schlüssig zu erklären aber fiel bisher allen schwer. Was ist in die Stämme gefahren, dass sie, gleich nachdem sie den Boden verlassen, jäh im rechten Winkel wegknicken, um dann über einen wohl gespannten Bogen in die Senkrechte zurückzukehren? Sie ähneln damit auf den Kopf gestellten Fragezeichen. Ein wirklich ungewöhnliches Bild, das die polnischen Behörden bewog, den Krummen Wald als Naturdenkmal auszuweisen. Manche Exemplare könnten auch als Schaukelsitze dienen. Es fällt auf, dass die Krümmungen der meisten Kiefern in eine Richtung weisen. Auch breitet sich die Wuchsfläche nur über einen knappen Hektar aus. Das verleiht dem Rätsel zusätzlich Gewicht und befeuert die Diskussion um den Ursprung dieser Absonderlichkeit. 

Könnte die Kiefernkultur dereinst von schwerem Militärgerät, etwa Panzern, niedergewalzt worden sein? Im Odertal tobten zum Ende des Zweiten Weltkrieges heftige Kämpfe. Vielleicht war den jungen Bäumen die Auferstehung nur um den Preis des Fehlwuchses möglich. Ein Teil der Fachleute vertritt hingegen die Ansicht, dass die Bäume in der Jugendzeit auf den Stock gesetzt wurden, das heißt, dass man sie zum Beispiel als Weihnachtsbäume fällte. Die gestutzten Stämme könnten darauf mit einem seitlichen Neuaustrieb reagiert haben, der mit den Jahren stärker wurde und sich allmählich krümmte, um endlich wieder nach oben zu streben. Dass diese Sekundärstämme das annähernd richtungsgleich tun, lässt aber Zweifel an der Theorie aufkommen. 

Andere Beobachter vermuten indes, dass man die jungen Kiefern von Anfang an bewusst zum Krummwuchs erzog, vielleicht, um aus ihnen spezielles Möbelholz zu gewinnen. Aus irgendeinen Grund sei die Nutzung vergessen worden, so dass der Krumme Wald, der Krzywy Las, wie er im Polnischen genannt wird, entstand. Wieder andere sehen in einer genetischen Disposition die Ursache für die Eigentümlichkeit. So etwas kommt auch bei anderen Gehölzarten vor, wenngleich eine so ausgeprägte Wuchshomogenität nicht bekannt ist. Wie alt kann der Krumme Wald eigentlich sein? Manche Schätzungen besagen, dass die Setzlinge in den 1930er Jahren, also in deutscher Zeit, in die Pflanzlöcher getan wurden. Dokumentationen darüber, wie sie Forstverwaltungen stets anlegten, gibt es aber offenbar nicht mehr. Sie hätten das Geheimnis um die Kiefern sicherlich erhellen können. 

Fraglich ist aber, ob die Kiefern wirklich so alt, also 80, 90 Jahre, sind. Sie stünden damit am Beginn der Hiebreife für diese Baumart. Höhen und Stammumfänge rechtfertigen die Annahme aber kaum. Selbst die vitalsten Exemplare reichen kaum mehr als zwölf Meter hinauf und weisen um 40 Zentimeter Stammdurchmesser, in Brusthöhe gemessen, auf. Das ist normalerweise zu wenig für Kiefern dieses Alters. Ja und dann sind da noch Erdmagnetismus und kosmische Strahlung, die genau auf diesem Flecken walten sollen, wie von manchen Besuchern behauptet. Der Krumme Wald, ein esoterisches Kraftfeld. Wer weiß.

Aber stehen die pommerschen Kiefern mit ihrer verblüffenden Erscheinung eigentlich allein? Keineswegs. 

Im Dornswalder Forst südöstlich von Berlin ist ein ähnliches Phänomen bekannt. Die Kiefern dort gleichen zwar keinen verkehrten Fragezeichen, dafür aber holzgewordenen Kraken und Korkenziehern. Manche schlagen sogar Purzelbäume. Skurriler geht es kaum. Die Wuchsfläche, Märchenwald genannt, beschränkt sich wie bei Greifenhagen auf etwa einen knappen Hektar. Gleich dahinter gedeihen märkische Kiefern, rank und schlank, wie aus dem Bilderbuch. 

Die Gründe für den verqueren Baumwuchs im Dornswalder Forst, den man zwei Kilometer von der A-13-Abfahrt Richtung Baruth findet, wollen Experten indes ausgemacht haben. Die Gespensterbäume sollen an drastischer Mangelernährung leiden. Die Waldfläche war nämlich Teil eines alten Hütewaldes. Die Bauern weideten unter den Bäumen ihr Vieh, was die Humusbildung empfindlich störte, zumal auch die Nadelstreu zusammengeharkt und abgefahren wurde. Das soll den ohnehin mageren märkischen Boden so sehr ausgezehrt haben, dass selbst die anspruchslosen Kiefern seither an Unterversorgung leiden. Sie kamen in ihrem Wuchs nicht voran und winden sich in allerlei Verdrehungen. Den kümmerlichen Bäumen wird ein Alter von bereits 170 Jahre beigemessen. Sollte der Krumme Wald von Greifenhagen womöglich auch einmal für Viehweide und Streugewinnung hergehalten haben?