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28.02.20 / Östlich von Oder und Neisse / Fragwürdigen Botschaften kann man nicht „entKOMMEN“ / Zittau gedenkt in einer Ausstellung der deutschen Vertriebenen – und zieht Vergleiche zu den Immigranten von 2015

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 09 vom 28. Februar 2020

Östlich von Oder und Neisse
Fragwürdigen Botschaften kann man nicht „entKOMMEN“
Zittau gedenkt in einer Ausstellung der deutschen Vertriebenen – und zieht Vergleiche zu den Immigranten von 2015
C. W. Wagner

Das Interesse an der am 22. Februar eröffneten deutsch-polnischen Sonderausstellung „entKOMMEN“ zum Thema Vertreibung, Flucht und Ankunft hat die Erwartungen der Organisatoren weit übertroffen. Der Bürgersaal im Zittauer Rathaus platzte aus allen Nähten. Fast 20 Jahre sind ins Land gegangen, seit sich der Verband der Oberlausitzer Landfrauen mit ihren Partnerorganisationen in Polen und Tschechien zur Aufarbeitung von Nachkriegsschicksalen zusammensetzte.

Ein überwältigender Teil der Zeitzeugen, die ihr Schicksal und ihre Erinnerungsstücke dem Historiker Lars-Arne Dannenberg anvertraute, äußerte den Vorwurf, das Projekt käme viel zu spät. „Es ist nun einfach biologisch so, dass die Generation, die diese furchtbaren Erfahrungen machen musste, in absehbarer Zeit endgültig verschwunden sein wird“, so Dannenberg, der aus den Zeitzeugenberichten eine Publikation zusammenstellte, die jedoch, so der Wissenschaftler, kaum die Dramatik der Ereignisse wiedergeben könne.

Jens Hommel von der „Hillerschen Villa – Sozialkultur im Dreiländereck“, die zusammen mit den Städtischen Museen Zittau Hauptakteure des „entKOMMEN“-Projektes ist, erklärte, dass es einen konkreten Anlass für das Projekt gab: „Mit dem Anwachsen der Flüchtlingszahlen von 2015 ging in Deutschland eine große gesellschaftliche Debatte los. Und obwohl die Flüchtlingszahlen viel geringer waren als Anfang der 90er Jahre nach dem Bürgerkrieg in Jugoslawien, veränderte sich etwas atmosphärisch in der Gesellschaft. Und Sie erinnern sich an die Diskussionen, warum unter den Menschen, die selbst die Vertreibung erlebten, so wenige Empathie für die Flüchtlinge hatten und diese Ereignisse nicht eins zu eins übertragen wurden. Warum die Willkommensgesellschaft teilweise nicht funktioniert hat und teilweise nur ein frommer Wunsch geblieben ist. Das war ein Anlass für uns, dieses Thema aufzugreifen und in die Geschichte zu gehen, um zu versuchen, Bezüge herauszuarbeiten“, so Hommel. 

„Es gibt in unserer Stadt und unserer Region sehr viele Menschen, die Flucht und Vertreibung – beides Worte, die man als Migration betrachten kann und betrachten sollte – selber noch oder aus Erzählungen der Eltern und Großeltern kennen“, betonte Thomas Zenker, Oberbürgermeister von Zittau. „Es regt mich fürchterlich auf, wenn eine Tat, wie die in Hanau mit dem Terminus ‚Fremdenfeindlichkeit‘ bedacht wird. Es ging dort nicht um Fremde. Es sind dort Menschen getötet worden, die bereits seit der zweiten Generation in Deutschland leben und das Thema Migration in einer Art und Weise erlebt haben, die in eine Integration führt. Integration heißt nicht Assimilation, sondern bedeutet, dass Menschen hier leben dürfen, hier leben können und von uns so geduldet werden, wie sie selber sind und nicht wie wir uns sie zurechtbiegen“, so Zenker. 

Aber ist das Projekt „entKOMMEN“ nicht ein Versuch, sich ein Thema so zurechtzubiegen, damit es salonfähig wird? Reichen dafür deutsche (und polnische) „Migranten“ und ihre Schicksale nicht mehr aus?  Ausstellungskuratorin Annett Hellwig war es besonders wichtig, Flüchtlingss und Immigrantenschicksale in Beziehung zu setzten, ohne sie gleichzusetzten: „In Zusammenhang damit steht die Hoffnung, dass, wenn man sich mit den vergangenen Vertreibungsschicksalen auseinandersetzt, unser Verständnis für heute geflüchtete Menschen steigt.“ Diese Auseinandersetzung fehlte aber im deutschen Teil des Dreiländerecks bislang. So kann es auch nicht verwundern, wenn selbst Wissenschaftler quasi auf dem falschen Fuß erwischt wurden und sich wie Hellwig wundern: „Dass so viele Menschen im Dreiländereck tatsächlich eine persönliche Flucht- oder Vertreibungsgeschichte in der Familie haben, hat mich überrascht. Das war mir vorher nicht so bewusst. Mir war die Zahl von 25/26 Prozent geläufig und für ein Viertel aller deutschen Bürger hat man angegeben, dass sie einen Vertreibungshintergrund in der Familiengeschichte haben. Im Dreiländereck sind es weit mehr Menschen. Es war sehr eindrücklich für mich, das zu erfahren“.

Ob junge Besucher der Ausstellung dies in der Präsentation erfahren, ist fraglich, da es schwierig ist, durch Texttafeln und Artefakte komplexe Schicksale zu erzählen. Deshalb wird das Projekt durch Begleitveranstaltungen ergänzt wie „Von Königshain zu Dzialoszyn. Die Geschichte eines oberlausitzischen Dorfes“ am 18. März. Referent ist Ryszard Zawadzki, Geschichtslehrer aus Reichenau [Bogatynia], der seit zehn Jahren Begegnungen zwischen heutigen und ehemaligen Bewohnern Königsheins organisiert. Eine Filmvorführung der polnischen Produktion „Schlesiens Wilder Westen“ oder die „Sentimentale Reise durch Reichenau“ am 9. Mai, organisiert von der Stadt und Gemeinde Reichenau, sind Beispiele dafür, dass eine Vergangenheitsbewältigung heute eher jenseits der Neiße stattfindet als in von der politischen Korrektheit eingenommenen Bundesrepublik Deutschland.