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06.03.20 / Südamerika / Transition auf chilenisch: Eine Diktatur lässt sich abwählen / Unblutig löste vor 30 Jahren Wahlsieger Patricio Aylwin den blutig an die Macht gekommenen Diktator Augusto Pinochet im Amt des Staatspräsidenten ab

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 10 vom 06. März 2020

Südamerika
Transition auf chilenisch: Eine Diktatur lässt sich abwählen
Unblutig löste vor 30 Jahren Wahlsieger Patricio Aylwin den blutig an die Macht gekommenen Diktator Augusto Pinochet im Amt des Staatspräsidenten ab
Markus Matthes

Nach sechszehneinhalb Jahren übergab am 11. März 1990 Chiles damaliger Präsident, General Augusto Pinochet, die Macht an den im Dezember 1989 frei gewählten Christdemokraten Patricio Aylwin. Pinochet seinerseits hatte am 11. September 1973 seinen Vorgänger, den 1970 demokratisch legitimierten Marxisten Salvador Allende, gestürzt. Nachdem dieser in weniger als drei Jahren eines der reichsten Länder Lateinamerikas unter anderem durch eine astronomische Inflation fast ruiniert hatte, beging er während der Erstürmung seines Präsidentenpalastes, des Palacio de La Moneda, durch die Putschisten Selbstmord, um sich der Gefangennahme zu entziehen. 

55 Prozent für Patricio Aylwin

Die Militärjunta ergriff sofort drastische Maßnahmen, ab November 1975 im Rahmen der „Operation Condor“ auch in Absprache mit anderen von Militärs regierten Ländern der Region wie Argentinien, Bolivien und Brasilien. Sie beschloss zudem die Schließung des Parlaments und die Suspendierung der sieben linken Parteien, die Allendes Volksfront unterstützt hatten. 

Nach der sofortigen Außerkraftsetzung der Verfassung von 1925 begann die Ausarbeitung eines gänzlich neuen Grundgesetzes. Der Entwurf wurde am 5. Oktober 1978 veröffentlicht, die Neufassung am 8. August 1980 verabschiedet und schließlich am 11. September jenes Jahres mit einer Zweidrittelmehrheit vom Volk angenommen. Sie sah eine achtjährige Präsidentschaft Pinochets und sein gleichzeitiges Ausscheiden aus der Junta vor. Nach acht Jahren (1988) sollte es eine weitere Volksbefragung über eine zweite Amtszeit geben, da Pinochet auf Anraten seines Innenministers Sergio Fernández davon abgerückt war, durchgehend weitere 16 Jahre die Regierungsgeschäfte führen zu wollen. Der Einfluss des Militärs war durch die Unabsetzbarkeit der Befehlshaber der drei Waffengattungen und ihre Präsenz im neugeschaffenen Nationalen Sicherheitsrat (COSENA) garantiert, der einen Teil der Senatoren ernannte. Die Befugnisse des Parlaments blieben zwar begrenzt, aber mit der verfassungsmäßig abgesegneten Präsidentschaft Pinochets ab dem 11. März 1981 kam es zu einer formellen Institutionalisierung des Regimes. Andererseits wurden alte politische Formationen erst im Januar 1987 wieder voll zugelassen und neue kamen hinzu – mit Ausnahme derjenigen, die nach wie vor eine „marxistische“ Ideologie vertraten. 

Anfang 1988 formierte sich ein Zusammenschluss von mehreren Parteien, die nur das eine Ziel hatte, Pinochet mit legalen Mitteln, systemimmanent zu schlagen, nachdem Proteste und bewaffneter Kampf zu keinem Ergebnis geführt hatten. Die Opposition berief sich implizit auf die von Pinochet selber durchgesetzte Verfassung, die bei einem Nein bei der Volksbefragung über eine zweite Amtszeit Pinochets Präsidentschaftswahlen vorsah. 

Der 25. April 1988 gilt dabei als Meilenstein, da der Vorsitzende der frisch gegründeten PPD (Partido por la Democracia, Partei für die Demokratie), der Sozialist Ricardo Lagos, in einem Fernsehprogramm vor laufender Kamera Pinochet als Lügner und dessen mögliches Festhalten an der Macht als „unannehmbar“ bezeichnete. Die von Lagos selber befürchteten Konsequenzen wie beispielsweise eine Ausweisung blieben aus, was Pinochets dadurch entscheidend gestärkten Widersacher später als dessen großen Fehler betrachteten. Viele Menschen verloren dadurch ihre Angst, gegen ihn zu stimmen. 

Einen Monat vor dem Urnengang bekamen die Befürworter des Neins sogar eine tägliche, 15-minütige Fernsehshow mit Nachrichten, Kommentaren und Werbung. Sie forderten nun nicht mehr eine soziale Revolution, eine radikale Zäsur, Änderungen des Wirtschaftssystems oder die Bestrafung von Verbrechen gegen die Menschenrechte, sondern riefen eher im Sinne Mohandas Karamchand Gandhis auf zu Frieden und Einheit, zu einem Lebensgefühl, das die politischen Implikationen zu minimieren versuchte. Die Anhänger der bestehenden Ordnung wiesen dagegen auf die Gefahr einer Rückkehr zu Mangel und Unruhe wie zu Zeiten Allendes hin, sollte der General abtreten müssen. 

Über sieben Millionen Chilenen und damit weit über 90 Prozent der Wahlberechtigten nahmen am 5. Oktober 1988 an dem von in- und ausländischen Beobachtern überwachten Plebiszit teil, das mit 56 zu 44 Prozent für die Gegner einer Verlängerung der Amtszeit Pinochets ausging. Ein Mitglied der Junta, der General der Luftwaffe Fernando Matthei, deutete als Erster öffentlich die Niederlage des Pinochet-Lagers an. Da die chilenische Armee sich kein zweites Mal hinter ihn stellte, musste Pinochet letztendlich das Ergebnis akzeptieren. 

Daraufhin begannen Verhandlungen zwischen beiden Seiten über die Wiedereinführung der Demokratie, die zu 54 Änderungen der Verfassung führten. Obwohl auch deren Gegner im Fernsehen ausreichend zu Wort kamen, wurden diese durch Volksentscheid am 30. Juli 1989 mit einer Zustimmungsquote von 91,25 Prozent angenommen. 

Am 14. Dezember 1989 fanden schließlich nach 19 Jahren wieder Präsidentschaft- und Parlamentswahlen statt, die Patricio Aylwin, vormaliger Senator und Anführer der erfolgreichen Kampagne gegen den Verbleib Pinochets im Amt, als Kandidat einer Koalition aus 17 Mitte-Links-Parteien mit 55 Prozent der Stimmen gewann. Die Kandidaten der Rechten, Finanzminister Hernán Büchi und Francisco Javier Errázuriz, erhielten nur 29,4 beziehungsweise 15,4 Prozent der Stimmen. Damit begann ein vierjähriger Drahtseilakt zwischen der wiedererstarkten Linken und den konservativen Militärs.

Aylwin und Pinochet verstanden sich 

Pinochet blieb bis 1998 Oberbefehlshaber der Streitkräfte und wurde dann als erster Senator auf Lebenszeit eingeschworen. Nachdem seine daraus resultierende Immunität bereits im Jahre 2000 aufgehoben worden war, verzichtete er „zum Wohle des Landes“ 2002 vorzeitig auf sein letztes Amt und verstarb unbehelligt 2006. Durch sein gutes Verhältnis mit Aylwin konnten in der schwierigen Übergangsphase mehrere Konflikte zwischen Zivilisten und Militärs entschärft werden, in die auch Mitglieder der Familie von Pinochet involviert waren. Im Ergebnis entstand ein relativ stabiles politisches System mit einer marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung, an der auch die späteren Präsidenten keine grundsätzlichen Veränderungen vornahmen.