26.04.2024

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06.03.20 / Bombardierung Tokios vor 75 Jahren / Der schlimmste konventionelle Luftschlag / Am 9. März 1945 vernichteten 346 US-amerikanische B-29-Bomber mit 1665 Tonnen Napalm- und Phosphorbomben 41 Quadratkilometer äußerst eng bebauter Stadtfläche

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 10 vom 06. März 2020

Bombardierung Tokios vor 75 Jahren
Der schlimmste konventionelle Luftschlag
Am 9. März 1945 vernichteten 346 US-amerikanische B-29-Bomber mit 1665 Tonnen Napalm- und Phosphorbomben 41 Quadratkilometer äußerst eng bebauter Stadtfläche
Björn Schumacher

Neben Europa entwickelte sich der pazifische Raum zum anderen großen Schauplatz des Zweiten Weltkriegs. Auslöser war der Überraschungsangriff der Kaiserlich Japanischen Marineluftstreitkräfte auf den US-Flottenstützpunkt Pearl Harbor auf Hawaii am 7. Dezember 1941. 2403 US-Bürger, überwiegend Marineangehörige, starben. Die USA erklärten Japan den Krieg; das mit Japan verbündete Deutsche Reich antwortete mit einer Kriegserklärung an die USA. 

Im Unterschied zu den Kampfhandlungen in Europa war der Pazifikkrieg Anfang 1945 noch lange nicht entschieden. Auffällig war die militärische Asymmetrie. Dem Vormarsch der japanischen Armeen in China und Indochina stand eine katastrophale Unterlegenheit im See- und Luftkrieg gegenüber. Rasch gelang es den US-Amerikanern, die technisch unzulängliche Kriegs- und Handelsflotte des Feindes auszuschalten. Auch die japanischen Jagdflugzeuge waren veraltet, teilweise verschlissen und wurden zudem von schlecht ausgebildeten Piloten bedient. Ähnlich desaströs präsentierten sich die Flugabwehrkanonen und Radarsysteme zur Frühwarnung. Konsequenz: Bomber der US-Luftstreitkräfte (USAAF) konnten von den 1944 eroberten Marianen-Inseln fast ungehindert zu den japanischen Hauptinseln vordringen und furchtbare Zerstörungen anrichten.

Strategiewechsel der USAAF 1944

Nachdem ein „Testangriff“ auf die Großstadt Kobe im Februar 1945 Tausende Zivilisten liquidiert hatte, schickte das US-Bomberkommando seine apokalyptischen Reiter nach Tokio. Am späten Abend des 9. März 1945 wurde die japanische Hauptstadt zum Ziel des wohl schlimmsten konventionellen Luftschlags aller Zeiten. 346 leistungsstarke B-29-Bomber mit einer Reichweite von 5200 Kilometern näherten sich in einer für die Flugabwehr unerreichbaren Höhe von 10 000 Metern und warfen aus 1500 bis 2500 Höhenmetern 1665 Tonnen Napalm- und Phosphorbomben ab. 

Der zweistündige Angriff vernichtete 41 Quadratkilometer äußerst eng bebauter Stadtfläche. Zum Vergleich: In Dresden waren es 15 Quadratkilometer. Einzelbrände vereinigten sich zu einem alles verschlingenden Großfeuer, das schließlich einen Feuersturm auslöste. Die Stadtverwaltung meldete alsbald 84 000 Tote. Heutige Schätzungen gehen von einer bis zu doppelt so hohen Opferzahl aus. Über eine Million Bewohner Tokios wurden obdachlos.

Wie konnte es dazu kommen? Ende 1944 beschloss die USAAF, den Kommandeur des 21. Bomberkommandos, Brigadegeneral Haywood Hansell, durch Curtis LeMay zu ersetzen. Damit einher ging ein Wechsel der strategischen Präferenz. War Hansell ein Befürworter von Präzisionsangriffen auf militärische Objekte, so machte LeMay keinen Hehl aus seiner Bewunderung für Arthur Harris, den Oberbefehlshaber des britischen Bomberkommandos, der deutsche Städte durch Flächenangriffe auslöschen wollte. Wie der britische Premier Winston Churchill und Harris begeisterte er sich für „Tausendbomberangriffe“. 

„Sehr schwere Vergehen“

Den Strategiewechsel beförderten zwei Aspekte. Zum einen blieb die stark dezentralisierte, gut getarnte japanische Rüstungs- und Zulieferindustrie schwerer zu greifen als die deutsche. Zum anderen bestanden die Wohnviertel Tokios und anderer japanischer Großstädte aus extrem brennbaren Materialien wie Holz und Pappe. Sechsmal wurde Tokio von Mitte Februar bis Ende Mai 1945 großflächig von den USAAF attackiert. 150 Quadratkilometer des Stadtgebiets lagen in Trümmern. Im Vergleich wirken die Totalschadensflächen von Berlin und Hamburg mit je 25 Quadratkilometern wie mikrochirurgisch erzeugte Deformierungen.

Heftig umstritten ist die Frage, ob und in welchem Umfang der Brandbombenangriff auf Tokio die Durchhaltemoral beschädigt und zur späteren Kapitulationsbereitschaft Kaiser Hirohitos beigetragen hat. Während der Historiker F. J. Bradley dies 1999 bejahte, sah Churchill auch unter Berücksichtigung der Atomwaffeneinsätze den maßgebenden Unterschied in der Überlegenheit der US-Marine. Er schrieb 1953 in seinen Memoiren: „Die Niederlage Japans war als Folge der überwältigenden maritimen Macht seiner Gegner schon vor dem Abwurf der ersten dieser Bomben eine Gewissheit.“

Ein ausgewiesener Kenner des Pazifikkriegs, der Militärhistoriker Tsuyoshi Hasegawa, differenzierte 2005: „Die japanischen Führer wussten, dass Japan den Krieg verlieren würde. Aber Niederlage und Kapitulation sind nicht das Gleiche. Die Kapitulation ist ein politischer Akt. Ohne den Zwillingsschock der Atombomben und des sowjetischen Kriegseintritts gegen das Inselreich hätten die Japaner im August 1945 niemals die Kapitulation akzeptiert.“ 

Der US-amerikanische Strategiewechsel zum Terrorluftkrieg, der auch deutsche Städte wie Berlin (3. Februar 1945, 2900 Tote), Swinemünde (12. März 1945, vermutlich 23 000 Tote) und Halberstadt (8. April 1945, bis zu 3000 Tote) traf, löste sofort leidenschaftliche Kontroversen aus. Empört rügte Brigadegeneral George McDonald, Chef des Nachrichtendienstes der Luftstreitkräfte, seine eigene Kommandozentrale: „Diese Weisung versetzt die USAAF eindeutig ins Geschäft der Flächenbombardierung von Städten, die mit Zivilisten überfüllt sind. Fünf Jahre wahlloser Bombardierung durch die Briten in Deutschland haben bis jetzt keine entscheidende Wirkung erzielt.“

Zu den markantesten Kritikern dieses Zivilisationsbruchs gehört John Rawls, der als Infanterist im Pazifikkrieg diente und seine geplante Offizierskarriere nach einem Besuch des verwüsteten Hiroshima ad acta legte. Der von 1921 bis 2002 lebende politische Philosoph und Kant-Bewunderer warf US-Präsident Harry S. Truman vor, japanische Signale zu einem Verhandlungsfrieden missachtet zu haben, um den vom Tenno um eine Vermittlerrolle gebetenen Josef Stalin herauszuhalten. Vor diesem Hintergrund „waren sowohl der Abwurf von Brandbomben über Tokio und anderen japanischen Städten im Frühling 1945 als auch der Abwurf von Atombomben über Hiroshima und Nagsaki, allesamt primär Angriffe auf die Zivilbevölkerung, sehr schwere Vergehen, und so werden sie heute auch weithin gesehen“, wie er 1999 in seinem Buch „The Law of Peoples“ („Das Recht der Völker“) schrieb.

Indirekt gab LeMay seinen Kritikern nach 1945 recht. Er vermutete, man hätte ihn vor ein Kriegsverbrechertribunal gestellt, wenn die Japaner den Sieg davongetragen hätten.

b Dr. Björn Schumacher ist Jurist und Publizist mit den Schwerpunkten Völkerrecht, neuere Geschichte sowie Rechts- und Staatsphilosophie.