26.04.2024

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06.03.20 / Kirche und Staat / Auch Nichtmitglieder zahlen Millionen an die Religionsgemeinschaften / Obwohl es die Verfassung ganz anders vorsieht, fließen seit 100 Jahren riesige Summen aus dem allgemeinen Steuersäckel an die evangelische und katholische Kirche – über die Kirchensteuer hinaus

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 10 vom 06. März 2020

Kirche und Staat
Auch Nichtmitglieder zahlen Millionen an die Religionsgemeinschaften
Obwohl es die Verfassung ganz anders vorsieht, fließen seit 100 Jahren riesige Summen aus dem allgemeinen Steuersäckel an die evangelische und katholische Kirche – über die Kirchensteuer hinaus
Wolfgang Kaufmann

Der Artikel 140 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland regelt das Verhältnis zwischen Staat und Kirche, indem er erklärt, dass „die Bestimmungen der Artikel 136, 137, 138, 139 und 141 der deutschen Verfassung vom 

11. August 1919 … Bestandteil dieses Grundgesetzes“ seien. Im Artikel 137 Absatz 1 der Weimarer Verfassung hieß es ganz eindeutig: „Es besteht keine Staatskirche.“ 

Doch das ist nur graue Theorie. Denn in der Realität alimentiert der deutsche Staat in Gestalt seiner Länder die christlichen Kirchen – wobei damit nicht solche Hilfestellungen wie das Eintreiben und Weiterreichen von Kirchensteuern durch die Finanzämter gemeint sind, oder Zuschüsse für den Denkmalschutz und gemeinnützige Einrichtungen. Vielmehr fließt Geld aus dem allgemeinen Steuersäckel, in das ebenso die Nicht- oder Andersgläubigen einzahlen, ohne jede Zweckbindung in die Taschen der Kirchen, wobei das Ganze unter der äußerst unauffälligen Bezeichnung „Staatsleistungen“ abläuft. 

Deren Höhe lag 2019 bei genau 558 863 600 Euro. Davon gingen 328,6 Millionen an die evangelisch-lutherische und 230,2 Millionen an die katholische Kirche. Insgesamt erhielten die beiden Religionsgemeinschaften seit Inkrafttreten des Grundgesetzes 1949 etwa 20 Milliarden Euro. Die rechtliche Grundlage hierfür bildet der auch immer noch als gültig angesehene Artikel 173 der Weimarer Verfassung: Bis zum Erlass eines anderslautenden Gesetzes „bleiben die bisherigen … Staatsleistungen an die Religionsgemeinschaften bestehen“.  

Regelung von 1919 wird ignoriert

Woher kommen nun aber diese angeblichen finanziellen Leistungsverpflichtungen der Länder? Die entstanden zumeist schon vor mehr als 200 Jahren durch den sogenannten Reichsdeputationshauptschluss vom 25. Februar 1803. Damals entschieden die Stände des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, dass die weltlichen Fürsten mit linksrheinischem Besitz für ihre Gebietsverluste an das revolutionäre Frankreich abzufinden seien. Das geschah nicht zuletzt per Enteignung kirchlichen Eigentums rechts des Rheins. 

Infolgedessen erhielten zwei geistliche Kurfürstentümer, neun Reichsbistümer und 44 Reichsabteien mit einem Grundbesitz von rund 95 000 Quadratkilometern neue Herrscher. Diese wiederum verpflichteten sich im Gegenzug zu Ausgleichszahlungen an die Kirchen. Die Entschädigungsansprüche der evangelischen Kirchen aufgrund von obrigkeitlichen Eingriffen reichen teilweise sogar noch weiter zurück – bis in die Zeit der Reformation und des Westfälischen Friedens von 1648. Allerdings legte der ebenfalls ins Grundgesetz eingegangene Artikel 138 der Weimarer Verfassung zugleich auch fest: „Die … Staatsleistungen an die Religionsgemeinschaften werden durch die Landesgesetzgebung abgelöst. Die Grundsätze hierfür stellt das Reich auf.“ Mit anderen Worten: Die Länder sollten Gesetze erlassen, wie die kontinuierlichen Zahlungen an die Kirchen durch einmalige und abschließende Entschädigungsleistungen zu ersetzen seien. Und der Reichstag hatte die Verpflichtung, hierfür den rechtlichen Rahmen zu schaffen. Diesem Verfassungsauftrag kamen Reichs- wie Bundestag jedoch niemals nach. 

Dabei wurden mehrmals entsprechende Initiativen seitens der FDP, der Linkspartei, der Grünen und dann 2017 auch der AfD gestartet. Die blieben aber erfolglos, weil die im Bund abwechselnd oder gemeinsam regierenden Parteien CDU/CSU und SPD alle entsprechenden Anträge ins Leere laufen ließen. Und das, obwohl es keinerlei nennenswerten Widerstand der Kirchen gegen eine angemessene finale Entschädigung gibt. Der offenkundige Verfassungsbruch währt nun schon mehr als 100 Jahre.

Ist es Geld für politische Loyalität?

Um das Ganze zu entschuldigen, wird zumeist vorgebracht, dass die Länder mit den zu erwartenden Ablösesummen in Milliardenhöhe finanziell überfordert wären. Aber dies ist bei Lichte betrachtet Unfug. Schließlich liegt der als angemessen geltende Ablösefaktor für dauerhaft zu erbringende Zahlungen maximal beim 18,6-fachen der jährlichen Leistungspflicht – so steht es im Paragraph 13 des Bewertungsgesetzes. Damit müssten Länder wie Baden-Württemberg und Bayern Kosten in Höhe von jeweils rund zwei Milliarden Euro schultern – wenn man die heute fälligen Staatsleistungen zugrunde legt. Juristisch ist jedoch nur deren Höhe zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Weimarer Verfassung relevant. Hinzu kommt, dass in den vergangenen 100 Jahren bereits derart viel Geld an die Kirchen geflossen ist, dass die Gesamtsumme fällige Ablösungen um ein Vielfaches überschritten wurde. Den Kirchen steht also im Grunde gar keine Entschädigung mehr zu. Das würde eine Bilanz der getätigten Zahlungen sicher auch belegen, allerdings weigert sich das Finanzministerium seit Jahren, diese zu erstellen.

Warum aber sind sowohl die Bundesregierung als auch SPD und CDU/CSU so zögerlich, wenn es um das Ende der Staatsleistungen an die Kirchen geht? Das mag zwar im Falle der christlichen Parteien mit Wahltaktik zu tun haben, der Hauptgrund dürfte jedoch ein anderer sein: Die Kirchen stellen heute wieder staatstragende Elemente dar. Statt den politischen Kurs der Mächtigen zu hinterfragen, überbieten sich katholische und evangelische Funktionsträger in Loyalitätsbekundungen. So beispielsweise, wenn es um die Flüchtlingsfrage oder den „Kampf gegen Rechts“ geht. Und dafür haben sich die Kirchen natürlich eine Belohnung verdient. Zumal das Handeln der Kirchenfunktionäre viele einfache Mitglieder zum Austritt veranlasste. Schon seit Längerem kehren mehrere hunderttausend Menschen pro Jahr den beiden großen Kirchen den Rücken. Allein zwischen 2015 und 2018 lag der Mitgliederschwund bei über 1,5 Millionen, was sich dann logischerweise auch bei den Kirchensteuereinnahmen bemerkbar macht. 

Vor diesem Hintergrund wirken die weiterhin gewährten Staatsleistungen wie eine Kompensation für die finanziellen Verluste, welche wohl auch aus der Nibelungentreue mancher hoher kirchlicher Amtsträger gegenüber der Regierung resultieren.