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13.03.20 / Deutsche reichsbahn / Woran Bismarck scheiterte, das erreichte Versailles / Vor 100 Jahren wurde mit der sogenannten Verreichlichung der deutschen Länderbahnen die Reichsgründung von 1871 auf dem Eisenbahnsektor nachvollzogen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 11 vom 13. März 2020

Deutsche reichsbahn
Woran Bismarck scheiterte, das erreichte Versailles
Vor 100 Jahren wurde mit der sogenannten Verreichlichung der deutschen Länderbahnen die Reichsgründung von 1871 auf dem Eisenbahnsektor nachvollzogen
Wolfgang Kaufmann

Nach dem Ersten Weltkrieg befand sich das deutsche Eisenbahnwesen in einem ausnehmend desolaten Zustand. Das hatte vor allem zwei Gründe. Der eine waren die Aderlässe infolge der Reparationen. Beginnend mit dem Waffenstillstand von Compiègne vom 11. November 1918 mussten insgesamt 8200 Lokomotiven und 300 000 Waggons an die Siegermächte abgeliefert werden. In deutscher Hand verblieben vorrangig veraltete Schienenfahrzeuge der unterschiedlichsten Baureihen. Das verkomplizierte und verteuerte den Betrieb und die Instandhaltung.

Verpfändung an die Sieger

Der andere Grund war das Fehlen einer einheitlichen Eisenbahngesellschaft des Reiches. Stattdessen gab es ein chaotisches Nebeneinander von Privat- und Staatsbahnen von Bundesstaaten beziehungsweise Reichsländern. Die Einzelstaaten besaßen auf ihrem Territorium die Eisenbahnhoheit, obwohl der erste Reichskanzler Otto von Bismarck lange darum gerungen hatte, die Bahn zu „verreichlichen“. Ihm gelang es zwar, eine zentrale Eisenbahnbehörde zu schaffen, aber sein Gesetzentwurf, mit dem diesem Reichseisenbahnamt die Oberaufsicht über das deutsche Bahnwesen übertragen werden sollte, scheiterte am Widerstand der Länder. So gab es 1919 acht Eigentümer von Staatsbahnen mit jeweils eigenständigen Befugnissen: Baden, Bayern, Hessen, Mecklenburg-Schwerin, Oldenburg, Preußen, Sachsen und Württemberg. 

Für eine „Verreichlichung“ sorgte indirekt der vom Deutschen Reich mit den alliierten und assoziierten Mächten geschlossene Frieden von Versailles mit dem Abschnitt III über „Eisenbahnen“ und dessen erste vier Kapitel mit den Überschriften „Bestimmungen über internationale Beförderung“, „Rollendes Material“, „Abtretung von Eisenbahnlinien“ und „Bestimmungen über einzelne Eisenbahnlinien“. Wollte das Reich die Vorgaben der dortigen Artikel 365 bis 374 im Hinblick auf die Modalitäten der internationalen Beförderung und des Zustandes des rollenden Materials erfüllen, führte an einer Zentralisierung und Vereinheitlichung des deutschen Eisenbahnwesens kein Weg vorbei. Folglich hieß es im Artikel 89 der Weimarer Verfassung vom 11. August 1919: „Aufgabe des Reichs ist es, die dem allgemeinen Verkehre dienenden Eisenbahnen in sein Eigentum zu übernehmen und als einheitliche Verkehrsanstalt zu verwalten.“

Die Umsetzung dieser Vorgabe erfolgte durch den Staatsvertrag über den Übergang der Staatseisenbahnen auf das Reich vom 31. März 1920, den die acht betroffenen Länder zwischen dem 3. und 29. April unterzeichneten, sowie das Gesetz über die Genehmigung dieses Vertrages durch die Deutsche Nationalversammlung vom 30. April 1920, das rückwirkend zum Monatsbeginn in Kraft trat. Damit markiert der 1. April 1920 den offiziellen Gründungstag der Deutschen Reichseisenbahnen. Faktisch vollzogen wurde die Gründung einen guten Monat später, am 5. Mai 1920, mit der Inkraftsetzung einer diesbezüglichen Vorläufigen Verwaltungsordnung durch den Reichsverkehrsminister Gustav Bauer. Für die Umbenennung in „Deutsche Reichsbahn“ am 27. Juni des Folgejahres sorgte dann Bauers Amtsnachfolger Wilhelm Groener. 

Um die Reparationsverluste auszugleichen und einen homogeneren Fahrzeugpark zu schaffen, initiierte das Reichsverkehrsministerium mehrere Programme zur Vereinheitlichung des Fahrzeugmaterials. So waren von den Länderbahnen nicht weniger als 210 verschiedene Lok-Typen übernommen worden, an deren Stelle sukzessive Einheitslokomotiven treten sollten. Ein erster Prototyp für Schnellzüge rollte im November 1925 aus der Berliner Fabrik von Borsig. Darüber hinaus kaufte die Reichsbahn bis 1923 215 neue Waggons.

Aufgrund der eingangs geschilderten Probleme blieb die Deutsche Reichsbahn zunächst defizitär. In den ersten Jahren ihres Bestehens erwirtschaftete sie nur ein Drittel der laufenden Kosten, was hohe Zuschüsse aus dem Staatshaushalt nötig machte. Schließlich geriet die Reichsbahn jedoch in die Gewinnzone, eine Entwicklung, die das Interesse der Siegermächte an der Reichsbahn steigerte. Der nach dem US-Vizepräsidenten von 1925 bis 1929 benannte Dawes-Plan vom 16. August 1924 sah zur Regelung der Reparationszahlungen Deutschlands an die Siegermächte die Verpfändung der Reichsbahn an die Reparationsgläubiger vor. Daraus resultierte die Gründung der Deutschen Reichsbahn-Gesellschaft am 30. August 1924. Das nun privatwirtschaftlich geführte Unternehmen wurde sogleich mit einer Schuldverschreibung in Höhe von elf Milliarden Goldmark belastet – bei 15 Milliarden Grundkapital. Es folgte ein stetiger Aderlass in Form von Geldabflüssen in Höhe von 660 Millionen Reichsmark pro Jahr. Eine Besserung der Situation trat erst infolge der Konferenz von Lausanne zwischen Deutschland, Frankreich und Großbritannien im Sommer 1932 ein. Damals rückten die Siegermächte von einem Großteil ihrer noch bestehenden Reparationsforderungen ab. Trotzdem dauerte es bis zum 10. Februar 1937, dass die Deutsche Reichsbahn wieder voll unter die Hoheit des Reiches gestellt wurde. Zu dieser Zeit gehörte sie zu den modernsten und profitabelsten Eisenbahnunternehmen Europas.

Vorgängerin der Deutschen Bahn

In den westlichen Besatzungszonen gingen die dortigen Anlagen und Fahrzeuge nach der Gründung der Bundesrepublik mit Wirkung vom 7. September 1949 an die Deutsche Bundesbahn über.  Auf dem Territorium der Sowjetischen Besatzungszone mutierte die Reichsbahn zur Staatsbahn der DDR. Anders als in der Bundesrepublik wurde in der DDR der Name „Deutsche Reichsbahn“ beibehalten, um beispielsweise nicht die alliierte Betriebserlaubnis für West-Berlin zu verlieren. Das Ende der Reichsbahn in der DDR kam mit der gesetzlichen und organisatorischen Neuregelung des Eisenbahnwesens in Deutschland nach dem Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes. Am 1. Januar 1994 verschmolzen die Deutsche Reichsbahn und die Deutsche Bundesbahn zur Deutschen Bahn, einer Aktiengesellschaft, die sich zu 100 Prozent im Besitz der Bundesrepublik befindet.





Kurzporträts

Weimars dritter Verkehrsminister von 1920 bis 1923, der parteilose Wilhelm Groener, war vorher Erich Ludendorffs Nachfolger als Erster Generalquartiermeister und wurde später Reichswehrminister

Der US-amerikanische  Bankier und Politiker Charles G. Dawes entwickelte im Auftrag der Reparationskommission als Vorsitzender eines Sachverständigenausschusses den nach ihm benannten Dawes-Plan

Nach seinem erzwungenen Rücktritt als Reichskanzler wegen des Kapp-Lüttwitz-Putsches bekleidete der Sozialdemokrat Gustav Bauer 1920 noch für ein paar Wochen das Amt des Reichsverkehrsministers