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13.03.20 / Noelle-Neumann / Die „Pythia vom Bodensee“

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 11 vom 13. März 2020

Noelle-Neumann
Die „Pythia vom Bodensee“
Erik Lommatzsch

Betrachtet man in diesen Tagen das Werk der Kommunikationswissenschaftlerin Elisabeth Noelle-Neumann, die am 25. März 2010 verstarb, so erscheint vieles hochgradig aktuell. So etwa die Theorie der „Schweigespirale“. Das gleichnamige Buch mit dem Untertitel „Öffentliche Meinung – unsere soziale Haut“ erschien erstmals 1980. Noelle-Neumann hatte ihre Erkenntnisse aus langjährigen Beobachtungen gewonnen. Demnach neigen Menschen dazu, ihre Ansichten weniger stark zu vertreten, wenn sie glauben, diese würden dem vorherrschenden Meinungsklima widersprechen. Folge ist, so die Theorie, dass die lautstark vertretene Meinung einer Minderheit oder die in den Medien dargestellte Ansicht als Mehrheitsmeinung erscheinen kann. Die Furcht vor sozialer Isolation hemmt Widerspruch, die Vertreter der eigentlichen Mehrheitsmeinung erkennen sich gegenseitig nicht, das Schweigen setzt sich in Form einer Spirale fort. Bereits zuvor hatte Noelle-Neumann Forschungsergebnisse präsentiert, die besagten, dass deutsche Journalisten wesentlich linksliberaler eingestellt seien als die übrige Bevölkerung. 

Geboren wurde die Tochter des späteren Generaldirektors der Tobis-Filmgesellschaft Ernst Noelle am 19. Dezember 1916 in Berlin. Nach dem Studium einschließlich Austauschjahr in den USA wurde sie mit der 1940 erschienenen Arbeit „Amerikanische Massenbefragungen über Politik und Presse“ bei dem Publizistikwissenschaftler Emil Dovifat promoviert. Die Meinungsforschung sollte ihr Lebensthema werden. 1948 gründete sie mit ihrem Ehemann Erich Peter Neumann das „Institut für Demoskopie Allensbach“. In Anspielung auf die Priesterin des Orakels von Delphi wurde sie später oft als „Pythia vom Bodensee“ bezeichnet. Große Bekanntheit sollte sie im Zusammenhang mit ihren Wahlprognosen erlangen. Noelle-Neumann beriet alle CDU-Bundeskanzler bis Helmut Kohl. An der Universität Mainz, an der sie ab 1964 als Professorin wirkte, baute sie das Institut für Publizistik auf. Frühzeitig betonte sie die Rolle des Fernsehens bezüglich der öffentlichen Meinungsbildung, breit rezipiert wurde dabei der Vortrag „Der getarnte Elefant“ von 1969. Der Studentenbewegung und den mit dem Stichwort „1968“ verbundenen Vorgängen stand sie deutlich ablehnend gegenüber. In ihren „Erinnerungen“ schrieb sie: „Im Winter 1970/71 musste ich jede zweite Vorlesung abbrechen.“ Jahrelang standen sie und ihr Chefassistent unter Polizeischutz.