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13.03.20 / Massaker von Katyn / Josef Stalins Variante von „Haltet den Dieb“ / Warum die Anklage gegen Deutschland bei den Nürnberger Prozessen stillschweigend verschwand

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 11 vom 13. März 2020

Massaker von Katyn
Josef Stalins Variante von „Haltet den Dieb“
Warum die Anklage gegen Deutschland bei den Nürnberger Prozessen stillschweigend verschwand
Klaus J. Groth

Katyn war ein blinder Fleck der Geschichte. Die Morde dort wurden vertuscht, verfälscht, verschwiegen. Erst in der Ära Gorbatschow kam die Wahrheit bruchstückhaft an den Tag. Inzwischen steht fest: Mit dem Namen Katyn verbinden sich mehrere schwerste Verbrechen Josef Stalins am polnischen Volk. In diesem Jahr liegen die Massenmorde 80 Jahre zurück. 

In den Tagen vom 3. April bis 11. Mai 1940 erschossen Angehörige des Volkskommissariats für innere Angelegenheiten (NKWD) in einem Wald bei Katyn 4400 Polen, überwiegend Offiziere. Wie heute bekannt ist, war Katyn nur ein Ort von mehreren für die von Stalin befohlenen Massenhinrichtungen. 22 000 bis 25 000 Offiziere, Polizisten, Ärzte und Hochschullehrer fielen ihnen zum Opfer. Stalin hatte ihren Tod verfügt getreu seinem zynischen Wahlspruch „Ein Mensch – ein Problem, kein Mensch – kein Problem“. 

240 000 polnische Soldaten waren in Gefangenschaft geraten, nachdem die Sowjetunion 1939 in den Osten der Republik Polen einmarschiert war. Die Sowjets sperrten die Offiziere in Sonderlager. Auch sämtliche 15 000 Reserveoffiziere verhaftete der NKWD. Es war bekannt, dass diese Männer das Sowjetsystem außerordentlich kritisch beurteilten. 

22 000 bis 25 000 polnische Opfer

Geheimdienstchef Lawrentij Berija ließ die Gefangenen bespitzeln. Er erfuhr, was er schon vorher wusste: Die Offiziere waren ein Sicherheitsrisiko. Und er wusste, was Stalin von ihm erwartete. Er legte dem Politbüro am 5. März 1940 einen geheimen Vorschlag vor. Darin heißt es: „Die kriegsgefangenen Offiziere und Polizisten, die sich in den Lagern befinden, versuchen ihre konterrevolutionäre Tätigkeit fortzusetzen, sie betreiben antisowjetische Agitation.“ Die Zahl dieser Konterrevolutionäre gab Berija mit 25 700 an. Er empfahl „Anwendung der Höchststrafe – Erschießung!“ Und fügte hinzu: „Die Verfahren sind durchzuführen, ohne die Gefangenen vorzuladen und ohne ihnen die Anklage vorzulegen.“

Das Beschlussprotokoll Nr. 13/144 unterzeichnete neben Josef Stalin das Politbüro. Der Beschluss betraf die Lager Starobjelsk in der östlichen Ukraine mit 3900 Gefangenen, Ostaschkow am Seliger-See mit 6500 Gefangenen und Kosjelsk beim südrussischen Orel mit 4700 Gefangenen. Vier Wochen später begann der Massenmord. 

Dass Berijas Geheimpolizei in Katyn mordete, war bereits vorher bekannt, aber erst seit Ende der 80er Jahre im Zuge der Glasnost-Politik zögerlich die Archive der Sowjetunion geöffnet wurden, wurden die anderen Orte der Massenmorde bekannt. Mittlerweile hat Russland die Exekution von 22 000 polnischen Staatsangehörigen eingestanden. Im ersten Mordbefehl Berijas war die Zahl von 25 700 genannt worden. 

Ab Anfang April brachten Güterzüge die Gefangenen zur Hinrichtungsstätte nach Katyn nahe Smolensk. Die Gefangenen wurden durch Schüsse in den Hinterkopf getötet. Einer der Henker erinnerte sich später: „Natürlich haben wir Wodka bis zur Besinnungslosigkeit getrunken. Die Arbeit war schließlich nicht die einfachste … Und wir wuschen uns mit Parfüm. Bis zum Gürtel. Anders konnte man den Geruch von Blut und Verwesung nicht loswerden. Sogar die Hunde wichen vor uns zurück.“ Im Juni 1940 war die mörderische Arbeit getan, waren die Lager geleert. Die Mörder erhielten eine Geldprämie, sie feierten mit einem großen Besäufnis. 

1941 drang die Wehrmacht in das Gebiet von Katyn vor. Soldaten fanden von Wölfen ausgebuddelte Menschenknochen. Ausgrabungen wurden vorgenommen. Im amtlichen Untersuchungsbericht des Auswärtigen Amtes von 1943 heißt es: „Bis im Juli die Sommerhitze eine Unterbrechung der Ausgrabungsarbeiten notwendig machte, konnten 4143 Opfer geborgen und bestattet werden. Davon wurden 2805 einwandfrei identifiziert … Es handelt sich um eine ganze Reihe von Massengräbern, von denen einige Russen, die Mehrzahl indessen Polen, und zwar zu etwa 90 v. H. polnische Offiziere, enthielten. In dem größten Polengrab, das eine Länge von 28 m und eine Breite von 16 m aufweist, wurden in der obersten Schicht 250 Leichen gefunden; darunter befanden sich 11 weitere Schichten von Leichen; dies eine Grab allein enthält mithin annähernd 3000 Opfer … Die Leichen liegen mit dem Gesicht nach unten und weisen nach den bisherigen Feststellungen sämtlich Genickschüsse auf … Einem Teil der Offiziere … waren die Hände auf dem Rücken gefesselt; bei einigen war ein Sack bzw. der Uniformrock über dem Kopf zusammengebunden … Die Offiziere hatten mit wenigen Ausnahmen keine Wertsachen mehr bei sich … Es handelt sich also um einen Massenmord polnischer Offiziere … wobei ein auffallend großer Teil die Traditionslitze der Pilsudski-Regimenter trägt.“ 

22 000 Exekutionen zugegeben

Die Untersuchungen in Katyn leitete Oberstleutnant Rudolf-Christoph von Gersdorff. Er betreute auch die internationale Kommission von Rechtsmedizinern, die Reichspropagandaminister Joseph Goebbels nach Katyn entsandt hatte. Deren Berichte schockierten, sofern man sie zur Kenntnis nehmen konnte oder wollte. Franklin D. Roosevelts USA wollten nicht, Winston Churchills Großbritannien weigerte sich und Stalin beschuldigte Deutschland, das Massaker von Katyn angerichtet zu haben. Nach 1945 schoben die Sowjets Katyn als Anklage auf die Liste der in Nürnberg zu verhandelnden Kriegsverbrechen. Allerdings verschwand der Punkt später stillschweigend. Der US-amerikanische Geheimdienst hatte nach dem Krieg Oberleutnant Fabian von Schlabrendorff vernommen, der 1943 gemeinsam mit Rudolf-Christoph von Gersdorff ein Attentat auf Hitler verübte, das allerdings scheiterte. Oberstleutnant von Gersdorff hatte die Untersuchungen in Katyn geleitet, von Schlabrendorff war dabei. Er hatte keinen Zweifel an der sowjetischen Täterschaft. Schlabrendorff warnte die Amerikaner, die Anklage wegen Katyn zu verhandeln. Nach langem Zögern wurde der Punkt gestrichen. Aus der Welt war die Schuldzuweisung dennoch nicht. Bis 1989 gab es in der Sowjetunion und den mit ihr verbündeten Staaten eine klare Sprachregelung: Der Massenmord von Katyn war ein Verbrechen der Deutschen. Ein russischer „Dokumentarfilm“ aus den 1990er Jahren erzählt die Geschichte noch genauso.