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20.03.20 / Florence Nightingale / Die „Dame mit der Lampe“ / Barmherzige Schwestern waren den Ärzten im britischen Lazarett zunächst gar nicht willkommen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 12 vom 20. März 2020

Florence Nightingale
Die „Dame mit der Lampe“
Barmherzige Schwestern waren den Ärzten im britischen Lazarett zunächst gar nicht willkommen
Klaus J. Groth

Als „Lady with the Lamp“ (Dame mit der Lampe) wurde Florence Nightingale berühmt. Die Begründerin der modernen Krankenpflege kam am 12. Mai 1820 während einer Familienreise in Florenz zur Welt. Noch heute ist sie eine der bekanntesten Frauen dieser Zeit.

Die junge Florence dürfte den 1842 erschienenen Roman „Martin Chuzzlewit“ gelesen haben, in dem Charles Dickens eine trunksüchtige, geldgierige Krankenschwester mit dem Namen Sarah Gamp beschreibt. Mit dem letzten seiner Schelmenromane prangerte Dickens den Pflegenotstand im viktorianischen England an. Dort existierte nur eine rudimentäre Versorgung durch private Anstalten. Kranke wurden in der Familie betreut. Wer es sich leisten konnte, engagierte eine Pflegerin. Oft waren es liederliche Dienstmädchen, die keine andere Anstellung fanden und ihre Patienten aus Unwissenheit und Gleichgültigkeit zu Tode brachten. 

Nightingale lernte das Leid kranker Menschen schon als Kind kennen. Ihre Mutter nahm sie mit auf Krankenbesuche in den Dörfern rund um die Güter der Familie. Die schrecklichen Zustände in den Häusern der Landarbeiter beeindruckten Nightingale tief. Schwerkranke und Alte lagen in schmutzige Decken gehüllt apathisch in einer Ecke und warteten auf ihr Ende. Als im Januar 1837 im Süden Englands eine Grippeepidemie ausbrach, kümmerte sich die damals 17-Jährige ohne Rücksicht auf die eigene Gesundheit aufopfernd um die Kranken. In dieser Zeit beschäftigte sie sich schon mit dem Gedanken, Krankenpflegerin zu werden. Sie notierte in ihrem Tagebuch: „Gott sprach zu mir und rief mich in seinen Dienst.“

Eine Arbeit als Pflegerin war für ein junges Mädchen aus gutem Hause undenkbar. Die „Gamps“ standen auf der untersten Stufe der Gesellschaft. Nightingale setzte sich gegen den Widerstand ihrer Eltern durch. Einen Bewerber um ihre Hand lehnte sie ab. Heimlich machte sie nach einer Bildungsreise durch Griechenland einen Besuch in der Kaiserswerther Diakonie. Das 1836 von Pastor Theodor Fliedner und seiner Frau Friederike gegründete Diakonissenhaus bildete junge, evangelische Mädchen in der Krankenpflege aus. Nightingale absolvierte Praktika in Kaiserswerth und im Hôtel-Dieu de Paris, das damals als beste Klinik Europas galt. Zurück in England erhielt sie das Angebot, das Pflegeheim „Institute for the Care of Sick Gentlewomen“ zu leiten, in dem erkrankte Pastorenwitwen und Gouvernanten betreut wurden. Ein Gehalt bekam sie nicht. Ihre Eltern, die sich mit dem Wunsch ihrer Tochter abgefunden hatten, unterstützten sie mit der großzügigen Summe von 500 Pfund im Jahr. Eine Pflegerin verdiente nur 20 Pfund. 

Geburt vor 200 Jahren

1853 brach der Krimkrieg aus. Großbritannien, Frankreich und das Osmanische Reich kämpften gegen das russische Zarenreich. In den Lazaretten der Franzosen pflegten Nonnen die Verwundeten. Die britischen Soldaten waren sich selbst überlassen. Im Militärkrankenhaus in Scutari auf der Ostseite des Bosporus, dem heutigen Istanbuler Stadtteil Üsküdar, herrschten katastrophale Zustände. Britische Reporter berichteten in der Londoner „Times“ über Schmutz, Ungeziefer und totale Desorganisation. Die Öffentlichkeit reagierte entsetzt. Nightingale erwirkte nach zähem Hickhack mit der Armeeführung die Erlaubnis, mit 40 Pflegerinnen nach Scutari zu reisen. Die „Times“ organisierte eine Spendenaktion für die Anschaffung von Medikamenten, Verbandsmaterial, Wäsche und Kleidung. 

Nach einer strapaziösen Schiffsreise traf die Gruppe in der Türkei ein. Willkommen war sie nicht. Vor allem die älteren Ärzte lehnten die Zusammenarbeit mit Frauen ab. Das Gerücht machte die Runde, die Damen sollten im Auftrag der Regierung spionieren. Diplomatisch beschränkte Nightingale die Aufgaben der „Lady-Nurses“ zunächst auf das Reinigen und Desinfizieren der Räume, sie wuschen Wäsche der Soldaten und stellten Verbände her. In allen englischen Zeitungen erschienen Artikel voll des Lobes für ihre Arbeit. Abbildungen in Zeitungen zeigten die junge Frau im roten Gewand mit einer Lampe in der Hand auf ihrem Rundgang durch Krankensäle. 

In Scutari erkrankte Nightingale schwer, vermutlich an Brucellose. Sie verließ das Lazarett aber erst nach Kriegsende 1856. Geschwächt von Fieberschüben und chronischen Schmerzen war sie kaum noch fähig, ihre Londoner Wohnung zu verlassen. Umso intensiver arbeitete sie am Schreibtisch. Ihr Buch „Notes on Nursing“ (Bemerkungen zur Krankenpflege) wurde zum Standardwerk für Pflege, Hygiene und Organisation an Hospitälern. Mit Fragebögen und deren Analysen sollten Missstände aufgedeckt und für Verbesserungen gesorgt werden. „Um Gottes Gedanken zu verstehen, müssen wir Statistiken studieren, denn diese sind die Maßeinheiten, die seine Absichten veranschaulichen“, schrieb die Autorin. Sie forderte Sauberkeit, frische Luft und eine gute Ernährung für die Patienten, weil diese Dinge ebenso wichtig seien wie Medikamente. Und sie verlangte Disziplin: „Eine Pflegerin, die herumlärmt, ist das Grauen ihrer Patienten.“ Dank ihrer Popularität fand Nightingale viele Unterstützer. Der von der „Times“ initiierte „Nightingale Fund“ sammelte Gelder für den Bau von Kliniken und die Ausbildung des Pflegepersonals. 

Die Londoner Nightingale Nursing School sandte Absolventinnen nach Indien. Ohne selbst dort gewesen zu sein, galt deren Gründerin als Indien-Expertin mit großem Einfluss auf die Regierung. Sie erreichte, dass sich die medizinische Versorgung der Einheimischen in der Kronkolonie verbesserte. Nightingale wurde vielfach ausgezeichnet. Sie legte keinen Wert darauf. Am 13. August 1910 starb sie im Alter von 90 Jahren. In Erinnerung an diese außergewöhnliche Frau verleiht das Internationale Rote Kreuz die Florence-Nightingale-Medaille für besondere Verdienste in der Pflege.