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27.03.20 / Gesellschaft / Soll die Macht allein in den Händen einer zögernden Kanzlerin liegen? / In der Corona-Krise zeigen sich die Stärken eines breit aufgestellten Staatswesens – und einer ebenso breitgefächerten medialen Öffentlichkeit

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 13 vom 27. März 2020

Gesellschaft
Soll die Macht allein in den Händen einer zögernden Kanzlerin liegen?
In der Corona-Krise zeigen sich die Stärken eines breit aufgestellten Staatswesens – und einer ebenso breitgefächerten medialen Öffentlichkeit
René Nehring

In Krisenzeiten schlägt traditionell die Stunde der Exekutive. Im Katastrophen- oder gar Kriegsfall gilt es, schnell und unbürokratisch zu handeln. Ohne parlamentarische Beratungen verhängte denn auch die Bundesregierung in den vergangenen Tagen weitgehende Eingriffe in das öffentliche Leben. 

Der Exekutive kommen in Lagen wie dieser zahlreiche Rechte und Pflichten zu, vor allem das Recht und die Pflicht zu führen. Doch was ist, wenn die Regierung notwendige Maßnahmen verzögert? Oder wenn sie gebotene Optionen – wie zum Beispiel im vorliegenden Fall die Schließung der Grenzen – verweigert, weil derlei Schritte an den Dogmen der eigenen Politik kratzen? Die Reden der Kanzlerin in den letzten Tagen und das Echo darauf können nicht darüber hinwegtäuschen, dass Angela Merkel lange gezögert hat, der Ausbreitung des Coronavirus mit drastischen Schritten entgegenzutreten. 

Zu Beginn der Krise wurde oft das „typisch bundesrepublikanische Kompetenzwirrwarr“ beklagt. Warum brauchen wir über 400 Gesundheitsämter, 16 zuständige Landesminister und einen Bundesminister für Gesundheit? Sind in diesem Geflecht die Verantwortlichkeiten nicht viel zu undurchsichtig und die Entscheidungswege zu langwierig? Ist es nicht besser, wenn bei einem mit starken Kompetenzen ausgestatteten Bundesminister alle Fäden zusammenlaufen? So und ähnlich lauteten die Fragen in den letzten Tagen. 

Gleichwohl zeigen gerade der Verlauf der Corona-Krise und das bisherige Agieren der Bundesregierung die Stärken eines breit aufgestellten, föderalen Staatswesens. Die Schließung der Schulen, die Einführung von Grenzkontrollen und die weitgehenden Einschränkungen der Bewegungsfreiheit im öffentlichen Raum – sie alle erfolgten auf Initiative einzelner Bundesländer; allen voran Bayern. Die Länder hielten den Druck hoch und drängten eine zögerliche Bundeskanzlerin wiederholt zum Handeln. Was also, könnte man fragen, würden mehr Kompetenzen für die Regierung bringen, wenn diese die ihnen zur Verfügung stehenden Mittel gar nicht nutzt und gar nicht nutzen will? 

Die Bedeutung kritischer Medien

Die Notwendigkeit zur Vielfalt gilt auch und gerade für die öffentliche Meinung. In 11 von 15 ihrer bisherigen Amtsjahre regierte die Bundeskanzlerin mit den Sozialdemokraten. Hinzu kamen im Laufe der Zeit die Grünen, mit denen die Union in zahlreichen Bundesländern koaliert. Dadurch ist eine Art „Dauer-Groko“ und eine Politik der größtmöglichen Konsensfindung entstanden, die längst auch die Medien erfasst hat. Die Kommentatoren haben es sich abgewöhnt, kritische Fragen zu stellen – und die politische Führung ist es kaum noch gewohnt, unangenehme Fragen auch nur gestellt zu bekommen. 

Doch gerade in Ausnahmezeiten wie dieser, in denen eine Nation zu Recht solidarisch zusammenrückt, ist es wichtig, das Agieren der gewählten Repräsentanten nicht einfach hinzunehmen. So war es gut, dass „BILD“-Chefredakteur Julian Reichelt im Anschluss an die Rede der Bundeskanzlerin am Dienstag vergangener Woche darauf hinwies, dass Merkel zwar den richtigen Ton getroffen hatte, jedoch wichtige Antworten schuldig geblieben war, vor allem „eine Erklärung, was sie persönlich in ihrem Amt für die Menschen tun wird“. 

In der „FAZ“ hinterfragte der Staatsrechtler Hinnerk Wißmann, wie derzeit – in der Regel allein auf die Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts hin – weitgehende Eingriffe in die persönlichen Freiheiten und in das Wirtschaftsleben erfolgen. Er mahnte an, dass „bei allen Entscheidungen die wechselseitige Abhängigkeit von handlungsfähigem Staat und freier Gesellschaft zu beachten“ ist, und dass „eine einmal stillgelegte Gesellschaft sich nicht einfach durch Regierungsbeschluss wieder anstellen“ lasse. Nicht zuletzt, so Wißmann in Abwandlung des berühmten Böckenförde-Diktums, leben auch großzügige staatliche Hilfsversprechen von Voraussetzungen, die sie selbst nicht garantieren können. 

Wie sehr es in Lagen wie dieser auch auf alternative Informationsquellen ankommt, zeigen die Wortmeldungen zweier Mediziner, die nicht in den reichweitenstarken Medien zu vernehmen waren. So kursieren seit Tagen im Internet Videos mit Aussagen des Virologen Wolfgang Wodarg, der als langjähriger Amtsarzt, ehemaliger Bundestagsabgeordneter und Vorsitzender diverser Gesundheitsausschüsse auf Landes- und EU-Ebene alles andere als ein Spinner ist, und der nun entschieden die Äußerungen des Robert-Koch-Instituts zur Krise kritisiert. 

Eine weitere nachdenkliche Wortmeldung stammt von dem Allgemeinmediziner Gunter Frank, Dozent an der Business School St. Gallen, auf der Internetseite „Achse des Guten“. Auch Frank hinterfragt ohne jede Polemik die Anordnungen der Regierung und weist insbesondere darauf hin, dass die zur Lösung der Krise beschlossenen Maßnahmen erlassen wurden, obwohl es keine belastbaren Daten über die tatsächliche Ausbreitung des Virus gibt – und damit keine verlässliche Grundlage zur Einschätzung der von ihm ausgehenden Gefahr. 

Wie gesagt: Die Krise ist die Stunde, in der die Regierenden unbürokratisch handeln können (müssen), um schnell erforderliche Maßnahmen einleiten zu können. Die genannten Beispiele zeigen jedoch auch, dass es gut ist, wenn die Regierung dabei nicht alleinsteht, sondern von anderen Institutionen des Staates und einer kritischen Öffentlichkeit begleitet wird.